Werbung

Dies ist kein Kalter Krieg


Heute tagt die Nato in Wales. Sie stellt sich Russlands Aggressionen in der Ukraine entgegen. Aber damit beginnt kein Kalter Krieg, die Uhr wird nicht zurückgedreht – noch nicht.


Eine Analyse von Jan Rübel

Dramatische Worte wählte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. „Hier auf dem Gipfel werden wir wichtige Schritte einleiten, um die Verteidigungsfähigkeit unserer Verbündeten zu stärken“, sagte er vor Beginn des Natogipfels im britischen Wales. Starken Eindruck sollte dieser Satz machen, weltweit. Der Westen gegen den Osten, Rocky Balboa gegen Ivan Drago. Und so steigen die Erwartungen an heute. Heute will die Nato konkret darlegen, wie ihre Reaktion auf die Spannungen in der Ukraine aussieht. Es scheint, als tickten die Uhren heute schneller und lauter; Rasmussens Worte wirken wie ein Crescendo. Manche sagen schon, der heutige Tag werde in die Geschichte eingehen. Haben sie Recht? Die wichtigsten fünf Punkte in der Ukraine-Krise im Überblick:

Wie ist die Lage in der Ukraine?
Das Land erschüttern schwere Unruhen. Im Osten, wo viele Russen seit Generationen leben, fordern Einwohner mehr föderale Strukturen im bisher zentralistischen Staat der Ukraine. Diesen Konflikt gibt es nicht erst seit diesem Sommer, seit Jahrzehnten beherrscht die Frage, wie Russen und Ukrainer ihr Zusammenleben organisieren, die politische Agenda der Ukraine. Nun ist Gewalt ins Spiel gekommen – das macht den Konflikt schärfer, unerbittlicher und entfernt ihn von einer Lösung. Russland organisiert den Aufstand bewaffneter Separatisten in der Ostukraine und schickt mittlerweile eigene Truppen. Dem haben die ukrainischen Streitkräfte wenig entgegen zu setzen.

Was will Putin?
Russlands Präsident Wladimir Putin betreibt ein perfides Spiel. Er setzt auf Gewalt, wohlwissend, dass es seinem Land nicht an militärischer Stärke mangelt. Die spielt er jetzt aus. Eigentlich hat er dem Westen spätestens seit 2007, als er in München eine historische Rede hielt, die Freundschaft und das Vertrauen aufgekündigt. Putin will seinen eigenen Weg gehen. Dabei nimmt er sich Land, wo er es kriegen kann. Währenddessen bedient er sich einer Strategie der Lügen und Konstrukte – denn dass seine Soldaten längst in der Ukraine auf seinen Befehl hin kämpfen, bekennt er nicht. Was will er nun? In seinen Kopf würde man gern hineinschauen, vielleicht weiß er es selbst nicht. Zumindest denkt er, wie es sich für lupenreine Autokraten gehört, erst einmal an sich. Seine persönliche Machtstellung in Russland hat höchste Priorität. Die sichert er sich mit dem Handwerk, das er erlernt hat: Als Geheimdienstler baut er auf Netzwerke und Kontrolle. Auf Propaganda und Gegenpropaganda. Auf Bevormundung. Deshalb muss ein äußerer Feind her, auf den er die Aufmerksamkeit des von ihm nicht gerade nett regierten Volkes lenken kann: Das ist der Westen, die Nato, liberales Gedöns und so weiter.
Weil Putin groß sein will, soll Russland es auch sein. Er faselt von einem „Neurussland“, was ungefähr Gebiete außerhalb des russischen Staates meint, in denen viele Russen leben. Die wird er sich einverleiben wollen. Die Krim nahm er sich bereits, die Ostukraine wird folgen.

Was wird aus der Ukraine?
Dabei ist noch unklar, was Putin noch so alles will. Das ganze Land? Einige Sicherheitsexperten meinen, mit der Einverleibung der Ukraine würde sich Putin einen Reichtum sichern, der die Sanktionen des Westens ausgleichen würde. Das ist Unsinn. In der Ukraine liegen die großen Produktionsstätten für die russischen Streitkräfte, es gibt die hübsche Krim und viele Ressourcen an Rohstoffen wie Gas – aber reich ist die Ukraine nicht. Will Putin dieses Land schlucken, er würde sehr lange daran verdauen. Er will mächtig sein, nicht schlecht bezahlter Hausmeister eines Gebäudes voller komplizierter Probleme. Bei der Abspaltung des Ostens würde es bleiben. Und die Ukraine wird umso mehr die Chance erhalten, sich zu demokratisieren, sich sanft zu föderalisieren und die Wirtschaft eng an Westeuropa zu binden. Das wird den Menschen in der Ukraine gefallen – und langfristig werden auch die Russen in der Ostukraine diesen Weg für sich verlangen. Momentan mag Putin wegen seiner Waffen triumphieren. Langfristig werden ihm alle weglaufen.

Beginnt jetzt ein neuer Kalter Krieg?
Viele schreiben wieder von einem Kalten Krieg zwischen der Nato und Russland, als wünschten sie sich ihn herbei. Das Territorium des Westens müsse verteidigt werden, neues und größeres Waffenarsenal her, gar die Wehrpflicht wird wieder aus der gedanklichen Mottenkiste gezerrt. Dies zeigt einmal mehr, wie blöd der damalige Kalte Krieg war. Denn solch eine Konfliktstellung vermutet vom Gegenüber stets das Schlimmste, wie eine Katze, die sich in den Schwanz beißt. Tatsächlich droht nicht einmal ein Kalter Krieg. Putin fordert den Westen heraus, und zwar auf Territorium, das er als sein Einflussgebiet ansieht. Die baltischen Staaten mag er in seinen kühnsten Träumen dazuzählen – aber praktisch trägt sich Putin nicht mit Suizidgedanken, wird also eine echte kriegerische Konfrontation mit der Nato scheuen.

Was soll der Westen tun?
Deshalb ist es gut, dass sich das alte Verteidigungsbündnis des Westens jetzt auf die Hinterbeine stellt – aber dabei sollte es bleiben. Krieg hat keine Logik, Krieg kann man manchmal herbeireden. Aber selbst hier ist allen Akteuren klar, dass sie bei solch einer Situation zu viel verlieren würden. Der Westen kann Putin eine Menge entgegen stellen: Das sind die Werte des Respekts vor Anderen, vor der Souveränität, vor Demokratie und Menschenrechten. Der Westen kann entgegen stellen, dass er attraktiv ist für die Menschen. Das ist Putin auf Dauer nicht. Deshalb ist es nicht ratsam, in altes Feinddenken zu verfallen, sondern vielmehr zwar wachsam, aber auch gelassen auf die Herausforderungen zu reagieren.