Erdogan rührt den Beton an


Für den Präsidenten der Türkei ist eine Gleichstellung von Frau und Mann „unnatürlich“. Und schon wieder ist Erdogan der Quotenhit im Netz – er wird geliebt oder gehasst. Zurzeit eher letzteres.



Ein Kommentar von Jan Rübel

Eines muss man Recep Tayyip Erdogan lassen: Zwar ist dem Präsidenten eines so großen und regional einflussreichen Landes wie der Türkei internationale Aufmerksamkeit sicher, selbst wenn er aufs Klo geht. Doch der 60-Jährige setzt noch einen drauf. Er sorgt dafür, dass alle Welt auch darüber redet.

Erdogan polarisiert. Mal erklärt er den Amerikanern, wer alles vor Kolumbus die neue Welt betreten hat, oder er verbietet Soziale Medien in der Türkei – und nun sind es die Frauen an und für sich, die in den Genuss seiner verbalen Aufmerksamkeit gerückt sind. Vor den Mitgliedern des Frauenverbands „Kadem“ in Istanbul legte er los: „Sie können eine Frau nicht in die gleiche Position wie einen Mann bringen. Das widerspricht der Natur“, sagte der Staatspräsident. Das Wesen der Frauen und ihre körperliche Voraussetzungen seien anders als bei Männern. Und wie steht es nun mit dem weiblichen Wesen? Die Priorität der Frau solle die “Mutterschaft“ sein, das entspreche der richtigen islamischen Lebensweise, erklärte Erdogan. Schwangere und stillende Frauen könnten nicht unter denselben Bedingungen arbeiten wie Männer. „Man kann Frauen nicht die gleiche Arbeit wie Männer machen lassen, wie es in der Vergangenheit unter kommunistischen Regimes geschehen ist“, sagte er. „Gib ihr eine Schaufel und lass sie arbeiten? So etwas geht nicht. Das ist entgegen ihrer zierlichen Statur.“

Erdogan, der Systemstabilisierer

Tja. Man weiß ja gar nicht, wo man da anfangen soll. Vielleicht irgendwo in Anatolien, wo es oft Frauen sind, die sich täglich eine Schaufel greifen und die Felder bestellen? Oder in einem ehemals real-existierend sozialistischen Land, wo Frauen arbeiten sollten und die heute, real-kapitalistisch, von dieser Arbeit nicht lassen wollen – und die Ökonomen Alpträume kriegten, würden die Frauen sich an den Herd verziehen?

Im Netz jedenfalls erntet Erdogan für seine Philosphien nur Häme. „Retro. Auf eine sehr un: - subtile, -moderne, -intellektuelle, -nerdige Art“, urteilt Linda Breitlauch bei Twitter. „Oder einfach: dumm, der Erdo.“

Bild: Twitter/Linda Breitschlauch
Bild: Twitter/Linda Breitschlauch

Erdogan gefällt sich seit längerem als Prediger, der seinen Landsleuten erklärt, wann sie den linken und wann den rechten Bürgersteig benutzen sollen. Kaum ein Thema, zu dem er sich nicht äußert; und kaum eines mit einem originellen, ja durchaus komischen Statement. Allein deshalb dürfte der türkische Staatspräsident eine der meist karikierten Figuren weltweit sein. Manche Urteile im Netz sind indes kurz und harsch: „Turkey’s Remake of the Nazi hit ‚Kinder, Küche, Kirche’“, schreibt Anna Cook auf Twitter, und zeigt uns Deutschen, was über uns noch im kollektiven Weltgedächtnis schlummert.

Bild: Twitter/Anna Cook
Bild: Twitter/Anna Cook


Die meisten Kommentare versuchen Erdogans Worte indes als systemstabilisierend zu verstehen: „Die Frauen zu unterdrücken hat doch jahrelang gut funktioniert“, schreibt Gabriele Over auf Facebook. „Warum soll Mann das ändern??“ Oder „Nora“ postet auf Twitter einfach ein Foto mit den Worten: „Das passiert mit Frauen in der Türkei, die nicht im Sinne von Erdogan fragen...“

Bild: Facebook
Bild: Facebook


Bild: Twitter/Nora
Bild: Twitter/Nora



Was ist denn nun natürlich?


Dabei sind Erdogans Einlassungen nicht gerade revolutionär. Sie berühren einen sehr lebendigen Grunddiskurs innerhalb des Islams. Gleiche Wertschätzung schreibt der Koran vor, allerdings in den dann vagen Worten, gemäß der „Natur“ der Geschlechter. Heißt in konservativer Auslegung: Unterschiede dürften nicht nivelliert, keine „Gleichmacherei“ betrieben werden. In anderer Auslegung: Frauen Rechte vorzubehalten ist Diskriminierung, und die verbietet der Koran eindeutig. Schließlich verlassen alle Konservative den Boden des Koran, wenn sie ermessen müssen, was nun in der Natur einer Frau oder eines Mannes liege. Und landen bei den ewigen Klischees, die sich herausgebildet haben, seitdem der Mann sich mit brutaler Kraft Vorrechte gesichert hat. Erdogans Erklärungen sind im Wortsinn systemstabilisierend.

Und es bleibt sein persönliches Drama, dass Erdogan oft gutes will, aber das Kind mit dem Bade ausschüttet. Eigentlich wollte er sich bei der Konferenz des Frauenverbands in Istanbul über ein anderes, sehr wichtiges Thema äußern – über die Gewalt gegen Frauen in der Türkei. Gewalt gegen Frauen sei nicht hinnehmbar, sagte Erdogan, und verstoße gegen die Regeln des Islam als „Friedensreligion“. Seine Gastgeberinnen konnten es für ihn nachrechnen: In der Türkei wird fast jeden Tag eine Frau von ihrem Ehemann, einem Verwandten oder ihrem Lebensgefährten getötet. Nach einer Untersuchung des Frauenverbandes Kamer nimmt die Gewalt deutlich zu. Demnach sind in diesem Jahr bereits 260 Frauen in der Türkei getötet worden; im ganzen vergangenen Jahr waren es 214.

Entsprechend bitter fielen die Urteile über Erdogans wichtige Worte aus, die untergingen. „Erdogan hat ja recht, Männer und Frauen sind nicht gleich“, schreibt etwa Michael Reimon auf Twitter. „Dieses Jahr wurden schon 260 türkische Frauen von ihren Männern ermordet.“ Oder Irmak Yenisehirlioglu spottet über Erdogans Erklärversuche: „’Women by their nature are fair, elegant, fragile and...’ Keep talking!“

Bild: Twitter/Michel Reimon
Bild: Twitter/Michel Reimon


Bild: Twitter/IrmakYenisehirlioglu
Bild: Twitter/IrmakYenisehirlioglu


Aber vielleicht überdecken Erdogans Äußerungen nur eine unbewusste Angst, und zwar dass jemand seinen Job als Staatspräsidenten besser machen könnte als er. Und dieser jemand wäre bestimmt eine Frau.