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Führungswechsel in China: Wer bekommt die Macht?

Die Macht in China wird neu verteilt - auf dem 18. Parteitag der chinesischen Kommunisten in Peking. Zum Abschluss des gigantischen einwöchigen Ereignisses sollen die rund 2300 Delegierten einen Generationswechsel in der Führung billigen. Es wird der zweite friedliche Machtwechsel in der Geschichte der Volksrepublik - allerdings ohne freie Wahlen. Yahoo! Nachrichten beantwortet die wichtigsten Fragen rund um den Machtwechsel.
Der Machtkampf hinter den Kulissen in China steht im krassen Gegensatz zur Wahl in den USA, wo viele im Milliardenvolk am Vortag die Wiederwahl von Barack Obama gebannt mitverfolgt hatten. Doch während Barack Obama und Mitt Romney dem Volk am Ende des Wahlkampfes mit ihrer Dauerpräsenz schon fast auf die Nerven gingen, ist der designierte neue Partei- und Staatschef Xi Jinping in China für die meisten Bürger ein Unbekannter. Auch wie genau er ausgewählt worden ist, bleibt Bürgern wie auch in- und ausländischen Medien ein Rätsel.

Fest steht: Auf dem Parteitag werden lediglich die hinter den Kulissen lange vorbereiteten Entscheidungen abgesegnet.

Wer wird der Nachfolger des scheidenden Staats- und Parteichefs Hu Jintao? An der Spitze der "fünften Führungsgeneration", die voraussichtlich am 15. November vorgestellt wird, soll der heutige Vizepräsident Xi Jinping (59) stehen. Er wird damit den 69-jährigen Hu Jintao nach zehn Jahren im Amt ablösen, der jetzt aus Altersgründen seinen Stuhl räumen muss.

Doch wer hat wirklich die Fäden in der Hand? Der einflussreiche frühere Staats- und Parteichef Jiang Zemin (86) hat bei der Neubesetzung der engsten Führung hinter den Kulissen kräftig mitgemischt und scheint heute sogar mehr Macht als sein Nachfolger Hu Jintao zu haben. "Die Rolle der Alten bei der informellen Auswahl der Politbüromitglieder ist immer noch entscheidend", erklärt Jonathan Holslag vom Institut für zeitgenössische Chinaforschung in Brüssel.

Was erwarten die Chinesen von dem neuen Mann?
Proteste von Tibetern, Korruptionsvorwürfe gegen hohe Parteifunktionäre, ein zu niedriges Wirtschaftswachstum: Es gibt eine Menge Probleme, denen sich der designierte Machthaber widmen muss. Was konkret erwarten die Chinesen von diesem Mann? Der Publizist Shi Ming formuliert es gegenüber dem „Deutschlandradio" so: „ Die Chinesen sind nicht mehr in der Erwartung, sondern sie fordern." Die Forderungen reichen demnach von einer neuen Gesellschaftsordnung, weil das Gefälle zwischen Arm und Reich zu groß geworden ist, über eine bessere Sozialvorsorge, soziale Absicherungen, bis hin zu einer radikaleren Liberalisierung der Märkte. Nach Meinung Mings bleibe die Partei jedoch trotz all der Forderungen „fast erstarrt in einem Status quo, von dem alle nur fordern".

Auch François Godement, China-Experte der renommierten Denkfabrik European Council on Foreign Relations, zeigt sich skeptisch: „Die Frage ist, ob die nächste Führungsriege Chinas imstande sein wird, die Veränderungen herbeizuführen, an denen ihre Vorgänger gescheitert sind. Dazu gehört die Stärkung der Binnenwirtschaft. Aber kann es der neuen Führung wirklich gelingen, die private Nachfrage, die Einkommen der Haushalte und die Lebensqualität der Chinesen zu stärken, wo es doch sehr mächtige Interessen gibt, die vom bisherigen, exportorientierten Wachstumsmodell profitieren?", so Godement in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau".

Gibt es eine realistische Chance auf ein Ende der Korruption in China?
Angeblich wollen Chinas Kommunisten Lehren aus den jüngsten Skandalen ihrer Spitzenpolitiker ziehen. Der scheidende Staats- und Parteichef Hu Jintao hat den Kampf gegen Korruption in seiner Abschiedsrede gar zur Überlebensfrage erklärt. "Wenn wir nicht richtig mit diesem Problem umgehen, könnte es sich für die Partei als fatal erweisen und sogar den Zusammenbruch von Partei und Staat auslösen", sagte er am Donnerstag zur Eröffnung des Parteikongresses in der Großen Halle des Volkes in Peking.

Der Machtwechsel wurde im Vorfeld von schweren Korruptionsskandalen überschattet: Dem gestürzten Spitzenpolitiker Bo Xilai, dem einst gute Aussichten auf einen Aufstieg in die neue Führung nachgesagt worden waren, soll der Prozess wegen Korruption und Amtsmissbrauch gemacht werden. Seine Frau erhielt im August wegen der Ermordung eines befreundeten britischen Geschäftsmannes eine Todesstrafe auf Bewährung. Shi Ming, freier Journalist und Publizist in Deutschland, äußert sich zu den Absichten, der Korruption ein Ende zu setzen, im „Deutschlandfunk"-Interview allerdings skeptisch. Die Korruption werde nur noch schlimmer. Auch über Xi Jinping, den neuen Mann, liege dem Fernsehsender Bloomberg ein Bericht vor, wonach seine Familie bereits eine halbe Milliarde Dollar angehäuft habe. Er müsste in diesem Punkt also quasi gegen sich selber ankämpfen.

Gibt es in der Bevölkerung Proteste?
Nach sechs Selbstverbrennungen von Tibetern aus Protest gegen die chinesische Herrschaft sind in Westchina schwere Unruhen ausgebrochen. Nie zuvor haben sich in so kurzer Zeit so viele Tibeter selbst angezündet. Tausende Tibeter, darunter viele Jugendliche, demonstrierten am Freitag im Kreis Tongren in der Provinz Qinghai, wie die exiltibetische Regierung aus Indien und örtliche Bewohner der Nachrichtenagentur dpa telefonisch berichteten.

"Chinas Tibet-Politik ist gescheitert", resümiert der Asienreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Ulrich Delius. "Ohne ein deutliches Zeichen echter Dialogbereitschaft der chinesischen Machthaber wird die Welle der entsetzlichen Selbstverbrennungen nicht abebben."

Mit welchen Regulierungen und „Sicherheitsmaßnahmen" muss die Bevölkerung während des Parteitages leben?

Nichts soll den jahrelang vorbereiteten, perfekt durchorganisierten Parteitag stören: Aus Angst vor Zwischenfällen hat die Kommunistische Partei Chinas teilweise skurril anmutende Sicherheitsmaßnahmen durchgesetzt. Sie gehen so weit, dass Züchter ihre Tauben nicht mehr fliegen lassen sollen, Pekinger dürfen auch keine Drachen steigen lassen. Geschäfte haben Modellflugzeuge aus den Regalen nehmen müssen. Selbst Küchenmesser dürfen nicht verkauft werden. Taxifahrer mussten Fensterkurbeln hinten im Auto abmontieren, damit Fahrgäste keine Flugblätter aus dem Fenster werfen können. Es habe Zwischenfälle gegeben, wo Passagiere sowohl Flugblätter als auch beschriftete Tischtennisbälle herausgeworfen hätten, berichtete die Zeitung "Global Times".

Es ist der erste Machtwechsel in China im Zeitalter der sozialen Medien: Auch das in der Volksrepublik ohnehin langsame und stark zensierte Internet wurde durch zusätzliche Filter noch weiter ausgebremst. Trotz Zensur und Manipulation durch die Propaganda haben sich jedoch die Weibo genannten, twitterähnlichen Mikroblogs zu einer Plattform entwickelt, auf der sich eine öffentliche Meinung bilden kann. Mehr als die Hälfte der rund 500 Millionen Internetuser nutzen sie.

Kritiker werden mundtot gemacht
Rund 130 Bürgerrechtler wurden nach Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen festgenommen, unter Hausarrest gestellt oder aus Peking weggebracht. Amnesty International forderte ein sofortiges Ende der Verfolgung. "Während sich eine neue Führung auf die Machtübernahme vorbereitet, beobachten wir dieselben alten Muster von Repression wie im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking 2008 oder der Nobelpreisvergabe an Liu Xiaobo 2010", so der China-Experte Dirk Pleiter.

Wer kommandiert künftig das Militär?
Behält Hu Jintao nach seinem Rückzug als Chinas Staats- und Parteichef vorerst weiter das Oberkommando über das Militär der aufstrebenden Großmacht? Keine andere Frage wird auf dem laufenden Parteitag der chinesischen Kommunisten in Peking heißer diskutiert. Viele Experten glauben, dass es tatsächlich so kommen wird. Andererseits erscheint der scheidende Parteichef durch die Korruptionsskandale und den Machtkampf um die neue Führungsmannschaft geschwächt. "Er wird sich sofort zurückziehen", glaubt deshalb der Politikprofessor Zhang Ming von der Volksuniversität. Wie viele andere Fragen rund um den Parteitag bleibt also auch diese vorerst offen.

Mit Material von dpa und dapd