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Gewalt in Flüchtlingsheimen: Gründe und mögliche Lösungen

Polizist erschießt Mann in Sachsen-Anhalt (Bild: dpa)

 

Von Tag zu Tag nehmen Konflikte in den Erstaufnahmen zu. Die aktuelle Lage erfordert schnelle Antworten – um Fehler der Vergangenheit zu vermeiden.

Eine Analyse von Jan Rübel

Die Nachrichten erschrecken: Allein gestern kam es in Flüchtlingsunterkünften in Braunschweig und in Hamburg zu Prügeleien – mit Dutzenden Beteiligter; die Polizei fuhr ein Großaufgebot auf. Hilfsorganisationen berichten von sexuellen Übergriffen gegen Frauen in Erstaufnahmen. Es brodelt in den Einrichtungen.

Eine Überraschung ist das nicht. Die Aufnahme von vielen Flüchtlingen in kurzer Zeit schafft eine besondere Lage, Turnhallen und Kasernen verwandeln sich im Nu in kleine Dörfer. Dass solch ein Zusammentreff von Menschen auf engstem Raum zum reinen Häkeltreff würde, wäre eine naive Vorstellung.

Nehmen wir einmal an, ein plötzliches Erdbeben zieht sich von Spanien über Frankreich, Holland, Deutschland und Polen. In Bayern würden große Aufnahmeeinrichtungen geschaffen, in denen vor dem Beben geflüchtete Spanier, Franzosen, Holländer, Norddeutsche und Polen untergebracht werden. Wie wäre solches Leben vorstellbar? Würden alle gemütlich Bingo miteinander spielen? Die Franzosen würden das Essen bemäkeln – meinen die Anderen. Die Spanier würden nicht aufräumen – meinen die Anderen. Die Holländer würden die Deutschen verachten – meinen die Deutschen. Die Deutschen würden alle herumkommandieren – meinen die Holländer. Und die Polen stecken ein, was sie können – meinen die Nachbarn dieser Heime, die zwar nichts gesehen haben, aber sich sicher sind, dass dem so sein muss. Probleme und Konflikte wären vorprogrammiert.

In den Heimen prallt vieles aufeinander

Im realen Fall kommt hinzu, dass es viele junge Männer unter den Flüchtlingen gibt. Diese Gruppe gehört rein statistisch, überall auf diesem Planeten, zu den potenziellen Troublekids. Und viele von ihnen haben eine harte Tour hinter sich, sind dem Ertrinken im Meer oder dem Ersticken im Lkw entronnen. Das macht hart. Sie haben so viel hinter sich gelassen. Und viele kommen aus Gegenden voller Gewalt und Terror, sind gezeichnet davon. Kommen dann zahlreiche von ihnen unter ein Dach – so ist es ein Wunder, dass es bisher nicht zu mehr Gewalt gekommen ist.

Leidtragende dieser Entwicklung sind die Sicherheitskräfte. Die Zahl der "Konfrontationsunfälle" von Sicherheitsleuten in Flüchtlingsunterkünften habe in den ersten sieben Monaten dieses Jahres im Vergleich zum gesamten Vorjahr um 70 Prozent zugenommen, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft (BDSW), Harald Olschok, der "Welt". Und je länger die Bearbeitung der Asylanträge dauert und je mehr Flüchtlinge ankommen, desto öfter wird es zu Gewalt kommen.

Also, was tun? Zum einen das Problem benennen. Wo es zum Konflikt kommt, berichten die Medien darüber. Es wird nichts verschwiegen und nichts tabuisiert. In den Sozialen Medien wird immer wieder gemutmaßt, die Gewaltfälle würden unter der Decke gehalten. Den Beweis dafür hat bisher niemand vorgelegt. Und es macht auch keinen Sinn, „Verharmlosungen“ zu befürchten, wo keine sind – wie es der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, in seiner typischen Art pflegt. Wendt hat sich seit Jahren als notorischer Übertreiber erwiesen. So oft lag er schon daneben und wurden seine Mahnungen von der Wirklichkeit nicht gespiegelt.

Eine Mitmachkultur muss her

Zum anderen muss das Leben in den Heimen verändert werden. Eine dezentrale Unterbringung wäre am besten, ist angesichts der hohen Anzahl an Flüchtlingen indes leider nicht grundsätzlich machbar. Aber der Umgang mit den Flüchtlingen müsste sich ändern.

Wer mit ihnen spricht, weiß: Die brennen dafür, endlich loszulegen. Zu arbeiten, sich einzubringen. Das Leben in den Heimen ist Langeweile pur. Sie sind zu Passivität verurteilt, da staut sich manches – auch Frust, der sich dann zuweilen in Gewalt entlädt. Neben der Willkommenskultur, die übrigens zu einem ersten überwiegend guten Start geführt hat, die zu einer überwiegend positiven Identifikation der Flüchtlinge mit der Polizei als „ihre“ neue Ordnungskraft geführt hat – diese Willkommenskultur braucht nun eine neue Mitmachkultur.

Warum werden die Flüchtlinge nicht zur Mitarbeit aufgefordert? Warum übernehmen sie nicht Aufgaben zur Selbstverwaltung des Unterkunftsalltags – immer in enger Kooperation mit den Behörden und anderen Dienstleistern sowie einer steten Kontrolle? Soll die Gewalt in den Heimen nicht zunehmen, brauchen Flüchtlinge ein Verantwortungsgefühl – dann leben sie nicht mehr isoliert wie neben der Gesellschaft, sondern bewegen sich in sie hinein. Raschere Bearbeitung der Asylanträge, schnelle Arbeitsmöglichkeiten und mehr Verantwortung in den Unterkünften – das sind die möglichen Lösungen. Oder wie Kanzlerin Angela Merkel sagte: Wir schaffen das. Im Wortsinne.

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