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Merkel lächelt Anne Will über den Haufen

Die Kanzlerin präsentierte sich als Macherin. (Bild: dpa)

Eisern lächelte die Kanzlerin beim TV-Talk im Ersten. Moderatorin Anne Will gingen da die Fragen aus. Und Merkel beschränkt sich bei der Flüchtlingsdebatte auf Volkshypnose.

Eine Fernsehkritik von Jan Rübel

Mächtig war dieser Auftritt im vornherein aufgeladen worden: Die Kanzlerin solle endlich eine Rede an die Nation halten, ihr Stuhl wackele, sie solle sich erklären – so der Tenor nicht weniger Medien. Also begab sich Angela Merkel (CDU) ins Fernsehstudio von Anne Will.

Einziges Thema ihres Ein-Personen-Auftritts war die Flüchtlingsdebatte. In Deutschland ruckelt es ob der Einreise der vielen Menschen. Vielleicht wollte Merkel also tatsächlich etwas loswerden, eine Botschaft formulieren. Am Ende aber blieb der Zuschauer nicht wesentlich informierter zurück.
Merkel ist berüchtigt als verbale Nebelmaschine. Kaum jemand entscheidet derart ungeniert, auf genaue und konkrete Fragen mit vielen Worten nicht zu antworten wie sie. Interviews mit ihr geraten in der Regel zum Nullsummenspiel. Dass Merkel diese Mediennummer diesmal nicht spielen sollte, hatte sie wohl verstanden, zumindest nahm sie die Einladung der Redaktion von Günther Jauch nicht an und ging zu Anne Will. Ersterer ist selbst ein wahrer Champion im Phrasendreschen – Jauch und Merkel im Duett sind wie Stan & Olli: Wo sie auftreten, geht erstmal alles schief. Anne Will hat da kritischere Fragen im Köcher – und sie hakt schon mal nach. Merkel hatte sich also womöglich einiges vorgenommen. Aber nur manchmal hinterließ sie einen starken Eindruck.

Merkel wollte beruhigen und ermutigen

Ihre ersten Worte: „Wir schaffen das.“ Und ihre letzten am Ende der Sendung: „Ich habe überhaupt keine Zweifel, dass wir das nicht hinkriegen.“ Gerade in den ersten Minuten hatte die Kanzlerin Mühe, einen klaren Kurs einzuschlagen. Will löcherte sie nach der Machbarkeit ihrer Politik der offenen Tür, und Merkel eierte: „Wenn wir das schaffen wollen, und wir sind ein starkes Land, und so herangehen, dass man es schafft, und dann kann man es schaffen.“

Danach war man erstmal geschafft.

Vielleicht wollte sie sagen: Wo ein Wille, da ein Weg. Aber zu dem Zeitpunkt hatte der Zuschauer noch nicht seinen intergalaktischen Universaldolmetscher ins Ohr gesteckt.

Wenig später sagte Merkel: „Ja, ich habe einen Plan.“ Den zu offenbaren blieb sie indes im Verlauf der Sendung schuldig. Aber vielleicht ist der ganze Auftritt ein einziges Missverständnis gewesen, und das nicht nur von Merkel.

Was ist so dringend zu erklären? Gibt es einen Masterplan zum Management einer Masseneinwanderung? Braucht es tatsächlich eine „Rede an die Nation“? Nicht einmal die Aussage, Merkels Stuhl wackele, ist wirklich gerechtfertigt: Schlechtere Umfragewerte sagen nichts – wären sie ein realer Gradmesser, hätte die SPD sich längst aufgelöst.

So ging es Merkel wohl mit dem Auftritt in erster Linie um Massenberuhigung. Um eine breite Untermalung ihres berühmt gewordenen Ausspruchs „Wir schaffen das.“

Merkel als Macherin

Nebenbei sagte Merkel, womöglich unbeabsichtigt, starke und richtige Sätze. „Wir alle sind in eine bestimmte Situation gestellt“ war so einer, er drückte die globalen Kräfte aus, denen wir uns nur entziehen können, wenn wir in nationale Wolkenkuckucksheime fliehen. Und sie wurde klar, wenn sie ein klares Nein sprach: Aufnahmestopp an deutschen Grenzen? „Wie soll das funktionieren?“ War ihr Selfie-Foto mit einem Flüchtling eine zu offene Botschaft, alle mögen sich nach Deutschland aufmachen? „Nehmen Menschen das Risiko einer Flucht wegen eines Selfies auf sich? Das glaube ich nicht.“ Und das Mosern der CSU und ihres Chefs Horst Seehofer? „Er gibt etwas wieder, was viele denken: Dass sie nicht wissen, was morgen ist. Das weiß ich auch nicht.“ Und weiter zu Seehofers Unkenrufen: „Artikulation – das ist nicht meine Aufgabe. Ich muss das Problem lösen.“ Galanter lässt sich die CSU kaum demontieren.

Die Kanzlerin präsentierte sich als Macherin, „jetzt habe ich eine schwere Aufgabe“. Und sie verdeutlichte, dass sie sich in Sachen Flüchtlingspolitik nicht davonmachen wird. Wohl und Wehe der offenen Grenzen wird darüber entscheiden, welchen Eingang Merkel in den Geschichtsbüchern findet.

Anne Will blieb während dieser Sendung kraftlos. Vielleicht lag es daran, dass man ihr die kritischen Fragen zur „Willkommenskultur“ nicht abnehmen mochte. Es klang unaufrichtig und überdreht, wenn Will fragte, ob das „Wir schaffen das“ nicht in „Ich schaffe das“ geändert müsse. Dass Merkel allein gegen 80 Millionen Deutsche steht, ist dann etwas zu viel der Dramatisierung. Richtig blöd gerieten Wills Manöver gegen Ende der Sendung. „Was bleibt noch vom ‚Wir‘?“, wollte sie wissen. Merkel konterte kühl. „Ganz viele Menschen. Ich verstehe die Frage vielleicht nicht.“ So mancher mit ihr nicht. Die Rede an die Nation – sie fiel aus. Aber gut, dass wir mal darüber geredet haben.

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