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Mollaths Verdienst


Das Regensburger Wiederaufnahmeverfahren war ein Wiedergutmachungsverfahren. Das Gericht erforschte an 15 Verhandlungstagen so gründlich die Wahrheit, wie es die Regel und nicht die Ausnahme sein muss, wenn es um die Existenz eines Menschen geht. Richterin Elke Escher hat richterliche Unabhängigkeit bewiesen und ein mutiges Urteil gesprochen. Zugleich hat sie die Gerichtspsychiatrie und die Justiz rehabilitiert. Manche werden in ihrem Urteil nun die Fortsetzung des "Vernichtungsfeldzuges" gegen Mollath sehen, wie einer seiner Unterstützer das Urteil sogleich kommentierte. Das Gegenteil ist der Fall.

Der Freispruch für Mollath war gesetzt. Das Urteil in einem Wiederaufnahmeprozess zugunsten eines Angeklagten darf nicht härter ausfallen als das Urteil im Ursprungsprozess, das ein Freispruch wegen Schuldunfähigkeit war. Mutig aber ist, dass das Gericht zu der Feststellung kommt: Mollath hat seine Frau 2001 misshandelt und sei zum Tatzeitpunkt vielleicht psychisch krank gewesen. Wer so etwas zuletzt öffentlich für möglich hielt, sah sich Anfeindungen ausgesetzt. Auch wenn die angeblichen Schwarzgeldverschiebungen, die Mollath seiner Exfrau und der Hypovereinsbank unterstellt, nie nachgewiesen wurden, wurde an Mollaths Opferstatus selten gerüttelt. Doch auch wer sich gegen Waffen, für Frieden und Steuerehrlichkeit einsetzt, darf trotzdem nicht seine Frau würgen. Petra M. ist das Opfer ihres Mannes, nicht umgekehrt. Ein Opfer aber bleibt auch Mollath.

Die Richterin hat Mollath nun bescheinigt, keine Gefahr für die Allgemeinheit zu sein. Auch Anlass für eine Unterbringung in der Psychiatrie gibt es nicht, urteilte das Gericht. Das heißt: Die Nürnberger Richter irrten, als sie Mollath im August 2006 für Jahre in die Psychiatrie steckten. Ihr Urteil war ein Fehlurteil. Demnach waren auch alle folgenden psychiatrischen Gutachten, die Mollath immer wieder eine Gefährlichkeit bescheinigten und seine Entlassung aus der Klinik verhinderten, Fehlgutachten. Und deswegen macht der Fall Mollath Angst.

Es scheint so furchtbar einfach zu sein, für verrückt erklärt und weggesperrt zu werden. Im Fall Mollath brauchten die Richter 2006 in Nürnberg nicht einmal einen Tag, um ihn für wahnkrank und gemeingefährlich zu erklären und ihn für Jahre in die Psychiatrie zu stecken. Ihn da wieder herauszuholen, bedurfte deutlich mehr Zeit und Mühe.

Wie ist es eigentlich zu rechtfertigen, dass Straftäter, die wegen einer psychiatrischen Erkrankung nicht im Gefängnis, sondern in der Psychiatrie landen, dort meist wesentlich länger eingesperrt sind, als sie im Gefängnis gesessen hätten? Sind psychiatrischen Gutachter per se unfähig? Sind Schuldfähigkeits- und Gefährlichkeitsgutachten reine Kaffeesatzleserei, wie manche meinen? Ist Psychiatrie nicht Wissenschaft, sondern Humbug? Nein.

Psychiatrische Gutachten sind kein Angriff auf die Menschenwürde, wie es vor dem Regensburger Gerichtsgebäude zu lesen war. Die Beteiligung von Psychiatern an Gerichtsverfahren ist vielmehr eine Errungenschaft des Rechtsstaates. Das deutsche Strafrecht beruht auf dem Schuld- und Verantwortungsprinzip. Wer etwa aufgrund einer psychischen Erkrankung ohne Schuld handelt, kann nicht bestraft werden. Der Gutachter ist Helfer des Gerichts, das nicht über die notwenige Expertise verfügt. Doch was aus der sachverständigen Beurteilung wird, liegt ganz allein in der Verantwortung der Richter. So wie kein Verteidiger je einem Mörder zur Freiheit verholfen hat, hat auch kein Psychiater je einen psychisch Gesunden in die Psychiatrie gebracht. Die Entscheidung treffen ganz allein die Richter. Ein schuldunfähiger Täter landet dann im Zweifel in der Psychiatrie. Und da liegt das Problem.

Eine Art Mahnmal prangerte in Regensburg Prozesstag für Prozesstag die Zustände in der Psychiatrie an. Vermeintliche oder echte Opfer von Justiz und Psychiatrie verteilten Zettel. Mollaths Prozess hat einigen der Schwächsten der Gesellschaft eine Bühne bereitet: den Psychiatriebetroffenen. Menschen, die das Stigma psychisch krank haben, droht noch immer das gesellschaftliche Abseits. Kommt zur psychischen Störung noch eine Straftat hinzu, wird es vielen vollends zu unheimlich. Da guckt man lieber weg - oder demonstriert vor ihren Häusern. Nicht um Solidarität zu bekunden, sondern sie aus der Nachbarschaft zu verscheuchen.

"Wegschließen - und zwar für immer" - der unverantwortliche Satz von 2001 des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder, gemünzt auf Sexualstraftäter, dürfte noch immer auf große Zustimmung stoßen. Kommt ein psychisch kranker Straftäter doch einmal frei und wird erneut straffällig, ist das die Katastrophe. Also wird im Zweifel gegen die Freiheit des Psychiatrieinsassen entschieden. Sicherheit geht vor. Aus dem "Im Zweifel für den Angeklagten" vor Gericht, wird im Maßregelvollzug "Im Zweifel für die Sicherheit". Die Gesellschaft schien sich daran bis vor Kurzem kaum zu stören. Dann kam Mollath.

Gustl Mollath hat - ob gewollt oder nicht - ein tabuisiertes Thema in den Fokus gerückt: Es ist an der Zeit, unseren Umgang mit psychisch kranken Straftätern zu hinterfragen. Das hat sein Fall nachdrücklich deutlich gemacht. Und das ist sein Verdienst.