Schlingerkurs- und Spaltungsschelte: Kritik an Libyen-Politik wächst

Die Vorwürfe, die sich die Bundesregierung aufgrund ihrer Libyen-Politik anhören muss, werden immer heftiger. Jetzt übt sogar der frühere Außenminister Joschka Fischer scharfe Kritik an der Haltung von Schwarz-Gelb. Doch auch die Opposition bleibt nicht verschont: Zur Einstellung der Grünen in der Libyen-Frage erklärte Daniel Cohn-Bendit, Grünen-Fraktionschef im Europa-Parlament, er verstehe seine eigene Partei nicht mehr.

Ganz anders als sein Kollege Guido Westerwelle (FDP), war Grünen-Politiker Joschka Fischer als Bundesaußenminister sehr beliebt. Zwar blieb auch Fischer während seiner Amtszeit nicht fehlerfrei. Doch durch seine oft dickköpfige Haltung, die er allerdings meist mit guten Argumenten untermauerte, konnte er die Menschen für sich gewinnen. Auf dem internationalen Parkett wusste er ebenso zu beindrucken - auch damit, dass er in schwierigen Situationen nicht ohne Weiteres klein beigab, sondern seine Haltung überzeugend zu verteidigen wusste.

Krise in Libyen: Verfolgen Sie alle aktuellen Entwicklungen im Yahoo! Nachrichten Spezial

Gerade vor diesem Hintergrund sitzt die Kritik, die Fischer nun an der schwarz-gelben Libyen-Politik in einem Beitrag für die „Süddeutsche Zeitung" übt, tief. Darin bezeichnet er die aktuelle Außenpolitik „als Farce", als „skandalösen Fehler". Mit der Enthaltung im UN-Sicherheitsrat habe die deutsche Politik „in den Vereinten Nationen und im Nahen Osten ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt, der Anspruch der Bundesrepublik auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat wurde soeben endgültig in die Tonne getreten." Er schäme sich für das Versagen der Bundesregierung. „Mit einer an Werte gebundenen Außenpolitik und mit deutschen und europäischen Interessen konnte das nicht viel zu tun gehabt haben." Besonders Guido Westerwelle werden diese Vorwürfe treffen, der ohnehin in den Augen vieler Menschen vieles falsch zu machen scheint.

Auch von der Opposition muss sich die Bundesregierung aktuell harsche Kritik an ihrer Libyen-Politik gefallen lassen. Bereits am Montag zeigte die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk" kein Verständnis für die Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat. Sie warf Schwarz-Gelb „eine ziemliche Eierei" vor. „Es wäre wesentlich besser gewesen, Europa hätte sich hier nicht gespalten, sondern England, Frankreich und Deutschland hätten hier eine gemeinsame Linie verfolgt." Doch auch innerhalb der Partei gibt es keine gemeinsame Linie. Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, erklärte im ZDF-Morgenmagazin, dass seitens der SPD in der Frage keine deutschen Soldaten nach Libyen zu schicken „Konsens mit der Bundesregierung" bestehe. Trotzdem wurde Westerwelles Verhalten bemängelt. Wenn der Außenminister „hinterher hingeht und sich als Friedensengel, als europäische Friedensmacht präsentiert und dadurch gleichzeitig die anderen im Bündnis, die anderer Meinung sind, diskreditiert (...) vertieft er die Spaltung im Bündnis. Das ist nicht gut für Deutschland." Die Enthaltung der Bundesregierung habe aber auch dazu beigetragen, „dass Deutschland bei diesem Konflikt jetzt nicht mitreden" könne.

Die Grünen überzeugen in dieser Frage ebenfalls nicht durch Geschlossenheit. Zunächst befürworteten die Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin und Renate Künast die Entscheidung der Bundesregierung zur UN-Enthaltung. Dann schlug Cem Özdemir plötzlich andere Töne an und kritisierte die schwarz-gelbe Haltung. Die Opposition scheint sich selbst auf einem Schlingerkurs zu befinden.

Zu dem Hin- und Her seiner Kollegen ließ Daniel Cohn-Bendit, Grünen-Fraktionschef im Europa-Parlament, in einem „Spiegel"-Interview verlauten, er verstehe seine Partei nicht mehr. Glücklicherweise sei sie dann doch umgeschwenkt: „Im letzten Moment haben die gestandenen Realos und einige andere, auch Entwicklungspolitiker, der Partei- und Fraktionsführung gesagt: Jetzt ist Schluss mit Eurem Unsinn - wir müssen uns von der Bundesregierung distanzieren." Das Argument Merkels, Deutschland dürfe nicht in ein militärisches Abenteuer verwickelt werden, lasse er nicht gelten: „In so einer Situation gibt es immer Risiken. [...] Aber die Bedingungen in Libyen sind doch ganz eigene: Hier geht es um eine Befreiungsbewegung, die es fast aus eigener Kraft geschafft hätte, einen Diktator zu stürzen. Da haben wir beinahe eine einmalige Chance verpasst." Außerdem warf er der Bundesregierung vor, aus innerpolitischen Motiven zu agieren: „Weil sie Angst vor den Landtagswahlen haben, insbesondere in Baden-Württemberg, wo selbst das klassische Bürgertum friedensbewegt ist."

Während Deutschland noch über die richtige Libyen-Politik streitet, zeichnet sich nach Berichten von „Spiegel Online" derzeit immerhin im Streit um eine Beteiligung der Nato am Libyen-Einsatz ein Kompromiss ab. Demnach könnte es nun zu einer Beteiligung des Bündnisses an der Flugverbotszone kommen. Mittlerweile soll auch Deutschland, das dem Nato-Einsatz kritisch gegenübersteht, Zustimmung signalisieren.

Was meinen Sie: Die Kritik an der deutschen Außenpolitik wächst. Handeln Merkel und Co. in dieser Frage tatsächlich, wie von Cohn-Bendit vorgeworfen, aus innerpolitischen Beweggründen? Und riskiert die Bundesrepublik tatsächlich die Möglichkeit auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat? Allerdings zeigt auch das Verhalten der Opposition, dass es dort dazu keine klare Linie gibt. Welche Ansicht vertreten Sie? Wir freuen uns über Ihre Beiträge.