Unheimliches Vertrauen zum Spitzel – und der Neonazi lacht

Thüringen will V-Leute abschalten
Thüringen will V-Leute abschalten

V-Leute sind keine Polizisten, auch keine Verfassungsschützer. Sie gehören zu der Szene, die sie gegen Geld an den Verfassungsschutz oder die Ermittlungsbehörden verraten sollen: Neonazis, Linksextremisten, Islamisten, Rocker, Drogenmafia. Das V in ihrem Namen steht für Vertrauen. Zu oft aber ist Misstrauen angebrachter. Thüringen zieht die Konsequenz.

Von Wiebke Ramm

Das V im Wort V-Leute steht für Vertrauen – für das Vertrauen des Staates in Menschen, die gegen Geld ihre Kameraden in der Neonaziszene, der linksextremen Szene, der islamistischen Szene, bei den Hells Angels, bei anderen Rockergruppen oder auch aus dem Drogenbereich verraten. V-Leute sind keine Polizisten, sie sind auch keine Beamten des Verfassungsschutzes. Sie sind Privatpersonen, die selbst zu derjenigen Szene gehören, für die sich die Behörden interessieren. Dass das kaum gut gehen kann, hat Thüringen erkannt – als erstes Bundesland will es künftig ohne V-Leute auskommen. Thüringen misstraut den Vertrauensleuten. Aus gutem Grund.

Der thüringische Verfassungsschutz soll künftig bloß noch „in begründeten Einzelfällen zum Zweck der Terrorismusbekämpfung“ auf Informationen von V-Leuten zurückgreifen. Sie Abschaffung der V-Leute sei eine „Konsequenz aus den abscheulichen Verbrechen“ der rechtsextremen Terrorzelle NSU, hatte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) erklärt.

Tino Brandt im Jahr 2001
Tino Brandt im Jahr 2001

Der wohl bekannteste V-Mann Deutschlands ist Tino Brandt. Über Jahre hat Brandt für den Thüringer Verfassungsschutz die Neonaziszene ausspioniert. Dafür bekam er insgesamt rund 200.000 D-Mark vom Staat. Das Geld hat Brandt, der noch heute überzeugter Rechtsextremist ist, nach eigenen Angaben in die Neonaziszene gesteckt. Brandt gab dem Verfassungsschutz auch Hinweise auf die mutmaßlichen NSU-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Zu ihrer Festnahme führten seine Angaben nicht. Dass der NSU über Jahre unentdeckt morden, Banken ausrauben und Sprengstoffanschläge verüben konnte, haben auch die Hinweise der mehr als ein Dutzend weiterer V-Leute nicht verhindert.

Was sind Spitzel?

Spitzel sollen Ermittlungsbehörden bei der Bekämpfung von Terrorismus und anderen schweren Straftaten helfen. In Milieus, die sich aus naheliegenden Gründen besonders konspirativ verhalten, sollen sie Polizei und Geheimdienst Einblicke gewähren, die sie aus ihrer Sicht anders nicht bekämen. Je verschworener eine Gruppierung, umso größer die Freude der Geheimdienste und Ermittler, wenn einer zum Verräter wird. Nicht immer währt die Freude lang. Spätestens im Gerichtsprozess kommt es regelmäßig zum Streit über die Verwertbarkeit der Aussagen dieser Informanten. Umsichtige Richter vermeiden es in der Regel ganz, ihre Urteile auf die Aussage von V-Leuten zu stützen. Denn sie können den rechtmäßigen Einsatz dieser Spitzel kaum kontrollieren. Allzu oft heißt es vom Verfassungsschutz: Zum Schutz der Quelle seien nähere Angaben zur V-Person leider nicht möglich. Kontrolle sieht anders aus.

Fragwürdige Glaubwürdigkeit bei Informanten


Die RAF galt dem Bundeskriminalamt und dem Verfassungsschutz als Fort Knox. Von außen war kaum ein Eindringen möglich. Im RAF-Prozess gegen die frühere RAF-Terroristin Verena Becker wegen des Mordes an Generalbundesanwalt Siegfried Buback trat im November 2011 ein Zeuge auf, der dennoch behauptete, einst V-Mann des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz gewesen zu sein. Er habe etwa ein Jahr nach dem Anschlag den damaligen RAF-Terroristen Christian Klar getroffen. Und da habe dieser ihm verraten, dass Becker die Todesschützin gewesen sei, die am 7. April 1977 Buback erschoss. Dass Klar ausgerechnet gegenüber einem wildfremden Menschen das Schweigegebot der RAF bricht, glaubte ihm der Verfassungsschutz damals offenbar genauso wenig wie Jahrzehnte später die Richter in Stuttgart. Der Mann wirkte vor Gericht weniger glaubwürdig als geltungsbedürftig. Eine Eigenschaft, die auch bei anderen Informanten auffällt.

Viele Spitzel zeichnet eine ungute Mischung aus Geltungssucht, einen Hang zum Schwafeln und Geldnot aus. Wenn aber bezahlte Zeugen der Wahrheitsfindung dienen sollen, liegt das Problem auf der Hand. Das zeigt ein anderes Beispiel aus Berlin.
Einer „der größten Erfolge bei der Bekämpfung des internationalen Drogenschmuggels der letzten Jahre“, jubelten Zoll und Ermittler, als der Betreiber eines türkischen Cafés in Berlin 2011 mit fast 100 Kilogramm Kokain in Bremerhaven erwischt wird. Dass es zu dem Drogengeschäft erst durch die tatkräftige Mithilfe eines V-Mannes des Berliner Landeskriminalamtes gekommen ist, erwähnten sie nicht. Vor Gericht endete der Fall im Fiasko.

Angefangen hatte alles mit einem Hinweis eines Mannes an das Zollfahndungsamt Hannover. Namik A. handele im großen Stil mit Heroin, hieß es. Ein Verdacht, der sich nie bewahrheitete. Trotzdem wurde ein V-Mann in Namik A.s Café eingeschleust. Es gab nie Heroin und auch nie Hinweise auf irgendwelche Kontakte zu Drogenlieferanten. Der V-Mann aber gab nicht auf. Dass sich die Höhe seines Honorars nach der gefundenen Drogenmenge richtet, dürfte dabei eine Rolle gespielt haben. Der Informant sorgte schließlich selbst dafür, dass Namik A. mit Drogenlieferanten aus Südamerika ins Geschäft kommen konnte. Wegen dieser „rechtsstaatswidrigen Tatprovokation“ verurteilten die Richter Namik A. 2012 nur zu einer Freiheitsstrafe von knapp viereinhalb Jahren. Der V-Mann bescherte Namik A. durch sein Verhalten damit einen Strafnachlass von mehr als fünf Jahren.

Verdeckte Ermittler statt V-Leute?

Dubiose Szeneleute sind immer die schlechtere Alternative zu verdeckten Ermittlern, also zu Polizeibeamten, die sich unter falschen Angaben in eine Gruppe begeben. Verdeckte Ermittler kosten dem Staat viel Geld. Und es dauert, bis sie das Vertrauen einer misstrauischen Gemeinschaft erlangen. Doch sie haben entscheidende Vorteile: Ihre Demokratietreue steht nicht infrage und als Beamte mit festem Gehalt erzählen sie gegen Geld oder für ihr Ego auch nicht alles Mögliche.

Tino Brandt, der Neonazispitzel im NSU-Komplex, rühmt sich übrigens bis heute damit, dass er den Verfassungsschutzmitarbeitern immer nur das gesagt habe, was sie eh schon wussten. Es gibt den Mitschnitt eines entsprechenden Gesprächs zwischen Brandt und zwei anderen Neonazis. Als sie über das viele Geld reden, das Brandt vom Staat bekommen hat, lachen die drei Neonazis sehr.

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