Unser größter Feind ist unsere Angst

Schweigeminute in Frankreich und dem Rest Europas (Bild: dpa)
Schweigeminute in Frankreich und dem Rest Europas (Bild: dpa)

Die Terrornacht vom vergangenen Freitag hat Paris gezeichnet. Schrecken – das wollen Terroristen verbreiten. Handeln wir nun aus Angst heraus, tun wir ihnen den größten Gefallen. Unsere Werte, die sie hassen, liegen woanders.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Ein Böller genügte, um einen Straßenzug in Panik zu versetzen. Paris setzt seit den Anschlägen vom vergangenen Freitag zwar ein Zeichen des zivilen Trotzes nach dem anderen: Die Bars und Restaurants sind voll, die Menschen auf der Straße. Und dennoch ist diese Demonstration der Würde fragil, sitzt die Angst tief – Gerüchte über eine Schießerei hier, und Menschen rennen. Ein Böllerknall dort, und Menschen rennen. Normal ist in Paris gar nichts in diesen Tagen.

Dennoch wird Paris obsiegen, sich durch den Terror nicht kleinkriegen lassen. Diese große Stadt hat in ihrer langen Geschichte manchen Schrecken hinter sich gelassen. Die Attentäter von der Schreckenstruppe „Islamischer Staat“ (IS) wünschen uns in den Bunkern, den Helm auf. Das würde sie aufwerten, sie uns irgendwie ebenbürtig machen. Der IS frohlockt, wenn wir nun vom Krieg reden. Das machte ihn größer. Und leider fallen nicht wenige auf diesen Terrortrick herein.

Da sind die einen, die erst einmal keinen Stein mehr auf dem anderen sehen. „Alles ist anders!“, ruft zum Beispiel Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU). Mit radikalen Bestandsaufnahmen, so die Hoffnung, lassen sich radikale Slogans rechtfertigen. Doch die Erfahrung zeigt: Schon kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kursierte das Wort, nichts sei nun mehr, wie es einmal war. Das stellte sich als Quatsch heraus – und wer dies damals am lautesten rief, hatte am allerwenigsten diesen Konflikt verstanden. Auch Söder wird später nur eine Fußnote sein. Denn „9/11“ hat vieles verändert im Weltgeschehen. Die Auswirkungen der in sich zusammen stürzenden Twin Towers waren weltweit gravierend – aber alles im anderen nahm das Weltgeschehen weiter seinen Lauf. Die falschen Lehren wurden damals daraus gezogen, ja: Zum Beispiel wurden Kriege vom Zaun gebrochen; und diese führten übrigens in Afghanistan und im Irak zu jenem Desaster, das uns den IS bescherte: Zuerst bestellte der Westen mit seiner „kriegerischen“ Antwort den Grund zum Gedeihen der Terrorgruppe „al-Qaida“, und dann ließ er durch Untätigkeit in Syrien die Qaida-Abspaltung IS wachsen, kräftig aufgepäppelt von seinen Alliierten, den ölreichen Golfländern oder des Natomitglieds Türkei.

Fehler begeht man besser kein zweites Mal

Das Kriegsbeil ausgraben erwies sich also damals als schlechte Antwort. Wir sollten diesen Fehler nicht wiederholen. Das heißt nicht, dass militärische Antworten völlig außer Acht gelassen werden sollten: IS muss besiegt werden, und dies ist auch auf militärischer Ebene leider zu machen. Der IS selbst hat sich auf diesen Pfad begeben. Doch die Klinge gekreuzt würde in Syrien, nicht in Europa. Seine militärischen Gegner, vor allem die Kurden, sollten Hilfe erhalten – und keine Bombenhagel durch die Türkei.

Der Krieg in Syrien hat vergangenen Freitag Paris erreicht. Aber nur für wenige Stunden. Das müssen wir uns bewusst machen. Er wird hier nicht weiter gehen. Man besiegt den IS nicht, wenn Bürgerrechte eingeschränkt werden, wenn die Bürgerüberwachung ausgedehnt wird, wenn Angst geschürt und Misstrauen gesät wird. Die Anschlagsgefahr wird in Europa stark steigen – aber das ist kein Krieg. Die Sicherheitsbehörden werden noch öfters Terrorpläne durchkreuzen müssen – aber das ist kein Krieg. Der IS wird noch lauter vom Krieg gegen uns brüllen – aber das ist kein Krieg.

Mythen helfen nicht weiter

Unsere schärfste Waffe gegen den IS ist unsere Gelassenheit. Unsere Freiheitsliebe, unsere Humanität und Demokratie. Beschneiden wir die, schwächen wir uns und stärken wir den IS. Das sollten die selbst ernannten Kulturkrieger bedenken, die längst widerlegte Mythen wie den vom Politologen Samuel Huntington beschworenen „Kampf der Kulturen“ wieder ausgraben. Die Terrornacht von Paris ist kein Kampf von Muslimen gegen Christen oder Juden oder Buddhisten. Es ist nicht das Morgenland gegen das Abendland. Es ist der Versuch von kriminellen Möchtegernherrschern, uns in ein Handgemenge zu ziehen. Wer sich darauf einlässt, verrät nicht nur seinen Wert. Sondern wird dann wie sie.

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