Warum sich Teenager mit Terroristen einlassen

Sabina aus Wien, unverschleiert und verschleiert, zog nach Syrien (dpa)
Sabina aus Wien, unverschleiert und verschleiert, zog nach Syrien (dpa)

 

Ein Kommentar von Jan Rübel

Als bekannt wurde, das zwei Teenager aus Österreich ausgerissen sind, um sich der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien anzuschließen, war nicht nur Österreich geschockt. Aber die „Dschihad-Mädchen“ Sabina und Samra aus Wien sind offensichtlich nicht die einzigen Teenager, die sich von dem IS angezogen fühlen. Vor einigen Tagen wurden drei US-Mädchen aus Denver (USA) am Frankfurter Flughafen gestoppt, die sich offenbar ebenfalls in Syrien der Terrormiliz anzuschließen wollten. Was bringt westlich geprägte junge Leute dazu, in ein Kriegsgebiet zu ziehen, sich mit Terroristen einzulassen?

Im April rissen die beiden sogenannten "Dschihad-Mädchen" Sabina (15) und Samra (17) aus Wien aus, um in Syrien im Namen der IS-Terrormiliz für den Islam zu kämpfen. Nachdem sich kürzlich Berichte gemehrt hatten, nachdem die beiden unglücklich seinen und in ihre Heimat zurückkehren möchten, sagte Sabina dem Magazin „Paris Match“ nun, sie fühle sich frei, könne endlich ihre Religion ausüben; in Wien sei das angeblich nicht möglich gewesen. Sie fänden in Syrien „auch Produkte wie Ketchup, Nutella oder Cornflakes“, erklärte Sabina in dem Telefon-Interview.

Für den Verfassungsschutz ist die Sache klar. Wer sich von radikalen Salafisten angezogen fühle, sei in einer „Umbruchsituation“. Der deutsche Verfassungsschutz meint, auf sie träfen die vier „M“ zu: Nämlich  „männlich, muslimisch, Migrationshintergrund, Misserfolge in der Pubertät, der Schule oder in der sozialen Gruppe“. Kurz, in den Worten von Inlandsgeheimdienstchef Hans-Georg Maaßen, sie hätten die Sehnsucht nach einer Karriere vom „Underdog“ zum „Topdog“. Lassen wir mal die Tiersprache beiseite. Der oberste Agent irrt.

In der Analyse des Verfassungsschutzes steckt nur eine Wahrheit: Diese jungen Leute sind in einer Umbruchsituation Das ist nämlich jeder Jugendlicher. Nur wird er deswegen nicht gleich zum Gotteskrieger. Die Denkweise der Sicherheitsbehörden offenbart, wie weit weg sie von der Jugend sind und wie wenig sie von ihr verstehen.

Die Zahlen lassen aufhorchen, keine Frage. 3000 IS-Kämpfer aus Europa agieren gerade im Nahen Osten, die meisten von ihnen sind jung. Und es werden mehr werden, da irrt der Geheimdienst diesmal nicht. Denn es gibt eine Anziehungskraft des Dschihad, über die selten gesprochen wird.

Eines vorweg: Salafisten mit Dschihadisten in einen Topf zu schmeißen ist Quatsch. Es gibt viele salafistische Strömungen, die meisten sind friedfertig, nur eine ist militant-gewaltvoll. Und nur wenige aus diesen Gruppen entscheiden sich für den Dschihad. Wer mit ihnen redet, sie kennen lernt, merkt: Unter ihnen sind nicht mehr „Underdogs“ als bei der Jungen Union. Es sind nicht nur Schwache, die eine Krise durchleben. Sie kommen aus allen Schichten und sind unterschiedlich gebildet. Es gibt ehemalige Straßenkinder mit Vorstrafenregister und Bürgertöchter mit Bestnoten in und außerhalb der Schule. Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.

Die meisten von ihnen glauben auch nicht an 72 Jungfrauen im Paradies. In ihren Herzen lodern vielmehr Träume und Leidenschaft. Wer Menschen von dieser Marschroute gen Dschihad abhalten will, muss sie ernst  nehmen – als das, was sie sind. Wer sie dumm redet, verschleiert das Problem.

Was sie anzieht, ist eine internationalistische Ideologie, der Wille, die Welt zu verbessern. Das Richtige zu machen, ohne zu wissen, was das Richtige ist – aber wer weiß das schon? Sie haben das schlechte Werk vor Augen, das unsere Länder, der Westen, in Afghanistan und im Irak hinterlassen haben. Sie sind enttäuscht vom Materialismus und von der Leere, die jeder von uns dann und wann verspürt. Diese Leere wollen sie mit Entscheidungen zustopfen, sie wollen Tatkraft zeigen und für etwas einstehen. Leider entscheiden sie sich für einfache Antworten, und für Gewalt. Doch das Leben ist nicht einfach, weder in Aachen noch in Aleppo. Und dass Gewalt Probleme löst – das ist unser größter seit der Steinzeit andauernder Irrglaube.

Solch eine Erfahrung werden auch Sabina und Samra machen. Von letzterer meldeten österreichischen Medien schon, das Leben in der syrischen IS-Hochburg Raqqa sei ihr mittlerweile „zuviel“. Desillusioniert sei sie, könne die Gräueltaten nicht mehr ertragen.

Es bleibt vor allem, an die Zweifel zu appellieren. Sie zuzulassen und in ihnen nichts Schlechtes zu sehen. Gespräche auf Augenhöhe sind nötig – keine Talkshows, in denen Islamisten wie Bullen vor ein rotes Tuch getrieben werden. Das heißt nicht, dass Verständnis für Intoleranz gezeigt werden soll, im Gegenteil. Wer die Freiheit und Würde Anderer angreift, dem gehört die Meinung gegeigt. Aber mit Respekt – denn nur so kann man wirklich für die humanen Werte einstehen. Plumpes Schwarz-Weiß-Denken, worin sich der Verfassungsschutz übt, gehört dazu nicht.