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Wie ich selbst ein Schwarzer wurde

Rachel Dolezal als erwachsene Frau und als junges Mädchen
Rachel Dolezal als erwachsene Frau und als junges Mädchen

Amerika diskutiert über Rachel Dolezal: Jahrelang gab sie an, schwarz zu sein. Ihre Eltern sagen nun: Sie ist weiß. Was denn nun?

Ein Kommentar von Jan Rübel

Verdammt schnell geht es mit der Berühmtheit im Netz – auch ungewollt. Wie mag es wohl gerade Rachel Dolezal ergehen? Bis vor wenigen Tagen noch war die 37-Jährige eine unbekannte Bürgerrechtsaktivistin und Professorin in einem Vielen unbekannten Ort, nämlich der 200.000-Einwohner-Stadt Spokane im Osten des US-Bundesstaat Washington. Dann kam einiges ins Rollen.

Dolezal war bis vor kurzem örtliche Vorsitzende der „National Association for the Advancement of Colored People“ (NAACP), der bekanntesten Bürgerrechtsbewegung für gleiche Rechte in den USA. In ihrem sozialen Umfeld: viele Schwarze. Ihr ehrenamtliches Engagement: gegen die Benachteiligung Nicht-Weißer. Ihr Job: Afrikastudien. Und Dolezal gab jahrelang an, dass sie neben weißen und indianischen Wurzeln auch afrikanische habe. Letzteres haben nun ihre Eltern bestritten. „Rachel leugnet ihre eigene Identität“, sagte ihre Mutter im Fernsehen. Ihre tatsächlichen Vorfahren kämen aus Tschechien und Deutschland. Fotos von heute zeigen sie mit dunklem Teint und dunklen Haaren. Aufnahmen aus ihrer Kindheit lichten einen hellhäutigen Blondschopf ab.

Ein Familiendrama für die ganze Nation

Diese Geschichte wird sehr schnell sehr persönlich. Dolezal hat einen Schwarzen fälschlicherweise als ihren Vater angegeben. Sie erzählte, in Südafrika in einem Zelt aufgewachsen zu sein – dabei werden es mehr die Rocky Mountains und vier feste Wände gewesen sein. Auch hörte man von ihr, sie habe schwarze Kinder; tatsächlich hat sie das Sorgerecht über ihren schwarzen Adoptivbruder. Ihre Eltern hatten vier schwarze Kinder adoptiert. Mit ihrer Familie hat sich Dolezal überworfen. Über die Gründe öffentlich zu spekulieren wäre schändlich. Jeder hat seine Gründe.

Journalisten konfrontierten sie also mit der Frage, ob sie sich eine andere Identität zugelegt habe. Sie zog sich zurück, legte den NAACP-Vorsitz nieder und sagte: „Ich fühle mich schwarz.“ Geht das?

Natürlich nicht, möchte man sagen – das sei doch Mummenschanz, eine Fälschung. Na klar, warum sollte man nicht zu seiner Abstammung stehen? Sie ist ja doch nur eine Fassade, in die die Gesellschaft allerdings eine Menge hinein interpretiert. Ich zum Beispiel bin in Ostfriesland aufgewachsen, da hat man die Lacher schnell auf seiner Seite. Das ist eher von Vorteil, man kann damit kokettieren. Klingt auch cooler als zu sagen, man komme aus Castrop-Rauxel. Aber ist es so einfach mit der eigenen Identität?

Eine Frage falscher Empathie?

Ich selbst habe mal dumme Sachen gemacht. Meinen Nachnamen sprach ich als Jugendlicher zeitweise französisch aus. Die Vorstellung, man könne mich für einen Franzosen halten, gefiel mir. Als Gerüchte in meiner Familie aufkamen, wir hätten Roma-Wurzeln, verbreitete ich sie gern; dabei stellten sie sich rasch als falsch heraus. Ich war ziemlich peinlich unterwegs damals. Wollte mich mit „fremden Federn“ schmücken. Und ein bisschen „Opfer“ sein, mit einer verfolgten Minderheit wie den Roma verbunden sein. Zum Glück dauerte dieser Quatsch nicht lange.

Warum Dolezal so hartnäckig nach außen eine schwarze Identität lebte, wird sie vielleicht einmal erläutern – wir alle könnten davon lernen. Für dieses Phänomen haben Soziologen einen Begriff aus ihrem Sprachbaukasten bereit: Sie nennen es „Passing“, wenn jemand in eine andere Identität „hinüber“ wechselt. Wird ein Schwarzer für einen Weißen gehalten, ist das für ihn oft von Vorteil: die strukturellen Diskriminierungen betreffen ihn weniger, und daher ist der „Wechsel“ von schwarz zu weiß bekannter als andersrum.

Afroamerikanische Bürgerrechtler halten nun Dolezal vor, sie habe eine „falsche Empathie“ gezeigt. Was Afroamerikaner in den USA erleben und fühlen, könne sie nicht erlebt und gefühlt haben. Da ist was dran. Schließlich könnte sie, rein theoretisch, ihre schwarze Identität jederzeit für beendet erklären und als Weiße weiterleben. Dennoch wird ihre Entscheidung ernste Gründe gehabt haben. Sollte man die jetzt einfach wegwischen?

Eines hat Dolezal nämlich gezeigt: Hautfarbe und Abstammung erscheinen uns mal als naturgegebene Natürlichkeiten, mal wie nicht abwaschbare Stempel. Dem Stempel hat Dolezal durch ihre Performance zumindest für eine gewisse Zeit die lange Nase gezeigt.

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