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Wir sind nicht besser als „die Griechen“

Griechenlands Premier Alexis Tsipras und Angela Merkel haben viel zu besprechen. (Foto: Olivier Hoslet/dpa)
Griechenlands Premier Alexis Tsipras und Angela Merkel haben viel zu besprechen. (Foto: Olivier Hoslet/dpa)

Die Kanzlerin und Griechenlands Premier wollen das Eis brechen: Es ist Zeit für ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen beiden Ländern. Vor allem sollten wir Deutschen endlich runter von unserem hohen Ross.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Aus der Union kamen heute bemerkenswerte Sätze. Es sei gut, „wenn die Sprüche aufhören und die Taten beginnen“, sagte Michael Grosse-Brömer. Zwar meinte der Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag in erster Linie die neue griechische Regierung. Aber der Spruch fällt auch auf Deutschland zurück.

Es stimmt: Ministerpräsident Alexis Tsipras enthüllt seinen Plan, wie er der schweren Krise in Griechenland Herr werden will, nur scheibchenweise. Das ist wenig überschaubar und für Geldgeber kaum vertrauensvoll. Wahr ist aber auch, dass sich in Deutschland Medien und Politiker als Besserwisser gegenüber Athen ins Bild gesetzt haben. Wir sollten uns bloß nicht einreden, man finde uns dafür toll.

Denn Tsipras kämpft nicht nur an einer Front. Er muss nicht nur hinkriegen, dass sein Land wieder kreditwürdig wird, dass Korruption und Steuerschwindel effektiven Staatsstrukturen weichen. All dies muss er auch im Schatten großer sozialer Verheerungen bewerkstelligen. Was die griechische Bevölkerung seit Jahren zu erleiden hat, macht einfach nur sprachlos.

Griechenland braucht nicht nur Geld, sondern auch Hoffnung

In Deutschland wird gern von den angeblich „gierigen Griechen“ erzählt. Stellen wir uns einmal vor, in Deutschland hätten wir griechische Verhältnisse: Nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit verlieren Griechen ihre Krankenversicherung. Die internationalen Kreditgeber zwangen die Regierung, ihre Ausgaben für Gesundheit stark zu kürzen – auf etwa sechs Prozent der Wirtschaftsleistung. In Deutschland betragen unsere Gesundheitskosten elf Prozent. Würde Deutschland seine Gesundheitsausgaben so stark kürzen wie Griechenland es muss und tut – dann würden wir diese halbieren. Wie würde unser Land dann aussehen? Wie würden wir darüber denken? Wie viele von uns würden auf die Straße gehen?

Es ist nicht so, dass Athen nichts tut. Es hat gespart. Wohl notwendigerweise, aber auch mit Folgen – wie etwa einer dramatisch gestiegenen Säuglingssterblichkeit. Tsipras sollte mit Angela Merkel (CDU) nicht nur über Schuldenmanagement reden. Sie sollte mit ihm darüber hirnen, wie Tausenden Griechen wieder Mut gemacht werden kann, wie ihr derzeit schlimmes Leben erleichtert werden kann.

Doch bisher dominiert bei uns der Hochmut. Die Griechen wollten uns ans Leder, heißt es. An unser sauer verdientes Geld. Zum einen ist in Deutschland von der Finanzkrise so vieler Euro-Länder noch nichts zu spüren. Noch geht es uns gut. Und zum anderen gehört es zu einem unserer zahlreichen Mythen, wonach wir Deutschen mehr arbeiten als andere in Europa. Statistiken kommen zu einem anderen Schluss. Laut einer OECD-Studie leisten in Deutschland Beschäftigte im Schnitt 1.393 Arbeitsstunden jährlich. In Griechenland sind es 2.034 Stunden. Schließlich müssen viele Griechen einen Zweitjob beginnen, wenn die meisten von uns in den Feierabend schunkeln.

Hübsch sind wir nicht

Man kann über den richtigen Weg aus der Schuldenkrise streiten. Für strikte Sparsamkeit gibt es gute Argumente, für Wachstumsstimulierung über mehr Geldausgaben auch. Nur sollten wir Deutsche endlich von unserem hohen Ross herunter: Wir sollten mehr Mitgefühl für die Probleme unserer EU-Mitbürger zeigen. Statt erhobenem Zeigefinger ist Empathie angesagt, um das Wort Europa nicht zu einer Hülse verkommen zu lassen.

Es stünde uns selbst auch gut. Die „Süddeutsche Zeitung“ titelte vor ein paar Monaten, wir Deutschen seien in  Europa so beliebt geworden – und meinte die gestiegenen Zuwanderungszahlen, also all jener, die in Deutschland ihre Zukunft sehen. Die Zeitung irrte gewaltig. Glaube keiner, dass Italiener, Spanier oder Portugiesen wegen der deutschen Kultur, des Essens oder des sozialen Umgangs miteinander kommen. Sie kommen aus wirtschaftlicher Not. Und sie fühlen sich in Deutschland vor den Kopf gestoßen ob unserer herablassenden Art. Unserer Gewohnheit, Menschen in Schubladen zu stecken und sie ständig daran zu erinnern, welchen Pass sie in der Tasche tragen. Nein, beliebt sind wir Deutschen nicht. Es ist Zeit, das zu ändern.

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