Wuppertal und die "Sharia-Polizei"

Scharia-Polizei patrouillierte durch Wuppertal (Bild: dpa)
Scharia-Polizei patrouillierte durch Wuppertal (Bild: dpa)

In Wuppertal patrouillierten radikale Muslime in „Shariah-Police“-Westen – und sofort ist die halbe Republik alarmiert. Die überzogene Reaktion zeigt: Nichts macht mehr Spaß als Angst und Entrüstung.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Da war ja mal richtig was los in Wuppertal. Jetzt haben sie dort eine Religionspolizei, wie in Teheran. Junge Männer rund um den Salafisten Sven Lau zogen sich orangefarbene Westen mit dem Aufdruck „Shariah-Police“ an und zogen durch nächtliche Straßen. Verwickelten Leute ins Gespräch, rieten von Alkohol, Drogen und Disko ab. Mein erster Eindruck: Da machten welche auf dicke Hose. Plusterten sich zu jemandem auf, der sie nicht sind. Aber das wissen natürlich die Jungs um Sven Lau. Und daher mein zweiter Eindruck: Deren Aktion war aus ihrer Sicht ein voller Erfolg. Denn die Reaktion der Mehrheitsgesellschaft brachte ihnen Bekanntheit. Die Salafisten wollten womöglich provozieren. Das ist ihnen leidlich gelungen, denn wir schätzen die Hysterie als einen unserer Lieblingszustände.

Plötzlich waren alle aus dem Häuschen. Volker Kauder, Unionsfraktionschef im Bundestag, forderte gleich ein Verbot der "Scharia-Polizei", Bundesjustizminister Heiko Maas und Bundesinnenminister Thomas de Maizière erklärten, eine Paralleljustiz nicht zu dulden – und die Wuppertaler Polizei riet den Bürgern, das Notruftelefon 110 zu benutzen, sollten sie den Typen in den orangefarbenen Westen begegnen; ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz wurde eingeleitet, die Westen seien eine „unerlaubte Uniformierung“.

Verbote sind kein Mittel gegen Engstirnigkeit

Eines vorneweg: Natürlich geht Einschüchterung gar nicht. Sven Lau und seine Kumpels mögen in Freiheit ihren Glauben leben, dürfen ihn aber nicht anderen aufdrängen. Deren salafistische Auffassung vom Islam meint, wenn die Muslime so lebten wie die Gefährten des Propheten vor 1400 Jahren, dann sei das im Sinne Gottes, also besser und notwendig. Sie wollen mal kurz das Mittelalter herüberziehen. Das ist engstirnig, und darüber lässt sich viel diskutieren – aber das ist wohl den Empörten zu anstrengend, lieber wenden sie sich ab und zeigen sich ihre vermeintlich entgeisterten Mienen.

Die Salafisten von Wuppertal haben das Recht, für ihre Glaubensauffassungen zu werben. Sie rekrutieren nicht für irgendeinen Heiligen Krieg, wie der Wuppertaler Integrationsbeauftragte behauptet. Und ein Verfahren gegen das Versammlungsgesetz ist nur ein schlechter Witz: Werden demnächst auch Teilnehmer einer Bachelor-Party angegangen, sobald sie sich die gleichen T-Shirts überziehen? Diese Leute haben eine Meinung. Wäre es etwa ein Ausdruck von Integration, wenn Muslime ihre Meinungen – welche auch immer – nur im Keller kundtun? Ist nicht im Gegenteil das Gehen auf die Straße ein Akt des Selbstbewusstseins, der Integration?

Bloß: Wo endet freies Reden über Religion, und wo beginnen Druck und Manipulation? Ich kenne Sven Lau nicht, weiß nicht, ob er neben der Lust an der Provokation auch sich als eine Autorität aufspielt, die er nicht hat; ob er Jüngere zu manipulieren sucht. Aber die erste Reaktion auf sein Gebaren sollte weniger der Ruf nach der Polizei sein, sondern ein Gespräch.

Wir müssen reden

Die Bürger von Wuppertal sollten also nicht gleich 110 wählen. Sie sollten sich anhören, was diese Jungs zu sagen haben – und dann mit ihnen diskutieren. Meine Erfahrungen mit Salafisten sind, dass man über alles reden kann. Oft empfand ich ihre Regelvorstellungen vom Leben zum Lachen und Weinen zugleich, manchmal aufrichtig, manchmal selbstverliebt. Manchmal auch sehr interessant. Und nur sehr, sehr wenige Muslime teilen ihre Ideen. Trauen wir unseren Jugendlichen nicht zu, es eher peinlich zu finden, wenn so ein Kerl mit Rauschebart einen an der Diskotür anquatscht und vom Pfad der Tugend schwärmt?

Lassen wir also die Moschee im Dorf. Deutschland ist derart weit von einer Religionspolizei entfernt, dass es sich nicht in Kilometern ausdrücken lässt. Religionswächter sind ein großes Problem, sie unterdrücken ganze Gesellschaften quer über den Globus. Dies aber in Ländern, in denen viele Muslime leben. Deutschland indes ist und wird auch in hundert Jahren kein islamisches Land. Und daher bleibt die "Scharia-Polizei" von Wuppertal rein symbolisch. Dass Polizei, Politiker und Journalisten darauf hereingefallen sind, stimmt traurig. Ein Nahostexperte hat einmal in einem Buch über die iranischen Schiiten geschrieben: „We love to hate the Ayatollah.“ Ist ja auch schön einfach.