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Zum Tod von Helmut Schmidt: Der König von Deutschland tritt ab

Zum Tod von Helmut Schmidt: Der König von Deutschland tritt ab

Er gehörte seit Jahrzehnten zu den beliebtesten Politikern. Auch nach seiner Abwahl 1982 blieb der Altkanzler ungekröntes und informelles Staatsoberhaupt – weil er eine Führernatur war und wir Deutschen sowas lieben.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wie oft hat man um ihn gebangt. So tatendurstig und selbstbewusst Helmut Schmidt auftrat, so oft spielte ihm die Physis einen Streich – und er ihr: Schon 1981 musste ihm als Kanzler ein Schrittmacher gelegt werden; doch erst 34 Jahre später hörte sein Herz auf zu schlagen. Am 23. Dezember wäre er 97 Jahre alt geworden.

Die Politik prägte er wie kaum ein anderer. 1961 wurde Schmidt Senator der Polizeibehörde in Hamburg, ein Jahr später schon avancierte er zum Liebling, als er mit seinen guten Kontakten zur Bundeswehr und seiner Hemdsärmeligkeit die Rettungsaktionen im Schatten der großen Sturmflut managte. Seitdem war er der Mann fürs Operative. Einer, der aufräumt und klare Kante zeigt. So stilisierte er sich selbst, mit Nachdruck arbeitete er an diesem Image. Doch Schmidt war immer auch ein unabhängiger Geist, eine intellektuelle Stimme, auf die es stets lohnte zu hören – wenn auch oft nicht ihr zu folgen.

Gegen seine Partei, die SPD, stellte er sich oft. So setzte er als Kanzler der sozialliberalen Koalition den Nato-Doppelbeschluss durch: Der atomaren Aufrüstung der UdSSR sollte durch Nato-Atomraketen auf deutschem Boden begegnet werden, um die USA als Partner langfristig zu binden. Für die einen eine notwendige Strategie, für die anderen ein unverantwortliches Spiel mit dem Höllenfeuer. Schließlich brachte ihn seine harte Haltung, die oft die eines Militärs war, um die Kanzlerschaft; die SPD mochte ihm nicht mehr folgen.

Schmidt war Soldat. Machte als Offizier einer leichten Flakabteilung bei der Leningrader Blockade im Weltkrieg mit, erlebte das Grauen und beteiligte sich an ihm. Er, dem Haltung immer das wichtigste war, versuchte sich bis ins hohe Alter als jemand zu beschreiben, der mit den Nazis nicht richtig konnte, der Rückgrat zeigte. Nun, dem war sicher so, aber erst vor kurzem veröffentlichte Dokumente zeigen auch, dass ein wenig mehr Demut angezeigt gewesen wäre, Schmidt hatte damals im Strom geschwommen wie so viele.

Man vertraute ihm

Schließlich gesellte sich zu seiner soldatischen Laufbahn ökonomischer Sachverstand. Als er 1974 Kanzler wurde, führte er Deutschland durch die Wirtschaftskrise der gestiegenen Ölpreise. Als die RAF wenig später den deutschen Herbst losbrach, reagierte er mit harter Hand – mit brachialer Staatsmacht, die unverhältnismäßig daherkam, aber den meisten Deutschen gefiel. Man lehnte sich an ihn.

Dabei misstraute er dem „Volk“ durchaus. Er stritt schon in den Sechzigern für das Mehrheitswahlrecht, welches für klare, aber ungerechtere Sitzverhältnisse im Parlament sorgen würde. Volksabstimmungen gefielen ihm nicht. Er warnte auch vor mächtigen Gewerkschaften und forderte längere Arbeitszeiten. Studierende sollten Studiengebühren zahlen und die Atomkraftwerke nicht abgeschaltet werden. Als die Volljährigkeit von 21 Jahren auf 18 Jahre herabgesenkt wurde, rebellierte er dagegen. Umweltschutz, Gleichberechtigung und Pazifismus – damit konnte er nichts anfangen.

Eine unabhängige Stimme weniger

Der „andere“ Schmidt aber ließ vor seinem Büro im Kanzleramt das Schild „Nolde-Zimmer“ anbringen, weil darin so viel Kunst hing und er an ihr. Der andere Schmidt spielte Klavier und Orgel, rief die Bigband der Bundeswehr ins Leben und stieß über eigene Stiftungen und Konvente wichtige Diskussionen an. Er war in der Lage, enge Freundschaften zu Staatsmännern aufzubauen und zu pflegen. Man vertraute ihm auch auf höchster Ebene.

Nun ist er abgetreten. Einer, der vielleicht zu viel in sein Macher-Pathos verliebt war. Aber auch einer, dessen Stimme und Standfestigkeit schmerzlich vermisst werden.

Das Leben von Helmut Schmidt in Bildern