Zensur-Regeln bei Facebook: Nippel tabu, Fleischwunden geduldet

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Eine vertrauliche Präsentation mit Facebooks Zensur-Richtlinien, die dem US-amerikanischen Blog Gawker zugespielt wurde, gewährt Einblicke in die bizarre Zensurpolitik der Social-Media-Plattform. Demnach sind Nippel verboten, während Fotos mit tiefen Fleischwunden in Ordnung gehen.

Auf Facebook kann man alles Mögliche posten - aber nicht alles bleibt tatsächlich lang auf der Seite. Beispiel aus unserer Redaktion: Ein Bild der knapp bekleideten Dschungelcamp-Kandidatin Micaela schafft es nur knappe zwei Stunden auf die Facebook-Pinnwand, bevor es gelöscht wird - wegen "Nacktheit", wie Facebook erklärt. Doch was genau dürfen wir eigentlich auf unserer Seite posten und was nicht? So genau hat das Unternehmen das der Öffentlichkeit nie verraten - zumindest offiziell. Nun gewährt ein unzufriedener Mitarbeiter erstmals genauere Einblicke in die mysteriöse Welt der Facebook-Zensur.

Amine Derkaoui gab gegenüber dem US-Blog Gawker erstmals Details zu Facebooks bislang undurchsichtiger Zensurpolitik preis. Offenbar aus Unzufriedenheit mit seinem Gehalt verriet der 21-jährige Marokkaner dem Blog nun, welche Inhalte laut dem Facebook-Codex als nicht rechtens gewertet werden.

Die "moralische Landkarte" Facebooks offenbart mancherlei Merkwürdigkeiten. Zu den Tabus gehören unter anderem Drogen außer Kiffen - Bilder von Marihuana sind explizit erlaubt. Verboten dagegen: Sexspielzeug, Bilder von Betrunkenen oder Bewusstlosen wie auch von schlafenden Menschen, denen etwas auf ihr Gesicht gemalt wurde. Sexdarstellungen - ob die Akteure bekleidet sind oder nicht - haben auf Facebook-Seiten laut der Richtlinie ebenfalls nichts zu suchen. Die rigiden Regeln der Facebook-Polizei sorgten immer wieder für Unmut bei Nutzern, etwa als im April ein Bild vom Kuss zweier Homosexueller entfernt wurde.

Einige junge Mütter fühlen sich zudem diskriminiert, weil Bilder von stillenden Frauen bei Facebook ebenfalls tabu sind - sofern weibliche Brustwarzen zu sehen sind. Derartige Bilder werden genauso gelöscht wie Darstellungen, auf denen die Geschlechtsteile einer Frau durch die Kleidung erkennbar oder erahnbar sind ("camel toe") sowie Schnappschüsse von Menschen auf dem Klo.

Nicht erlaubt sind weiterhin Bilder, die zwei Menschen nebeneinander zeigen und diese vergleichen. Da hat wohl jemand aus seinen Fehlern gelernt, denn wer den Film "The Social Network" gesehen hat, erinnert sich vielleicht: Im Jahre 2003 hatte Mark Zuckerberg FaceMash.com programmiert. Mit der Applikation konnten Studenten die Fotos ihrer Kommilitonen vergleichen und abstimmen, wer schöner ist. Die Universitätsleitung ließ die Seite jedoch ziemlich schnell sperren.

Entfernt werden muss auch jegliche "Holocaust-Leugnung" sowie "alle Attacken auf Atatürk", genauso wie Beiträge, die eine Unterstützung der kurdischen Terrororganisation PKK oder deren inhaftierten Anführers Öcalan erkennen lassen.

Bei anderen Darstellungen zeigt sich Facebook hingegen weniger zimperlich. Während man auf Sex empfindlich reagiert, werden Gewaltdarstellungen schon eher toleriert. Das Zeigen zerquetschter Köpfe ist laut dem Facebook-Knigge genauso erlaubt wie Gewalt gegen Tiere, sofern es um Essen geht. Genauer gesagt: Gewalt gegen Tiere "im Kontext von Nahrungsverarbeitung oder der Jagd, wie sie in der Natur vorkommt". Diese Richtlinie verwundert kaum, isst doch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg nach eigenen Angaben nur Tiere, die er selbst getötet hat.

Auch blutige Bilder - sofern keine Eingeweide zu sehen sind - können gemäß der Guideline munter gepostet werden. Und wer nach einer Verletzung seinen Facebook-Freunden intensive Einblicke gewähren möchte, hat freie Bahn: Tiefe Fleischwunden seien ebenfalls ok, heißt es in dem Dokument.

Neuerdings dürfen auch mit Photoshop bearbeitete Bilder gepostet werden, wenn "sie den Dargestellten nicht in ein schlechtes Licht rücken". Zuvor waren alle bearbeiteten Bilder generell verboten. Ebenfalls ein Novum: Körperflüssigkeiten außer Sperma dürfen neuerdings gezeigt werden — sofern kein Mensch auf dem Bild zu sehen ist…

Facebook teilte dem US-Blog Gawker auf Nachfrage mit, es gebe ein "mehrschichtiges" System von Sicherungsmaßnahmen, um die Daten der Nutzer zu schützen. Das nun durch den ehemaligen Mitarbeiter veröffentlichte Dokument sei nur "ein Schnappschuss", die aktuellsten Regelungen könne man auf der "Community Standards"-Seite nachlesen. Dort sucht man die im nun veröffentlichten Dokument beschriebenen Details jedoch vergeblich.

Derkaoui , der 21-jährige Marokkaner, der die Facebook-Richtlinien nun öffentlich machte, war genervt von seinem niedrigen Gehalt. Einen Dollar pro Stunde habe er dafür bekommen, Facebook-Inhalte bei dem kalifornischen Social-Media-Dienstleister oDesk von verbalem oder visuellem Schmutz und Schund zu befreien. "Es ist erniedrigend", sagt Derkaoui zu seinem Job. Er kontrollierte Inhalte, die von Facebook-Nutzern als anstößig gemeldet wurden — und fühlt sich ausgebeutet.

Wie anstrengend so ein Job als "Kanalarbeiter der digitalen Welt" sein kann, zeigt das Beispiel eines Arbeiters, der ebenfalls Inhalte für Facebook checken musste - dies aber nur drei Wochen aushielt, wie der Blog berichtet. Kein Wunder, wer möchte sich schon hauptberuflich Videos ansehen, in denen es um Tierquälerei, Selbstmord, Enthauptung und Kinderpornographie geht? "Ich kündigte, da mir meine mentale Gesundheit zu wichtig war", wird ein ehemaliger Mitarbeiter in dem Blog zitiert. "Der ganze Müll der Welt fließt Dir entgegen - und du musst saubermachen".