Boostern oder Lücken schließen? Debatte um Corona-Impfungen

Jens Spahn will schnell Booster-Impfungen für alle Pool/Getty Images)
Jens Spahn will schnell Booster-Impfungen für alle Pool/Getty Images)

Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dringt weiter auf Auffrischungsimpfungen auf möglichst breiter Front zum Schutz vor dem Coronavirus im Winter. Darüber sollten die Länder nun alle Über-60-Jährigen informieren, heißt es in einem Beschlussentwurf des Bundes für die Gesundheitsministerkonferenz mit den Ländern Ende der Woche.

Ergänzend könnten Auffrischungsimpfungen auch "grundsätzlich allen Personen angeboten werden, die diese nach Ablauf von sechs Monaten nach Abschluss der ersten Impfserie wünschen". Zuerst berichteten die Zeitungen der Funke-Mediengruppe darüber. Spahn bekräftigt laut den Beschlussvorschlägen nun außerdem, dass auch die Länder ihre regionalen Impfzentren aus dem Stand-by-Modus "wieder aktivieren und dort Auffrischungsimpfungen anbieten" sollen.

Pflegeeinrichtungen sollen nach den Vorschlägen des Bundes zu Testkonzepten für den Herbst und Winter verpflichtet werden. Diese sollten "unabhängig vom Impfstatus mindestens zweimal wöchentlich obligatorische Tests für das Personal vorsehen", heißt es in dem Entwurf, der auch der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Alle Besucher von Pflegeheimen sollten ebenfalls ein frisches negatives Testergebnis vorweisen müssen - alternativ sollen die Einrichtungen Schnelltests anbieten müssen. Die Länder könnten für Besucher auch Zugang nur für Geimpfte oder Genesene (2G) vorsehen.

Stiko: Impflücken schließen statt großflächig boostern

Die Ständige Impfkommission (Stiko) dringt dagegen weiter auf Auffrischungsimpfungen zunächst nur für ausgewählte Gruppen. Es komme darauf an, die Menschen zuerst zu schützen, die die Impfung am dringendsten benötigen, sagte der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens am Dienstag in Berlin. Gesunde Menschen mittleren Alters mit Grundimmunisierung könnten davon ausgehen, dass sie noch ausreichend Schutz vor einer schweren Covid-19-Erkrankung haben. Zwar lasse der Schutz vor Ansteckung mit der Zeit nach, nicht aber der Schutz vor einer schweren Erkrankung. Mertens betonte, es gelte auch die noch klaffenden Impflücken bei Erwachsenen im Alter von 18 bis 59 Jahren zu schließen. Die Impfquoten seien hier unzureichend.

Impf-Verstärkungen ("Booster") sind mindestens sechs Monate nach einer vollständigen Impfung möglich. Angeboten werden sie Älteren ab 60 Jahre, Corona-Risikogruppen, aber auch Geimpften mit Astrazeneca und Johnson & Johnson. Die Stiko empfiehlt Auffrischungsimpfungen vorerst unter anderem für Menschen ab 70, für immunsupprimierte Patienten und für Pflegepersonal. Grundsätzlich sind sie laut Impfverordnung aber auch für alle anderen Menschen möglich.

Die Praxisärzte in Deutschland sehen sich für deutlich mehr Corona-Auffrischungsimpfungen im Winter gewappnet, dringen aber auf klare Voraussetzungen. "Das ist machbar, wir können das", sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, am Dienstag in Berlin. Seit der Empfehlung der Stiko für Auffrischungen unter anderem für ältere Menschen ab 70 Jahren sei die Zahl der impfstoffbestellenden Praxen auf mehr als 30.000 angestiegen. Abweichende nicht-ärztliche Impfempfehlungen verwirrten da, was auch Praxisabläufe erschwere.

Nötig seien geordnete Einladungsverfahren zu Impfungen. Gassen forderte zudem flexiblere Möglichkeiten für Praxen beim Bestellen von Impfstoff und bei der Handhabung größerer Impfstoff-Fläschchen.

Städte: Impfzentrum "keine Taschenlampe"

Die Städte haben die Debatte über eine kurzfristige Reaktivierung von Impfzentren kritisiert. Ein Impfzentrum sei "keine Taschenlampe", die je nach Stimmungslage aus- und wieder angeknipst werden könne, heißt es in einem Schreiben des Deutschen Städtetags an die Gesundheitsminister der Länder, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Strukturen seien verändert, Flächen anderweitig genutzt, Personal umgeschichtet worden. Ein derartiger Richtungsumschwung sei nicht nachvollziehbar.

Bund und Länder hatten vereinbart, die zum Impfstart eingerichteten zeitweise mehr als 400 regionalen Impfzentren zum 30. September zu schließen oder die Kapazitäten zurückzufahren.

"Auch in der Pandemie braucht es ein Mindestmaß an Kalkulierbarkeit von Entscheidungen", mahnte der Städtetag. Dabei sei es angesichts dynamisch steigender Infektionszahlen richtig, die Frage von Auffrischungsimpfungen rechtzeitig zu thematisieren. Zunächst seien die Kassenärztlichen Vereinigungen bei der Organisation gefordert. Diese hätten "stets signalisiert, ein Massenimpfgeschäft im Herbst und Winter ohne die kommunalen Impfzentren leisten zu können". Die Städte stünden selbstverständlich bereit, ihre niedrigschwelligen Impfangebote aufrechtzuerhalten und bei Bedarf auch zu erweitern.