"Wir sind das Bordell Europas": Schonungslose Doku über "Billigware Sex"

Die Prostituierten in Deutschland stammen überwiegend aus dem Ausland.  (Bild: © ZDF / Steph Ketelhut. )
Die Prostituierten in Deutschland stammen überwiegend aus dem Ausland. (Bild: © ZDF / Steph Ketelhut. )

Von der Gesellschaft totgeschwiegen: Sexkauf! Die Filmemacher Jan-Philipp Scholz und Johannes Meier enttabuisieren das Thema und decken in ihrer investigativen Dokumentation "Billigware Sex - Ausgebeutet für 30 Euro" auf, was oftmals wirklich dahinter steckt: Menschenhandel und Zwangsprostitution.

"Wir haben in der Welt inzwischen einen Ruf wie Thailand. Wollen wir das?" - Leni Breymaier, Bundestagsabgeordnete der SPD, greift zu drastischen Worten. Doch sie entsprechen der Wahrheit: Deutschlands Rotlichtmilieu boomt wie nie zuvor. Ein Grund dafür: Dumpingpreise, fast wie im Discounter. Prostituierte bieten sexuelle Gefälligkeiten für lächerliche 30 oder gar 20 Euro an. "Die schnelle Nummer ist fast günstiger als ein Mittagessen", gibt ein Freier in der TV-Dokumentation "Billigware Sex - Ausgebeutet für 30 Euro" offen zu. Selbstbestimmt handeln die wenigsten unter diesen Umständen. "Vielen Frauen sieht man an, dass sie es nicht freiwillig machen. Ich kann das aber nicht ändern, das ist schon immer so gewesen", sagt der Freier.

Die Filmemacher Jan-Philipp und Johannes Meier holen in ihrer Dokumentation das Thema Zwangsprostitution aus den Schatten der Gesellschaft, sie tauchen ein in eine Welt jenseits von Privilegien und Gesetzen und geben Opfern eine Plattform. Die Devise lautet: Für Aufklärung sorgen und Bewusstsein schaffen. Am Mittwoch, 21. September, um 20.15 Uhr, kann das aufrüttelnde Werk auf ZDFinfo im Free-TV geschaut werden. In der ZDFmediathek steht es bereits ab Mittwoch, 14. September, ab 5.00 Uhr, für die kommenden zwei Jahre zur Verfügung.

Zur Wahrheit gehört auch: In Deutschland haben sich in den vergangenen Jahren Menschenhändlerbanden vor allem aus Osteuropa, Asien und überwiegend aus Afrika etabliert. Wie die organisierte Kriminalität zum Milliardengeschäft heranwuchs und wodurch sich diese mafiaähnlichen Gruppierungen auszeichnen, das arbeitet die Dokumentation anhand des Beispiels Nigeria auf. Eine ausgiebige Internetrecherche zeigte, dass heutzutage hierzulande scheinbar primär dunkelhäutige Frauen zum Zielobjekt von Schnäppchenjägern werden.

Auf ihrer Suche nach Zeugen stießen die Journalisten auf die junge "Blessing", deren Anonymität zu ihrem Schutz gewahrt wird. Die Nigerianerin lebt mittlerweile bei Bekannten in einer süddeutschen Kleinstadt, nachdem sie jahrelang verschiedene Länder als Prostituierte durchstreifen musste. Seit sie den Mut gefasst hat, auszusteigen, jagt eine Drohung die nächste: "Wenn ich der Polizei oder irgendjemandem in Deutschland etwas sagen würde, würde ich sterben. Das ist hart, das macht mich kaputt."

Alltag - auch in Deutschland: Meistens reichen wenige kleine Scheine aus, um sexuelle Gefälligkeiten von Prostituierten zu erhalten.  (Bild: © ZDF / Steph Ketelhut. )
Alltag - auch in Deutschland: Meistens reichen wenige kleine Scheine aus, um sexuelle Gefälligkeiten von Prostituierten zu erhalten. (Bild: © ZDF / Steph Ketelhut. )

Der Weg in die Freiheit

Zwischen Blessing und der Freiheit steht ein Berg aus Schulden. Die weiblichen Zuhälterinnen, genannt "Madames", fordern beispielsweise als Ausgleich für die Transportkosten nach Europa ein Vielfaches von den Mädchen zurück. Für die eigene menschenunwürdige und unfreiwillige Verschleppung auch noch zahlen? Ein schockierendes System, das auf Machtspielchen und Unterdrückung baut. Der finanzielle Druck drängt die Opfer weiter in die Schuldenfalle. Die psychischen Belastungen sind enorm. Voodoo-Rituale der in Westafrika weitverbreiteten synkretistischen Religion werden missbraucht, um die gläubigen Frauen einzuschüchtern, gefügig zu machen und zu binden. So wird die Naturreligion zum Instrument von Gewalt und Korruption.

Die Filmemacher bleiben fortwährend am Ball, Sprachnachrichten, Videomaterial und weitere Hinweise von Blessing auszuwerten, um involvierte Kriminelle möglicherweise enttarnen zu können. "Wir sehen sie in allen gängigen Milieus der Kriminalität, von Geldwäsche, über Kokainhandel bis Prostitution und Internetkriminalität", führt Stefan Fuchs, Leiter der NGO Trafficked Victim Unit, im Gespräch an. Die Reporter tauchen immer tiefer in diese Welt der Schatten ein. Undercover-Missionen und Aufnahmen mit versteckter Kamera tragen einen wesentlichen Teil zur Authentizität des Films bei. Nachgestellte Szenen sorgen für Klarheit und Realitätsnähe.

Eine Informantin bereitet sich auf ihre Undercover-Mission in einem Bordell vor, um mit versteckter Kamera die vorherrschenden Missstände aufzudecken.   (Bild: © ZDF / Steph Ketelhut / Argon Verlag AVE GmbH. )
Eine Informantin bereitet sich auf ihre Undercover-Mission in einem Bordell vor, um mit versteckter Kamera die vorherrschenden Missstände aufzudecken. (Bild: © ZDF / Steph Ketelhut / Argon Verlag AVE GmbH. )

Eine heiße Spur

Intensive Recherchen und die richtigen Kontakte ermöglichen es dem Kamerateam, hautnah in Nigeria bei einer Strafverfolgung einer vermeintlichen "Madame" dabei zu sein. Gibt es Zusammenhänge mit dem Fall "Blessing"? Was haben die Behörden vor Ort in der Hand? Die Dokumentation bleibt spannend wie ein Krimi. - Und die Brutalität des Menschenhandels in der Region nimmt kein Ende. Korruption ist an der Tagesordnung. "Wir werden jetzt umfangreiche Ermittlungen anstellen. Es gibt Hinweise in insgesamt drei Fällen. Sollte sich herausstellen, dass diese Frau Beziehungen zu Leuten bei den Behörden hat, ziehen wir uns aber zurück. Dann wird es gefährlich", räumt eine Beamtin ein. Das Filmteam zieht den Investigativjournalisten Nichola Ibekwe sowie den Privatermittler Solomon Okoduwa hinzu, um weitere exklusive Einblicke in die Schattenseiten des Landes zu erhalten.

Eines stellen die Macher klar heraus: Die Nachfrage - gerade auch in Deutschland - bestimmt den Markt. Liegt es also vor allem in der Hand der Freier, das Leid der jungen Frauen über kurz oder lang beenden zu können? Breymaier fordert diesbezüglich härtere Gesetze: "Wir haben jetzt 20 Jahre Erfahrung mit der Liberalisierung der Prostitution in Deutschland, und das Ergebnis ist, wir sind das Bordell Europas. Wir sind das Zielland für Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Junge Leute sollten damit aufwachsen, dass es nicht in Ordnung ist, eine Frau zu kaufen." Die Produzenten zeichnen ein gnadenlos ehrliches Bild einer grausamen Realität. Ihnen ist ein investigativer Beitrag gelungen, der fraglos für Aufsehen sorgen wird.

Eines der berüchtigsten Rotlichtmilieus Deutschlands ist das Frankfurter Bahnhofsviertel. Rund 2.000 Frauen gehen dort täglich anschaffen.  (Bild: © ZDF / Johannes Meier. )
Eines der berüchtigsten Rotlichtmilieus Deutschlands ist das Frankfurter Bahnhofsviertel. Rund 2.000 Frauen gehen dort täglich anschaffen. (Bild: © ZDF / Johannes Meier. )