Bradys Erbe liegt in Trümmern
Diese Niederlage wird Bill Belichick nicht so schnell vergessen. Am vierten Spieltag der NFL-Saison geriet der Headcoach mit seinen New England Patriots bei den Dallas Cowboys mit 3:38 unter die Räder. Bereits zur Halbzeit lag sein Team aussichtslos mit 3:28 zurück.
In seiner 23-jährigen Amtszeit hat er noch nie eine derart deutliche Niederlage kassiert. „Es ist surreal, wenn man sich ansieht, wie gut die Patriots in all den Jahren gespielt haben“, war selbst Cowboys-Owner Jerry Jones nach der Partie überrascht.
Zudem ergänzte Jones: „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir so ein Ergebnis erzielen würden.“
Dabei offenbarte die Partie einmal mehr, dass die lange so erfolgsverwöhnte Franchise wieder dort angekommen ist, wo sie vor der Ära von Tom Brady war: im Nirgendwo der Liga. Plötzlich liegt der einstige Dauer-Meister in Trümmern.
Patriots-Offense lahmt nach Brady-Abschied
Nach dem Abschied des Superstar-Quarterbacks im Frühjahr 2020 zu den Tampa Bay Buccaneers hechelt Belichick seinen Ansprüchen zunehmend hinterher. Er verpasste in zwei von drei Jahren die Playoffs und wies beide Male, wenn auch knapp, eine negative Bilanz auf.
In diesem Jahr sollte eigentlich damit Schluss sein. Mit Bill O‘Brien holte sich die Trainer-Legende wieder einen gelernten Offense Coordinator, nachdem das Experiment mit Matt Patricia und Joe Judge - beide keine ausgewiesenen Offensiv-Experten - zuvor krachend gescheitert war.
Von einer Verbesserung ist bisher aber nur wenig zu spüren. Mit durchschnittlichen 13,8 Punkten liegen die Pats fünf Punkte unter ihrem Durchschnitt nach den ersten vier Partien im Vorjahr - ligaweit reicht es nur zu Platz 30.
Auch in sämtlichen anderen Offensiv-Statistiken findet sich das Team aus dem Osten der USA im unteren Drittel wieder. Auffällig ist auch die hohe Anzahl an Turnovern. Schon jetzt haben die Patriots sieben Ballverluste zu verzeichnen, während sie nur zweimal selbst das Ei vom Gegner erobert haben.
Patriots-Quarterback Jones in der Kritik
Die offensiven Schwächen fallen vor allem auf den Mann zurück, der den nächsten Entwicklungsschritt machen sollte: Mac Jones.
Der Quarterback weist zwar leicht bessere Effizienzwerte wie QBR auf, dennoch mangelt es ihm derzeit an der Wurfgenauigkeit. Nachdem die Patriots ihn 2021 an der 15. Stelle im Draft geholt hatten, sank Jahr für Jahr seine Completion Percentage.
Zudem stieg die Anzahl von schlechten Würfen im Vergleich zum Vorjahr leicht von 13,4 auf 15,3 Prozent. Auch im Duell mit den Cowboys unterliefen Jones haarsträubende Fehler.
Bei seiner ersten Interception warf er den Ball quer übers Feld. Dallas-Cornerback DaRon Bland nutzte den Fehler und trug den Ball zum Touchdown in die Patriots-Endzone - es war bereits der zweite Pick Six von Jones in dieser Spielzeit.
Der frühere Wide Receiver Julian Edelman bilanzierte im „Ryen Rusillo Podcast“ passend das Problem von Jones, der immerhin schon im dritten NFL-Jahr ist: „Er hat immer noch Würfe drin wie ein Rookie.“
O‘Brian nimmt Jones in die Pflicht
Gegen die Cowboys wurde außerdem einmal mehr ersichtlich, dass der 25-Jährige immer wieder Gegenspieler übersah, weil er sich zu sehr auf den einen Mitspieler versteifte, zu dem der Ball kommen sollte.
So wurde Jones zum Ende der Partie auf die Bank verbannt, sodass Backup Bailey Zappe noch etwas Werbung in eigener Sache machen konnte.
Doch auch wenn Belichick klarmachte, dass der einstige Erstrundenpick nicht für seine schlechte Leistung runtergenommen wurde, müssen sich die Coaches etwas einfallen lassen.
Schließlich endeten 71 Prozent der Drives entweder im Punt oder in einem Turnover - das ist der schlechteste Wert der gesamten Liga.
„Wir sitzen alle im selben Boot“, sagte O‘Brian nach der Cowboys-Partie. Dabei hinterfragte sich der ehemalige Headcoach der Houston Texans auch kritisch, wenngleich er seinen Schützling nicht komplett aus der Schusslinie nahm: „Wenn man in dieser Liga Quarterback spielt, muss man die Fehler und die schlechten Spiele, die man hat, begrenzen. Er muss sich in seiner Entscheidungsfindung verbessern.“
Patriots mit Verletzungssorgen in der O-Line
Doch Jones ist nicht alleine für die aktuelle Pats-Misere verantwortlich. So ist die Offensive Line vor ihm von enormem Verletzungspech gebeutelt. In allen vier Begegnungen standen fünf neue Beschützer vor ihm - alles andere als optimale Voraussetzungen.
Wie gut er mit den ursprünglich eingeplanten Startern sein kann, zeigte er gegen die New York Jets. Dort kam er nur 13-mal unter Druck und auch das bis dato lahmende Run Game um Rhamondre Stevenson (25) und den einstigen Superstar Ezekiel Elliott (28) funktioniert plötzlich.
Darüber hinaus muss sich auch O‘Brian hinterfragen. Schließlich baut er bisher zu wenig Play Action ins Spiel der Patriots ein, diese Spielzüge zählen jedoch zu den Stärken von Jones.
Receiver um Juju Smith-Schuster enttäuschen
Auch die Passempfänger um Star-Neuzugang JuJu Smith-Schuster konnten bisher nur bedingt überzeugen. Besonders Smith-Schuster ist mit gerade einmal 80 Yards in vier Spielen eine komplette Enttäuschung.
Da ist es umso schwieriger nachzuvollziehen, warum die Patriots Jakobi Meyers in Richtung der Las Vegas Raiders ziehen ließen.
Es sind Personalentscheidungen wie diese, die die Kritik an Belichick größer werden lassen.
„Das ist kein Zufall. Das ist nicht etwas, in das sie einfach hineingestolpert sind. Es ist das Ergebnis einer Reihe von Entscheidungen, die über mehrere Jahre hinweg getroffen wurden“, monierte Marc Betrand von Bostons populärstem Sportradio-Sender 98,5 - The Sports Hub nach der Pleite gegen die Cowboys.
Fatale Fehlgriffe im Draft
In der Tat saßen die Personalentscheidungen, die Belichicks einst so erfolgreich gemacht hatten, zuletzt immer weniger. Dabei tat sich der 71-Jährigen in den vergangenen Jahren enorm schwer, gute Wide Receiver auf dem freien Markt oder im Draft zu identifizieren.
So griff Belichick unter anderem mit Erstrundenpick N‘Keal Harry 2019 an Position 32 komplett daneben: Sein Bestleistung für die Pats belief sich auf 309 Yards und zwei Touchdowns - in einer kompletten Saison. Heutige Top-Stars wie Deebo Samuel, A.J. Brown, D.K. Metcalf oder Terry McLaurin ließ ließ sich Belichick entgehen.
Das hat auch Patriots-Besitzer Robert Kraft bereits zur Kenntnis genommen und den Druck in der Offseason gehört. „Wir wollen gewinnen und tun alles, was wir können, um zu gewinnen“, sendete er im Rahmen des Owner Meetings eine klare Botschaft an seinen Angestellten.
Auch wenn es aufgrund der Erfolge der Vergangenheit unwahrscheinlich erscheint, dass Belichick entlassen wird, wäre auch ein anderes Szenario möglich. „Wenn sie in dieser Division Letzter werden, nicht die Kurve kriegen und es nicht in die Playoffs schaffen, dann werden sich die Patriots und Bill Belichick am Ende der Saison wohl einvernehmlich trennen“, glaubt Mike Florio von Pro Football Talk.
Der Druck auf Belichick dürfte somit nicht kleiner werden, auch wenn mit den New Orleans Saints und Las Vegas Raiders nun zwei Gegner auf Augenhöhe warten. Die Trainer-Legende braucht Erfolge, sonst sind seine Tage in Boston gezählt.