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Der "brillante, narzisstische Milliardär" und die Mädchen: Netflix-Doku über den Fall Epstein

"Ich weiß noch, dass ich sagte, dass ich 15 bin. Dabei war ich in Wahrheit 14. Er fand es nicht schlimm." - In der Netflix-Doku "Jeffrey Epstein: Stinkreich" erinnern sich die Missbrauchsopfer an ihr Martyrium.

Der Mann, der da im Januar 2012 bei einer Anhörung vor Gericht schwört, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen, wirkt eigentlich sympathisch: graue, natürlich gewellte Haare, hellblaues Hemd, verbindlicher Ausdruck, offener Blick. "Ich heiße Jeffrey Edward Epstein." Der erste Eindruck zählt, heißt es. Aber hier relativiert er sich sehr schnell.

Epsteins schlagzeilenträchtige Horrorstory ist hinlänglich bekannt. Ihm war vorgeworfen worden, über viele Jahre hinweg Dutzende Minderjährige missbraucht und zur Prostitution gezwungen zu haben. Einer lebenslangen Freiheitsstrafe hat der millionenschwere Unternehmer mit besten Verbindungen in höchste Kreise lange entgehen können. Lediglich 13 Monate unter, wie es heißt, milden Bedingungen saß er ab. Im Sommer vergangenen Jahres war er schließlich am Flughafen Teterboro, New Jersey, erneut festgenommen worden. Im August 2019, kurz nach seiner Festnahme, hat er sich im Alter von 66 Jahren in einem New Yorker Gefängnis das Leben genommen.

Die neue vierteilige Netflix-Doku "Jeffrey Epstein: Filthy Rich" (auf Deutsch: "Stinkreich", ab sofort abrufbar) rollt den kompletten Fall nun in Netflix-typischer Manier akribisch auf: Hochspannend und verdichtet, wie ein Thriller, lotet der Vierteiler unter der Regie von Lisa Bryant die Hintergründe und vielfachen Verstrickungen aus und macht auch vor den verstörendsten Details nicht Halt. "Diese Serie enthält Darstellungen von sexuellem Missbrauch, unter anderem an Minderjährigen, die verstörend sein können", warnt Netflix gleich zu Beginn.

Die Geschichten der Opfer

Mit der Hilfe seiner Lebensgefährtin Ghislaine Maxwell lockte Epstein junge Frauen und Mädchen in seine diversen teuren Anwesen, um sich von ihnen "massieren" zu lassen. Manche von ihnen waren im Teenageralter. Epstein vermittelte manche der Mädchen weiter an seine einflussreichen Freunde. "Ein Musterbeispiel für den Missbrauch von Macht und Geld", heißt es in der Doku, die sich in weiten Teilen nicht der Täterperspektive widmet, sondern ausgiebig die Geschichten der Opfer erzählt. Einige sprechen nun das erste Mal über ihre Erlebnisse. Vor der Netflix-Kamera schildern die damals sehr jungen Frauen, was ihnen seinerzeit, in den 90er-Jahren und bis weit in die "Nullerjahre" hinein, widerfahren ist. Sie erinnern sich oft in allen Einzelheiten an die Momente des Grauens, an die Tränen, die Verzweiflung und die psychischen Folgen, die sie bis in ihr heutiges Leben begleiten.

Immer wieder blendet die Doku auf die Schauplätze des Epstein-Falles: exklusive Anwesen, in denen rauschende Partys oder ganz private Tête-à-Têtes stattgefunden haben sollen. Nachbarn berichten von sehr jungen Mädchen, die sie dort gesehen haben wollen. Und es fallen viele große Namen. Epstein und Donald Trump waren Nachbarn in Palm Beach und auch nach Trumps Bekunden eng befreundet.

Prinz Andrew, der sich im vergangenen Jahr zu seinem Verhältnis mit Epstein äußern musste, wurde eines im Film zitierten Zeugen zufolge auf Epsteins privater Karibikinsel gesehen - im Beisein von Virginia Roberts, die bekanntlich ausgesagt hatte, als 17-Jährige von Epstein zum Sex mit Prinz Andrew gezwungen worden zu sein. Nein, der königlichen Familie wird auch dieser neuerliche Beitrag über den royalen Skandal nicht gefallen.

Bekannt ist, dass Epsteins Privatjet inoffiziell als "The Lolita Express" betitelt wurde, seine Privatinsel Little Saint James in der Karibik machte als "Orgy Island" Schlagzeilen.

"Wollte einfach, dass es aufhört"

Erzählt wird in "Jeffrey Epstein: Filthy Rich" auch die Geschichte jener Menschen, die den Mut hatten, gegen einen derart prominenten Verdächtigen hartnäckig genug zu ermitteln. Joe Recarey vom Palm Beach Police Department klemmte sich 2005 mit besonderer Akribie hinter den Fall. Er wollte einfach erreichen, "dass es aufhört", sagt er.

Im Laufe einer rund 13-monatigen Ermittlung hatten sich damals über 50 mutmaßliche Opfer bei der Polizei gemeldet. Bei einer Durchsuchung von Epsteins Villa tauchten Fotografien von minderjährigen Mädchen auf. In der Doku zeugen jetzt sowohl Mitschnitte von Aussagen jener Opfer als auch neue Interviews vom immergleichen Vorgehen Epsteins: Der Milliardär lockte sie zu sich, gab sich zunächst freundlich und vertrauensvoll und näherte sich dann - stets über Massagen - körperlich an. Anschließend wollte er beschwichtigen und zahlte oft größere Summen "Als junges Mädchen gehorcht man einfach, weil er der Erwachsene ist. Du tust, worum man dich bittet", sagt eine Frau. Eine andere erinnert sich: "Er kam mir vor, wie ein furchteinflößender, kranker Irrer."

"Sehr verletzliche Mädchen"

Eine Jugendpsychologin erklärt, dass sich Epstein "sehr verletzliche Mädchen" aussuchte. Sexualstraftäter wie Epstein hätten "ein Auge dafür, wem etwas fehlt". Der Vierteiler wartet mit unzähligen, kaum zu ertragenden Belegen für diese These aus. "Früher sah ich mich als eine erblühende Blume", windet sich eines der Weinstein-Opfer unter Tränen, während ein Bild von einem Teenie mit Zahnspange eingeblendet wird. "Danach war es, als hätte jemand diese Blume gepflückt, ihre Wurzel herausgerissen, ihre Blüte zerstampft und sie zerschmettert."

"Wenn man ein Mädchen im Teenageralter mit einem brillanten, narzisstischen Milliardär zusammenbringt, ist deren jugendliches Gehirn nicht in der Lage, zu verstehen oder darauf zu reagieren, was gerade passiert", sagt die Psychologin.

Eine Frau erinnert sich, was geschah, als sie damals zusammen mit einer Freundin ins Epstein-Haus in Palm Beach gebracht wurde. Plötzlich sei sie mit ihm allein gewesen. "Dann fragte mich der Typ nach meinem Alter. Ich weiß noch, dass ich sagte, dass ich 15 bin. Dabei war ich in Wahrheit 14. Er fand es nicht schlimm." Epstein habe ihr gesagt, sie solle "seine Brustwarzen so fest wie möglich drücken". Heute sagt die Frau in die Kamera: "Ich erinnere mich, wie ich da stand und dachte: Was ist hier los?' Ich war 14. Und Jungfrau." Epstein habe ihr anschließend Geld gegeben. "Ich konnte nicht sagen, dass das nicht normal ist. Und nicht richtig ist."