BSW zittert um Einzug in Bundestag - Wagenknecht-Truppe besitzt einmaliges Wahlkampf-Ass, spielt es aber nicht aus
In einer neuen Umfrage kommt das BSW nicht einmal mehr auf fünf Prozent. Dann sind da noch zwei Querulanten, die in Hamburg für Ärger sorgen. Zerlegt sich das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ kurz vor der Bundestagswahl?
Ein Paukenschlag folgt in der Wagenknecht-Truppe auf den nächsten. Im Dezember gründeten die beiden Hamburger BSW-Mitglieder Dejan Lazić und Norbert Weber einen eigenen Landesverband unter dem Namen „Bündnis für Vernunft und Gerechtigkeit“.
Sie äußerten - unüblich für das noch junge „Bündnis Sahra Wagenknecht“ - Kritik an der Parteispitze, bemängelten etwa den Personenkult um Wagenknecht und die restriktive Aufnahmepraxis.
Zuletzt strengten sie laut „Spiegel“ sogar eine Klage gegen die beschlossene Wahlliste für die Hamburger Bürgerschaftswahl an. Jetzt hat das Verhalten der BSW-Rebellen ernste Konsequenzen. Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ hat Lazić und Weber die Mitgliedsrechte entzogen.
Wie das Portal „t-online“ berichtet, hat der Bundesvorstand der Partei am 6. Januar außerdem einen Antrag auf Parteiausschluss gegen die beiden Politiker an das Landesschiedsgericht gestellt.
BSW-Rebell: „Das ist so wie ein Racheakt, das ist ein Maulkorb“
Eine BSW-Sprecherin erklärte, „wiederholte Verstöße gegen unsere Satzung sowie parteischädigendes Verhalten“ hätten zu der Entscheidung geführt. Lazićs und Webers Agieren sei nicht als konstruktive Kritik zu werten.
Vielmehr sei es der Versuch, das BSW durch Anträge und Klagen zu blockieren, zu diskreditieren und zu schädigen. Lazić sieht das offensichtlich anders. Die Deutsche Presse-Agentur zitiert ihn mit den Worten: „Das ist wie so ein Racheakt, das ist ein Maulkorb.“
Der parteiinterne Zwist kommt zur Unzeit. In rund sechs Wochen wählen die Deutschen einen neuen Bundestag . In einer aktuellen Umfrage des Instituts GMS kommt das BSW nur auf vier Prozent der Stimmen.
Das sind zwei Prozentpunkte weniger als im Vormonat. Und wäre nächsten Sonntag wirklich Bundestagswahl, würden vier Prozent nicht reichen, um als Partei ins Parlament einzuziehen.
BSW kann beachtliche Erfolge vorweisen
Das BSW, das erst im vergangenen Jahr gegründet wurde, ist bisher eigentlich äußerst erfolgreich. In Brandenburg und Thüringen regiert die junge Partei sogar schon mit. Kommt jetzt der große Dämpfer ?
Sarah Wagner, Politikwissenschaftlerin an der Queen’s University Belfast und BSW-Expertin, sieht mehrere Gründe für die aktuellen Entwicklungen. „Der zwischenzeitliche Höhenflug des BSW hat sich unter anderem aus der Opposition zur Ampel-Koalition ergeben. Da es aber keine Ampel mehr gibt, fehlt der Partei ein wichtiger Gegenspieler, an dem sich Wagenknecht hochziehen kann“, sagt sie im Gespräch mit FOCUS online.
„Die guten Wahlergebnisse bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben darüber hinweggetäuscht, dass das BSW für ganz Deutschland betrachtet nicht so stark ist.“ In Ostdeutschland, so erklärt es Wagner, kommt die Partei deutlich besser an.
„Dort spielen Themen wie die wirtschaftlichen Unsicherheiten und mögliche Friedenslösungen für die Ukraine eine größere Rolle.“ Zusammengefasst bedeutet das: Die Landtagswahlen im Osten haben das BSW zum „Scheinriesen“ gemacht.
„Es geht eigentlich nur darum, was Wagenknecht sagt“
Interessant ist, dass innerparteilicher Streit dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ Wagners Einschätzung nach weniger anhaben kann als anderen Parteien. Der Grund: Eben jener Personenkult, den auch die BSW-Rebellen Weber und Lazić angesprochen hatten.
Die Wähler seien sehr auf Wagenknecht fokussiert, so Wagner. „Sie ist einer der Hauptgründe, warum Menschen das BSW gut finden. Abweichende Positionen in der Partei spielen in der Wahrnehmung potenzieller Wähler kaum eine Rolle.“
Außerdem ist das BSW laut der Politologin zentralistisch und hierarchisch strukturiert. „Es geht eigentlich nur darum, was Sahra Wagenknecht sagt – das wird dann ausgeführt. Das ist ein Unikat in der deutschen Parteienlandschaft.“
BSW-Generalsekretär gibt sich betont gelassen
Beim BSW selbst gibt man sich betont gelassen. Der Konflikt mit Lazić und Weber? „Überhaupt kein Risiko für den Bundestagswahlkampf “, erklärt Generalsekretär Christian Leye auf Nachfrage von FOCUS online.
„Ich frage mich, wie dieser Fall so viel Öffentlichkeit erlangen konnte. Da erklären zwei unzufriedene Mitglieder, sie hätten einen Verband gegründet - gegen den expliziten Wunsch der Partei, gegen deren Satzung und auch noch mit einem anderen Parteinamen.“
Die GMS-Umfrage, in der das BSW unter die Fünf-Prozent-Hürde fällt? „Das beunruhigt mich nicht“, meint Leye. „Seit die Idee in der Welt war, eine neue Partei aufzubauen, hat man immer erzählt: Das schaffen die nicht. Das war vor der Parteigründung, vor den Europawahlen, vor den Landtagswahlen und vor den Koalitionsverhandlungen der Fall. Und jedes einzelne Mal haben wir geschafft, was vor uns noch keiner geschafft hat.“
Überhaupt sei die Stimmung innerhalb der Partei „sehr gut“. Mitglieder und Unterstützer würden für den Wahlkampf brennen. Es wirkt so, als würde man Kritik gar nicht an sich heranlassen. Vielleicht auch naiv. Zu optimistisch für die Negativ-Schlagzeilen, mit denen sich das BSW auseinandersetzen muss.
Bundestagswahlkampf könnte für BSW zur Herausforderung werden
Politologin Wagner sieht gerade mit Blick auf die Bundestagswahl große Herausforderungen auf die Partei zukommen. „Das BSW ist lange nicht so gut organisatorisch aufgestellt wie andere Parteien. Die Partei hat – weil Wagenknecht das so will – nicht viel mehr als 1000 Mitglieder. Es fehlen Leute, die auf der Straße Plakate aufhängen oder auf Marktplätzen werben“, sagt sie.
Allerdings erkennt sie auch einen Vorteil. Denn: Das Gesicht des BSW ist Wagenknecht. Sie ist den meisten Menschen in Deutschland ein Begriff, tritt oft in den Medien auf.
Durch Wagenknecht „kann das BSW die Informationen über die eigene Position viel ohne große Ressourcen an die Menschen vermitteln“, meint Wagner. Sie resümiert: „Für das BSW ist es jetzt auch wichtig, in den Medien und in den sozialen Medien sehr präsent zu sein – und da in erster Linie Wagenknecht. Die Partei hat keine bekannten Wahlkreiskandidaten, mit denen sie punkten kann.“
Ziemlich leerer Terminkalender
Seltsam: Im Moment scheint das BSW den Wagenknecht-Vorteil nicht auszuspielen. Bei X ist die Parteichefin zwar aktiv, der Rhythmus ihrer Posts war aber in den vergangenen Wochen unregelmäßig, die Schlagzahl nicht besonders hoch. Und auch Wahlkampfauftritte sind rar gesät.
Am Sonntag wird Wagenknecht auf dem Parteitag in Bonn zu sehen sein. Sonst ist der Terminkalender bislang ziemlich leer. Ganz im Gegensatz zur Konkurrenz: Robert Habeck absolviert für die Grünen Veranstaltungen vor Tausenden Menschen, Christian Lindner will für die FDP sogar 75 Auftritte in 46 Tagen hinlegen. Woher kommt die Zurückhaltung von Wagenknecht?
BSW muss mit Ressourcen haushalten
Zum einen könnten hier wieder die knappen Ressourcen eine Rolle spielen. Eine Halle für Großauftritte anzumieten, ist teuer. Das BSW hat viel Geld in die Ost-Wahlkämpfe gesteckt, die vorgezogene Bundestagswahl kommt deshalb zur Unzeit. Zudem fehlt es schlichtweg an Menschen, die eine so große Wahlkampftour wie bei anderen Parteien organisieren können.
Da ergibt es Sinn, die Ressourcen auf die Endphase des Wahlkampfs zu konzentrieren. Im Februar sind neun große Wagenknecht-Auftritte geplant. Das entspricht dem Trend vergangener Wahlen, dass viele Menschen erst sehr spät ihre Entscheidung getroffen haben, bei wem sie das Kreuz setzen wollen.
Zum anderen könnte womöglich auch Wagenknecht selbst auf die Bremse drücken. Schon vor Parteigründung sagten Weggefährten immer wieder, sie sei nicht gerade für ein hohes Arbeitspensum bekannt. Das allerdings ist auch verständlich. Wegen eines Burn-outs hatte sich Wagenknecht zwischenzeitlich aus der ersten Reihe der Politik zurückgezogen. „Der Arzt hat unmissverständlich zu mir gesagt: ‚Sie können so nicht weitermachen!‘“, erklärte sie 2019 in einem Interview.