Bundespräsident im Sommerinterview - Bei Solingen bleibt Steinmeier vage - dann attackiert er plötzlich Grünen-Chef

<span class="copyright">dpa</span>
dpa

36 Stunden nach der Tat von Solingen stellt sich Frank-Walter Steinmeier vor die Fernsehkameras – und das mit einem bemerkenswert matten Auftritt. Der Zuschauer hört viel von „ich glaube“ und „vielleicht“. Nur im Urteil über die Ampelpolitik wird der Bundespräsident deutlich.

Seinem Team für die Öffentlichkeitsarbeit wird die Messerattacke von Solingen einiges an Vorbereitungen verhagelt haben. Nun also muss sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, in zweiter Amtszeit bis 2027 gewählt, in einer aufgeheizten Stimmung vor die ZDF-Kameras setzen. Die Tagesaktualität hat den Mann eingeholt, der sonst ja über der Tagespolitik zu stehen hat. Kann das Staatsoberhaupt Deutschland in aufgeregten Zeiten beruhigen? Die Zuschauer im ZDF erleben einen bemerkenswert matten Bundespräsidenten. Der nur ganz zum Schluss im Urteil über die Ampelpolitik deutlich wird.

„Ich glaube“ und „vielleicht“

„Ich glaube nicht, dass wir hilflos sind“: So sagt es der Bundespräsident. „Ich glaube nicht“: Das klingt nach einem auffallend schwachen Satz, der nicht gerade geeignet ist, ein Gefühl von Sicherheit zu geben. So geht es weiter. „In der Tat, wir müssen uns vor solchen Angriffen schützen“, fügt der Bundespräsident hinzu. „Vielleicht auch besser schützen.“

Auch das Wort „vielleicht“ spricht nicht für größte Souveränität. Allerdings plädiert Frank-Walter Steinmeier dann für „mehr Personal“ für die Sicherheitsbehörden und „bei terroristischer Gefahr möglicherweise die Ausweitung der Befugnisse“. Es gebe ein Gesetzgebungsvorhaben, um die Zuständigkeiten des Bundeskriminalamtes zu erweitern. „Darüber wird man beschleunigt beraten.“

„Volksgut“, viel Wind und ein Vogel Strauß

Es ist verblüffend, welche Bilder das ZDF zu Beginn des Sommerinterviews mit dem Bundespräsidenten einblendet. Wir sehen: eine Windmühle. Wir sehen ein Straßenschild: „Volksgut“. Wir sehen: einen Vogel Strauß. Wäre spannend, was sich da jemand gedacht hat: Soll die Politik den Kopf in den Sand stecken, wenn das Volksgut viel Wind macht? Spekulation.

Ein lächelnder Bundespräsident tritt vor die Kamera im Kloster Jerichow in Sachsen-Anhalt. Im Landkreis Stendal beginnt Frank-Walter Steinmeier seine zwölfte „Ortszeit“. So hat er seine Verlegung der Amtsgeschäfte in die Regionen betitelt. „Ich freue mich darauf“, sagt der 68-Jährige, „was die Menschen zu erzählen haben, was sie besorgt, was sie möglicherweise auch freut.“

An diesem Sonntag dürften die Sorgen bei vielen im Vordergrund stehen. Als Grund für seine „Ortszeiten“ nennt Steinmeier: „Meine Beobachtung war, dass der Ton in unserer Gesellschaft zunehmend unversöhnlicher wird. Deshalb müssen wir uns zu den Wurzeln der Politik bewegen, deshalb müssen wir raus aus den Amtszimmern. Wir müssen Botschaften mitnehmen.“ Immer wieder kommt er darauf zurück. Ganz so, als könnte er damit die Stimmung im Land verändern.

„Es klingt sehr hilflos“, staunt die Interviewerin

36 Stunden nach der Tat von Solingen sagt der Bundespräsident: „Wir können noch nicht alle Antworten geben. Wir müssen der Opfer gedenken. Der Täter muss die Härte des Gesetzes spüren.“ Interviewerin Diana Zimmermann konfrontiert Frank-Walter Steinmeier mit „ganz ähnlichen Sätzen“ von ihm – nur zwei Monate zuvor nach dem Messerangriff von Mannheim.

Da räuspert sich der Bundespräsident erst einmal. „Es klingt einfach sehr hilflos“, sagt Zimmermann. Und auch die Einlassungen zu Personal und Befugnissen scheinen sie da wenig zu überzeugen: „Das ist bei vielen Bürgern zunehmend schwierig. Viele haben den Eindruck, dass unsere Welt brüchig geworden ist, Risse bekommen hat.“ Gerade im Osten erwarten die Bürger „andere Antworten, als die etablierten Parteien sie ihnen geben.

Was haben Sie dem entgegenzusetzen?“ Offensichtlich ist es nicht sehr viel. Wieder leitet der Bundespräsident seinen Satz ein: „Ich glaube…“. Wieder verweist er auf seine „Ortszeit“, von denen acht im Osten stattfanden: „Wir müssen dahingehen, wo die Menschen ihre Sorgen haben. Ich stelle fest, dass es ein Grundbedenken vor allem in den ländlichen Regionen gibt, dass die Agenda der Hauptstädte nicht erfasst, was wirklich fehlt.“

Keine Macht für Demokratiegegner

Die Angst vieler Politiker vor dem kommenden Wahlsonntag spielt der Bundespräsident herunter und spricht nur von einem „etwas anderen Wahlverhalten einiger“. Ist das Thema Migration dafür entscheidend? „Es gibt nicht den einen tragenden Grund.“ Diana Zimmermann will wissen: „Sehen Sie unsere Demokratie in Gefahr?“

Steinmeier: „Ich bin immer dagegen, dass wir einzelne Wahlen zu Schicksalswahlen hochreden. Aber wir leben in einer Zeit der Bewährungsprobe für unsere Demokratie.“ Der Bundespräsident verweist auf Europa, er verweist auf die USA. Und für Deutschland fügt er hinzu: „Wer die Grundfesten unserer Demokratie angreift, in dessen Hände darf Macht nicht gelangen.“

„Zurück an die Werkbank!“

Nur bei der Regierungspolitik, die viele als Ampel-Chaos erleben, wird der Bundespräsident deutlich. Eine Ohrfeige gibt es für den Grünen-Vorsitzenden Omid Nouripour, dem er Verantwortungslosigkeit unterstellt.

„Was ich zuletzt in einem Sommerinterview gehört habe von einer ‚Übergangsregierung‘ geht völlig an der Verantwortung vorbei.“ Und im Urteil über die Ampel bleibt Frank-Walter Steinmeier klar: „Wenn die Lage objektiv schlecht ist, dann erwarten die Menschen, dass alles getan wird, um sie zu verbessern.“

Da helfe auch keine Selbstzerknirschtheit von Regierenden immer dann, wenn es zu spät ist. „Wer sich um Verantwortung bewirbt, der wird am Ende daran gemessen werden, ob er dieser Verantwortung gerecht wird.“ Steinmeiers Appell: „Anpacken statt spekulieren, zurück an die Werkbank!“