Bundestag diskutiert über Lebensmittelverschwendung - Ernährungsprofi: Warum Mindesthaltbarkeitsdatum kein Wegwerfdatum sein sollte

Abgelaufen, aber noch gut: So sollen Supermärkte genießbare Lebensmittel retten<span class="copyright">Getty Images/Tom Werner</span>
Abgelaufen, aber noch gut: So sollen Supermärkte genießbare Lebensmittel rettenGetty Images/Tom Werner

In Deutschland landen jährlich Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Im Deutschen Bundestag findet am 23.9.24 ein öffentliches Fachgespräch statt, damit das weniger passiert. Ernährungswissenschaftler Uwe Knop diskutiert Lösungen, um dieser Verschwendung entgegenzuwirken.

Worum geht es in dem Fachgespräch des Deutschen Bundestags konkret?

Im Deutschen Bundestag findet ein öffentliches Fachgespräch zum Thema „Verpflichtende Weitergabe genießbarer Lebensmittel durch den Lebensmitteleinzelhandel“ statt. Diese Expertendiskussionsrunde basiert auf dem Bürgergutachten „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“ und wird organisiert vom „Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft“.

Es geht also primär darum, dass der Lebensmitteleinzelhandel Produkte mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) nicht einfach entsorgen, also wegschmeißen kann, sondern genießbare Lebensmittel abgeben muss. Wie genau das ablaufen kann, welche Möglichkeiten es dazu gibt und was letztlich in verpflichtende Gesetze gegossen wird, darauf können wir gespannt sein.

Sind denn Lebensmittel mit abgelaufenem MHD überhaupt noch genießbar?

Ja, bei vielen verschiedenen Lebensmitteln wissen wir, dass sie noch Wochen nach Ablauf dieses Datums bedenkenlos konsumierbar sind. Was sich jedoch nach dem MHD ändert, das ist die rechtliche Haftung. Bis zum MHD haftet der Hersteller für Probleme, danach greift eine sogenannte Haftungsumkehr - und es haftet der Händler/Verkäufer respektive der Supermarkt.

Ein Händler kann diese Lebensmittel also grundsätzlich noch verkaufen, denn Supermärkte sind nicht an das Mindesthaltbarkeitsdatum gebunden - aber diese Haftung will sich der Handel nicht ans Bein binden. Für die Läden ist es dann die einfachere unternehmerische Entscheidung, die abgelaufenen Lebensmittel besser nicht mehr zu verkaufen, sondern zu entsorgen - um Kunden-Beschwerden oder gar rechtlichen Schritten, also Klagen vorzubeugen.

Daher denken viele Menschen noch immer, wenn das MHD überschritten ist, müssen die Lebensmittel in den Müll. Doch das ist Quatsch. Das MHD besagt nur: Bis hierhin garantiert der Hersteller „Topfrische & beste Qualität“. Danach kann es zu Einbußen kommen. Aber in der Regel sind diese Lebensmittel, deren MHD dezent in der Vergangenheit liegt, noch immer konsumierbar.

Hier hilft oftmals ein einfacher aber kritischer sensorischer Test (auf eigene Verantwortung): Anschauen, riechen und probieren, wenn Nase (!) und Augen das „GO“ geben.

Das MHD muss eigentlich umbenannt werden in QGD „Qualitäts-Garantie-Datum“ - denn „Mindest-Haltbarkeit“ suggeriert, danach ist die Haltbarkeit dahin. Und das ist einfach Quatsch. Das MHD ist definitiv kein Wegwerfdatum.

Wie ist diese Idee einer verpflichtende Weitergabe genießbarer Lebensmittel durch den Lebensmitteleinzelhandel grundsätzlich zu bewerten?

Das ist grundsätzlich eine Super-Idee, denn: Jedes Jahr landen in Deutschland wahnwitzige elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Mülleimer. Auch wenn den größten Teil dieser Lebensmittelabfälle die Menschen zu Hause verursachen (fast 60 Prozent wird in privaten Haushalten weggeworfen), so muss das nicht auch noch im Supermarkt passieren.

Hier sollten unbedingt Lösungen gefunden werden, beispielsweise, dass Lebensmittel mit abgelaufenem MHD verpflichtend verschenkt werden müssen. Sie kosten also nichts mehr, aber dafür haftet der Händler auch nicht - die Verantwortung muss der Beschenkte übernehmen. Das wäre ein fairer und cooler Deal, der zu weniger Lebensmitteln im Müll und zu mehr glücklichen Menschen führen würde! Was spricht dagegen? Nichts!

Wie können die Bürger noch motiviert werden, weniger Lebensmittel wegzuwerfen?

Jeder sollte sich einmal ehrlich fragen: Habe ich genug Achtsamkeit, Respekt und Wertschätzung für Lebensmittel, besonders für Fleisch, Milch, Käse? Denn für diese Lebensmittel sterben Tiere. Das sollte jedem bewusst sein. Entwickeln Sie daher ein empathisches Bewusstsein für das besondere Geschenk auf dem Teller. Dem gebührt höchster Respekt und ein wenig Demut - das schmeißt man nicht einfach achtlos weg, nur weil es einem halbfrisch nicht mehr schmeckt - oder gar aus niederen Beweggründen, weil man gerade lieber etwas anderes isst, denn ist ja alles so schön günstig, kaufe ich einfach neu.

Nein. Diese überhebliche Denke sollte der Vergangenheit angehören. Ernährung ist die wichtigste Hauptsache der Welt, Essen ist der evolutionsbiologische Trieb zur Lebenserhaltung Nummer eins, noch weit vor Sex. Und dazu brauchen wir Lebensmittel, tagtäglich, sehr viele.

Wir leben in Schlaraffia Germania - und das sollen wir alle wieder viel mehr wertschätzen und diesen Respekt auch den Lebensmitteln an sich entgegen bringen.