Streit im Bundestag nach Selenskyj-Rede

Nach der Video-Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Bundestag am Donnerstagmorgen hatten Abgeordnete gestritten, ob es eine Aussprache darüber geben sollte.

Streit gab es um eine von der Union beantragte und von der Ampel-Koalition abgelehnte Debatte über den Ukraine-Krieg nach der Rede Selenskyjs. Die Koalition von SPD, Grünen und FDP hatte einen Antrag der Union für eine Aussprache nach kontroverser Debatte abgelehnt. Zustimmung zum Antrag kam von den anderen Oppositionsparteien Linke und AfD. Parlamentsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) war nach der Rede Selenskyjs ohne Pause zur Tagesordnung übergegangen und hatte zunächst zwei Abgeordneten zum Geburtstag gratuliert - begleitet von Zwischenrufen aus der Unionsfraktion wie "unwürdig".

«Der würdeloseste Moment im Bundestag, den ich je erlebt habe»

«Das war heute der würdeloseste Moment im Bundestag, den ich je erlebt habe», schrieb der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen auf Twitter. Der CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz nannte die Ablehnung «völlig unpassend» und der frühere Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger «peinlich».

Führende Politiker von SPD, Grünen und FDP verteidigten ihre Haltung. «Wir, die Ampel-Koalition, sind überzeugt, dass die Worte des ukrainischen Präsidenten für sich stehen. Sie haben es verdient, für sich wahrgenommen zu werden», sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast.

«Das Parlament hat heute wahrlich kein gutes Bild abgegeben. Diese Kritik müssen wir uns alle anziehen», sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), der Deutschen Presse-Agentur. Parteipolemik von Merz habe dem ganzen die Krone aufgesetzt.

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann ist nach eigenen Angaben "sehr unglücklich" über die Vorgänge im Bundestag nach der Rede Selenskyjs. "Die eindringliche Ansprache des ukrainischen Präsidenten hat uns alle sehr bewegt", sagte Haßelmann der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Die darauf folgende Geschäftsordnungsdebatte war dem in keiner Weise angemessen. Ich bedaure das sehr." Die Fraktionen im Bundestag hätten kein gutes Bild abgegeben. "Wir alle sollten den heutigen Tag selbstkritisch bewerten und dafür Sorge tragen, dass sich ein solcher Vorgang nicht wiederholt."

Emotionaler Appell: Ukrainischer Präsident Selenskyj verlangt mehr Hilfe von Deutschland

Drei Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem emotionalen Appell mehr Hilfe von Deutschland gefordert.

Wieder gehe eine Mauer durch Europa, sagte Selenskyj laut Übersetzung in einer Videoansprache an den Bundestag. Er richtete sich direkt an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): «Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, zerstören Sie die diese Mauer. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die Deutschland verdient.»

Selenskyjs Rede an den Bundestag und an Deutschland in voller Länge im Video:

Referenz zu Ronald Reagans Mauer-Appell

Bei der Metapher der Mauer bezog sich Selenskyj auf den früheren US-Präsidenten Ronald Reagan. Dieser hatte 1987 in West-Berlin an die Sowjetunion appelliert, die Berliner Mauer niederzureißen.

Selenskyj betonte, in seinem Land seien nun Zivilisten und Soldaten wahllos Ziel russischer Angriffe. Laut Übersetzung sagte er: «Russland bombardiert unsere Städte und zerstört alles, was in der Ukraine da ist. Das sind Wohnhäuser, Krankenhäuser, Schulen, Kirchen, alles. Mit Raketen, mit Luftbomben, mit Artillerie. In drei Wochen sind sehr viele Ukrainer gestorben, Tausende. Die Besatzer haben 108 Kinder getötet, mitten in Europa, bei uns im Jahre 2022.»

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Der Präsident erinnerte an den deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion vor 80 Jahren und fügte hinzu: «Wieder versucht man in Europa, das ganze Volk zu vernichten.» Er dankte allen Deutschen, die sich für die Ukraine einsetzten, auch Unternehmen, die Moral über Gewinn setzten. Zugleich beklagte er, dass er lange vergeblich um Hilfe gebeten und sein Ansinnen eines Nato-Beitritts keinen Erfolg gehabt habe. «Und auch jetzt zögern Sie noch beim Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union.» Auch das sei ein «Stein für die neue Mauer».

Scholz stellt weitere Unterstützung in Aussicht

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die Videoansprache Selenskyjs im Bundestag gewürdigt und ihm weitere Unterstützung in Aussicht gestellt. Es seien «eindrucksvolle Worte» gewesen, sagte Scholz zu der Rede und versicherte: «Wir stehen an der Seite der Ukraine.»

Scholz verwies bei einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf die laufende Unterstützung für die Ukraine, zu der auch Waffenlieferungen gehören. «Deutschland leistet hier seinen Beitrag und wird das weiter tun.» Konkreter wurde der Kanzler nicht. Er bekräftigte allerdings auch: «Die Nato wird nicht militärisch in diesen Krieg eingreifen.»

Diese Waffen fordert die Ukraine

Die Ukraine hat der Bundesregierung eine lange Liste mit schweren Waffen vorgelegt, die sie sich für die Verteidigung gegen Russland wünscht. Dazu gehören Kampfpanzer, Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe. Die Bundesregierung hat bisher unter anderem Panzerfäuste und Flugabwehrwaffen geschickt.

Göring-Eckardt zeigt sich entsetzt

Göring-Eckardt drückte Entsetzen über den von Russland begonnenen Krieg aus und sicherte Kiew die Solidarität Deutschlands zu. «Wir sehen euch, wir sind in Gedanken bei euch und bei denen, die um euch trauern», sagte die Grünen-Politikerin mit Blick auf die Kriegstoten.