Zufallsgewinne und Merit Order: Karlsruhe verhandelt über Strompreisbremse
Obwohl sie schon Ende 2023 ausgelaufen ist, hat die Strompreisbremse am Dienstag noch einmal das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Karlsruhe verhandelte über die Verfassungsbeschwerden von 22 Ökostromerzeugern. Sie wenden sich gegen die Abschöpfung eines Teils ihrer Erlöse, der zur Finanzierung der Entlastungen genutzt wurde. (Az. 1 BvR 460/23 und 1 BvR 611/23)
Die Strompreisbremse war eine Folge des Ukraine-Kriegs. Vor allem wegen ausbleibender Gaslieferungen aus Russland stiegen die Energiepreise in kurzer Zeit stark. Besonders Gas, das auch zur Stromerzeugung verwendet wird, wurde teurer. Ein Vertreter des Bundeskartellamts verglich den Vorgang vor Gericht mit einem Erdbeben. Der Strompreis habe sich in der Spitze im August 2022 im Vergleich zum Durchschnittswert des Vorjahres verzehnfacht.
Auch Betreiber von Anlagen zur Stromproduktion aus anderen Energiequellen konnten ihre Gewinne damals enorm steigern. Denn an der Strombörse gilt das Merit-Order-Prinzip, auf Deutsch Einsatzreihenfolge: Der Preis wird durch das am teuersten produzierende Kraftwerk bestimmt, das für die Stromerzeugung gebraucht wird. Am teuersten sind normalerweise Gaskraftwerke, Strom aus erneuerbaren Energien kann billiger hergestellt werden.
Mit dem Merit-Order-Prinzip sollen Anreize für Investitionen in günstige Energien gesetzt werden, wie Oliver Koch von der Generaldirektion Energie der EU-Kommission erläuterte. Als die Preise so stark stiegen, reagierte die Bundesregierung Ende 2022 mit der Strompreisbremse, die auch eine EU-Notfallverordnung umsetzte.
Die Strompreisbremse deckelte für Privathaushalte und kleine Firmen für 80 Prozent des Jahresverbrauchs den Kilowattstundenpreis auf 40 Cent. Für Industriekunden gab es eine Deckelung von 13 Cent zuzüglich Steuern, Abgaben und Umlagen für 70 Prozent des Verbrauchs. Für die Kosten oberhalb der Preisbremse sprang der Staat ein.
Zur Mitfinanzierung wurde ein Großteil der sogenannten Zufallsgewinne am Strommarkt zwischen Dezember 2022 und Ende Juni 2023 abgeschöpft. Die Bundesregierung argumentierte in Karlsruhe unter anderem damit, dass diese Gewinne nicht das Ergebnis unternehmerischer Leistung seien.
Es habe sich vielmehr um Marktverzerrung gehandelt, sagte Ministerialdirektor Philipp Steinberg aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Die zusätzlichen Erlöse seien nicht vorhersehbar gewesen, Ökostromerzeuger hätten keine höheren Kosten gehabt.
Diese Erzeuger selbst - Betreiber von Anlagen für Windkraft, Sonnenenergie oder Biomasse - halten den Abschöpfungsmechanismus dagegen für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. Es sei nicht ihre Aufgabe, die Stromkunden zu entlasten. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe müsse aus Steuermitteln finanziert werden.
Außerdem seien sie nicht Schuld an den gestiegenen Strompreisen gewesen, sondern hätten einen weiteren Anstieg sogar verhindert. Die Betreiber fossiler Kraftwerke hätten ebenso herangezogen werden müssen, argumentierten die Beschwerdeführer, das sei aber nicht passiert.
Es geht um einige Hundert Millionen Euro - 750 Millionen Euro wurden nach derzeitigem Stand abgeschöpft, wie ein Vertreter der Bundesnetzagentur vor Gericht sagte. Viele Stromerzeuger hätten aber bislang nicht gezahlt oder sich nicht gemeldet.
Dem Gericht stellt sich nun die Frage, ob es sich um eine Sonderabgabe handelte, für die strenge Regeln gelten, oder doch um eine zulässige Preis- und Erlösregulierung. Inzwischen sind die Preise wieder gefallen und die Strompreisbremse ist ausgelaufen.
Nicht nur Kraftwerksbetreiber dürften aber mit Spannung auf das Urteil aus Karlsruhe warten - sondern viele, die sich noch an die Diskussionen über kaltes Duschen und Waschlappen sowie die regelmäßigen Meldungen zum Füllstand der Gasspeicher erinnern. Am Dienstag fiel das Urteil noch nicht. Meist entscheiden die Verfassungsrichterinnen und -richter einige Monate nach der mündlichen Verhandlung.
smb/hcy