Burkini und Kopftuch sind kein Problem für unsere Werte

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Der Staat verteidigt sein Revier – so werden die aktuellen Verbote begründet. Doch genau dadurch gibt der Staat seine Werte an der Garderobe ab.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Menschlichkeit im Umgang miteinander zu zeigen – oder eben nicht. Derzeit spielen sich haarsträubende Bilder ab, alle im Namen von Laizismus und westlichen Werten: In Orten Südfrankreichs wird das Burkini-Verbot durchgesetzt, in Brandenburg wird eine Praktikantin wegen ihres Kopftuchs gefeuert. Es sind traurige Zeiten für unsere westlichen Werte.

Die Szene erinnert an die Religionspolizei in Teheran, die im Iran umherzieht und darauf achtet, dass Frauen nicht „zu viel“ Haut zeigen; in Südfrankreich wird einfach das Pferd von hinten gezäumt. Da betreten vier Polizisten einen Strand in Nizza, zwei von ihnen in kurzen Hosen. Wahrscheinlich ist das freie Knie echt französisch und Werteträger. Sie mustern eine Frau, sie liegt am Strand mit schwarzen Leggins, ein hellblaues Oberteil und ein Kopftuch. Die Schuhe hat sie ausgezogen, die Knie angezogen. Das geht gar nicht, befinden die bewaffneten Staatshüter. Auf dem nächsten Foto zieht die Frau ihr Oberteil aus.

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Jetzt wissen wir, worin die westlichen Werte sich spiegeln und wie sie zu verteidigen sind: in einem ausgezogenen Kleidungsstück. Peinlicher geht es kaum. So ist es in einem Land der Revolution, dessen Ministerpräsident Manuel Valls im Burkini „die Umsetzung eines politischen Projekts, einer Gegen-Gesellschaft, die auf der Unterdrückung der Frau gründet“ sieht. Die Strände müssten, wie der gesamte öffentliche Raum, vor „religiösen Ansprüchen“ geschützt werden. Alles weitere zieht ein Bußgeld in Höhe von 38 Euro nach sich.

Abgesehen davon, dass die Frau nicht einmal einen Burkini trug und die Polizisten offensichtlich illegal handelten, verstehe ich beim besten Willen nicht, was Valls ritt. Ich habe mir Mühe gegeben: Aber es gelingt mir nicht, in den Bildern dieser Frau am Strand die Umsetzung eines politischen Projekts zu sehen, eine Gegen-Gesellschaft. Und ich sehe nicht, wovor dieser Strand da geschützt werden müsste. Werte realisieren sich im Handeln, und die Zurschaustellung von Kleidung gehört nicht dazu. Werte manifestieren verhalten sich im Umgang – und da versagen Valls und seine vier Polizisten.

Die Vermessung der Welt mit einem braunen Lineal

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Im Grund vollzieht solch eine Denkrichtung das Ideengut des aktuellen Faschismus. Auch die Anhänger der NPD denken die Welt um sich stofflich und räumlich, sie meinen alles festmachen zu können. Räume müssen demnach erobert oder geschützt werden. Ich finde solche Gedanken arm, weil sie den Realitäten, also den Menschen nicht in die Augen schauen und sich stattdessen an ungleich weniger wichtigen Parametern wie das Minarett einer Moschee oder ein Stoff um den Kopf festhalten. Diese armen Gedanken bevorzugen das Symbol gegenüber dem Fakt.

So ist es, wenn eine Nation einen Schriftsteller wie Michel Houllebecq und seinen Narreteien auf den Leim geht, indem er seine sexuellen Phantasien auf eine Gesellschaft überträgt und auch von „Eroberungen“ oder „Raumnahme“ deliriert.

Was müssen eigentlich nun die Nonnen an der Cote d’Azur befürchten? Dürfen die jetzt nicht mehr an den Strand? Werden die forschen Männer von der Revolutionspolizei auch die anhalten? Vor nicht allzu langer Zeit waren es Männer in unseren westlichen Ländern gewesen, denen allzu viel gezeigte Haut von Frauen ein Gräuel war, da musste der Bikini in öffentlichen Raum erkämpft werden. Und heute sind es wieder Männer, die vorschreiben, was Frauen tragen sollen und was nicht. Ist es so schwer das selbst entscheiden zu lassen?

Es wäre zum Lachen, wenn es nicht zum Weinen wäre.

Neues von der Sozialdemokratie

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Ganz kühl dagegen agiert Brandenburgs Bürgermeisterin Elisabeth Herzog-von der Heide, SPD. Eine Palästinenserin, die bei der Stadt ein Praktikum absolvieren sollte, setzte sie kurzerhand vor die Tür. Eine Verwaltung habe nach außen hin deutlich erkennbar weltanschaulich neutral aufzutreten, begründete die Bürgermeisterin am Mittwoch ihre Entscheidung. „Das islamische Kopftuch ist Ausdrucksmittel einer religiösen Weltanschauung", sagte Herzog-von der Heide in der „Märkischen Allgemeinen“. Damit werde die gebotene Neutralität im Rathaus, wo es auch keine Kruzifixe gebe, verletzt.

Nun gibt es in Ostdeutschland noch starke Erfahrungen aus der eher religionsfeindlichen DDR, da wurde der Staat strikt von der Religion getrennt, und das hat mitunter seine Vorteile; zum Beispiel gibt es in dieser Denke keine Vermischung von religiösen Inhalten in Angelegenheiten des Staates wie Kita oder Schule. Aber welche Gefahr wäre in Brandenburg von einer Kopftuch tragenden Praktikantin ausgegangen? Das Bundesverfassungsgericht beanstandet übrigens das Tragen eines Kopftuchs nicht – eben weil es ein persönliches Glaubensbekenntnis ist, nicht zu vergleichen mit einem Kruzifix an der Wand.

Die Gemeinsamkeiten zwischen Nizza und Brandenburg liegen auf der Hand. Beide Städte sind schön. Und in beiden Kommunen gibt es irgendwann Wahlen. Sozialdemokrat Valls meint den Atem des Front National zu spüren, Sozialdemokratin Herzog-von der Heide den der AfD. Ein bisschen Islamfeindlichkeit kann da nicht schaden. Es geht vielleicht gar nicht um den Raum, um einen halluzinierten Konflikt um „Expansion“ oder „Verteidigung“. Sondern um die Suche nach Wählern. So ist der Mensch halt in Zeiten, die eigentlich Helden bräuchten.

Bilder: dpa

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