Diese Maßnahmen fordern die Krankenkassen, um die Beiträge nicht erhöhen zu müssen
Deutschland leistet sich eins der teuersten Gesundheitssysteme der Welt. Laut einer OECD-Studie aus dem Jahr 2023 geben nur die Schweiz und die USA mehr Geld pro Kopf für Gesundheit aus. Doch die traurige Wahrheit ist: Unser System ist trotz der enormen Kosten (rund 6000 Euro pro Einwohner im Jahr) nicht zwingend besser als das unserer Nachbarn. Sechs Länder, die an Deutschland grenzen, haben trotz niedriger Ausgaben eine höhere Lebenserwartung.
Und es wird eher schlechter als besser. Während Deutschland bei der Lebenserwartung immer weiter zurückfällt – mittlerweile rund 1,6 Jahre hinter dem westeuropäischen Durchschnitt – steigen die Gesundheitskosten wohl so rasant wie nie zuvor. Laut Berechnungen des Dachverbands der Betriebskrankenkassen (BKK) könnte der Zusatzbeitrag der gesetzlichen Krankenkassen in 2025 um bis zu 0,75 Prozent ansteigen. Es wäre einer der höchsten Beitragssprünge aller Zeiten, der Krankenkassenbeitrag läge dann bei knapp 17 Prozent.
Es droht nicht dabei zu bleiben, besonders wenn man Trends wie den demografischen Wandel beachtet. Weitere Beitragserhöhungen scheinen unvermeidbar. Doch sind sie das wirklich? Business Insider hat alle großen deutschen Krankenkassen gefragt, wie Beitragserhöhungen vermieden werden könnten.
Bund soll für Bürgergeld-Empfänger zahlen, sagt DAK-Chef Andreas Storm
"Wir haben in den letzten anderthalb Jahren eine weit überdurchschnittliche Ausgabensteigerung über nahezu alle Bereiche", sagt DAK-Chef Andreas Storm im Gespräch mit Business Insider. Dennoch gebe es einige große Baustellen, bei denen das System entlastet werden könnte. Eine solche Baustelle sei die Versicherung der Bürgergeld-Empfänger.
"Bürgergeld-Empfänger zahlen ja keine Beiträge an die gesetzliche Krankenversicherung, trotzdem wird ihre Versicherung überwiegend von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert", sagt Storm.
Der Bund zahle den Versicherungen nur ein gutes Drittel des Aufwands, den diese für Bürgergeld-Empfänger habe. "Würde der Bund das komplett finanzieren, hätte die gesetzliche Krankenversicherung 9,2 Milliarden Euro pro Jahr mehr." Die Krankenkassen erhielten laut einem Gutachten im Jahr 2022 nur 108,48 Euro im Monat pro Bürgergeld-Empfänger. Kostendeckend wären demnach 311,40 Euro gewesen.
Storms Forderung wird von der Mehrheit der befragten Krankenkassen unterstützt, so auch von der Barmer, die rund 8,6 Millionen Versicherte hat. Die Beiträge des Bundes für Bürgergeld-Empfänger seien "zu gering", erklärt ein Barmer-Sprecher auf Anfrage. Wenn der Bund diese Leistung vollständig aus dem Steuer-Topf ausgleichen würde, könnte das die Krankenkassen entlasten – und zwar um "etwa zehn Milliarden Euro jährlich".
Die IKK-Classic mit knapp drei Millionen Versicherten ordnet diese potenziellen Milliarden-Einsparungen ein. Wenn der Bund die Bürgergeld-Leistungen vollständig bezahlen würde, so eine Sprecherin, könne das die Krankenkassen um rund 0,6 Prozent entlasten. Das ist in etwa der Prozentsatz, um den der Zusatzbeitrag 2025 ansteigen soll.
Konkret würde das bedeuten, dass die Beiträge der Bürgergeld-Empfänger dann von der gesamten Bevölkerung über beispielsweise die Lohn- und Mehrwertsteuer finanziert werden. Das könnte zu einer höheren Belastung des Bundeshaushalts führen. Aktuell werden sie zu zwei Dritteln nur von den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen gezahlt – Privatversicherte ausgeschlossen.
Mehrwertsteuer auf Arzneimittel senken, sagt GKV-SV-Chefin Doris Pfeiffer
In den letzten Jahren sind besonders die Kosten für Arzneimittel stark gestiegen. Seit 2013 haben sich die Ausgaben fast verdoppelt, berichtete das "Ärzteblatt". Die Kassen zahlen auf die Ausgaben aktuell 19 Prozent Mehrwertsteuer.
"Im vergangenen Jahr haben Versicherte und Arbeitgebende über ihre Krankenkassenbeiträge rund 8,4 Milliarden Euro an Mehrwertsteuern für Arzneimittel in den Bundesetat eingezahlt", sagt Doris Pfeiffer, die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, welcher die Interessen der gesetzlichen Krankenkassen vertritt. "Schon der ermäßigte Steuersatz würde die gesetzliche Krankenversicherung um mehr als fünf Milliarden Euro entlasten."
Andreas Storm von der DAK teilt diese Forderung: "In 24 von 27 EU-Ländern zahlt man auf Arzneimittel entweder einen reduzierten Mehrwertsteuersatz oder gar keinen. In Deutschland wird dagegen der volle Mehrwertsteuersatz erhoben." Eine Sprecherin der KKH (1,6 Millionen Versicherte) wird noch deutlicher: Es sei "nicht nachvollziehbar, warum Lebensmittel mit 7 Prozent Mehrwertsteuer besteuert werden, lebensnotwendige Arzneimittel jedoch weiterhin mit 19 Prozent." Die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel sei "überfällig".
Der europäische Vergleich zeigt: Die Niederlande erheben nur neun Prozent Mehrwertsteuer, Polen nur acht Prozent und Frankreich bei verschreibungspflichtigen Medikamenten sogar nur 2,1 Prozent Dänemark und Norwegen erheben hingegen sogar 25 Prozent. Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) spricht auf seiner Webseite ebenfalls von hohem Einsparungspotenzial durch eine Absenkung der Mehrwertsteuer. Auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hatte Steuersenkungen gefordert. Offen ist, ob die Pharmaindustrie die gesparten Steuern auch an die Krankenkassen und Endkunden weitergeben würden.
Finanzierung der Krankenhausreform kostet 25 Milliarden, sagt TK
Ein weiterer Kostenpunkt, der die Kassen enorm belasten könnte, ist die anstehende Krankenhausreform. Dort sollen die gesetzlichen Versicherungen nämlich den 50-Milliarden-schweren Krankenhaus-Transformationsfonds zur Hälfte mitfinanzieren. In den Augen der Techniker Krankenkasse – Deutschlands größter Krankenkasse – ist diese Beteiligung jedoch fragwürdig.
"Mit Blick auf die kommenden Jahre sehen wir die geplante Finanzierung der Krankenhausreform sehr kritisch", sagt eine TK-Sprecherin auf Anfrage. Für die 50-Milliarden-Investitionen seien eigentlich die Länder zuständig. "Die derzeit geplante Finanzierung der Krankenhausreform wäre eine zusätzliche Hypothek ab dem Jahr 2026 – neben den allgemein stark steigenden Ausgaben in der GKV." Beitragszahler würden auch hier finanzielle Aufgaben übernehmen, für die eigentlich der Staat zuständig wäre.
Eine Barmer-Sprecherin warnt daher, dass die Finanzierung der Krankenhausreform durch Beitragszahler müsse "unter allen Umständen vermieden werden" müsse. Der Bundesrechnungshof hatte zuletzt ebenfalls bezweifelt, ob der geplante Transformationsfonds der Krankenhausreform rechtlich zulässig ist. Die Beteiligung der gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 25 Milliarden hielt er für "bedenklich". Konkret ist geplant, dass der Fonds mit jährlich 2,5 Milliarden Euro für zehn Jahre aus dem Gesundheitsfonds gespeist werden – der auch aus Beitragsgeldern finanziert wird.
Das sagt das Gesundheitsministerium zu den Forderungen
Business Insider hat sich mit den Ergebnissen der Befragung der Krankenkassen an das Gesundheitsministerium von Karl Lauterbach (SPD) gewandt. Auf die Frage, wie das Ministerium die Forderungen beurteilt und wie man zukünftig Beitragserhöhungen vermeiden will, antwortete ein Sprecher:
"Das Bundesministerium für Gesundheit arbeitet kontinuierlich daran, die Effizienz der Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung dauerhaft zu erhöhen und damit die solidarisch finanzierte Gesetzliche Krankenversicherung nachhaltig zu stabilisieren." Einzelforderungen – wie beispielsweise die Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel – wollte das Ministerium nicht kommentiert.
Jedoch habe man bereits Beitragserhöhungen durch das 2022 beschlossene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz abgewendet. Das Gesetz hatte damals dafür gesorgt, dass der Bund zwei Milliarden Euro mehr zur gesetzlichen Krankenversicherung zusteuert und Preisentwicklungen im Arzneimittelbereich gebremst wurden. Es ist jedoch fraglich, ob das Gesetz kommende Beitragserhöhungen abwenden kann.
Der Sprecher fügt hinzu, dass "effizienzsteigernde Strukturreformen", wie die Krankenhausreform, und ein mehr Prävention, wie durch das Gesundes-Herz-Gesetz, die Finanzlast senken würden.
So sei es möglich, "das hochwertige Niveau der medizinischen Versorgung in Deutschland" sicherzustellen und "stark steigende Beitragssätze zu verhindern".