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BKA: Drogenhandel Tummelplatz für organisierte Kriminalität

Die Polizei präsentiert einen Kokainfund. Das Bundeskriminalamt fürchtet einen wachsenden Einfluss mexikanischer Drogenkartelle in Europa.
Die Polizei präsentiert einen Kokainfund. Das Bundeskriminalamt fürchtet einen wachsenden Einfluss mexikanischer Drogenkartelle in Europa.

Gewalt, Menschenhandel, Morde - der Handel mit Drogen steht im Zusammenhang mit anderen schweren Delikten, warnt die Drogenbeauftragte Ludwig. Das BKA fürchtet einen wachsenden Einfluss mexikanischer Kartelle in Europa.

Berlin (dpa) - Die polizeibekannten Drogendelikte sind in Deutschland nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) 2020 das zehnte Jahr in Folge gestiegen. Das sagte der Präsident der Wiesbadener Behörde, Holger Münch, am Dienstag in Berlin.

Da es in der Regel nicht zu Anzeigen komme, würden die meisten Delikte bei Kontrollen entdeckt, was mit einer hohen Aufklärungsquote von 92,1 Prozent einhergehe, aber auch einem großen Dunkelfeld. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), betonte: «Rauschgiftkriminalität ist ein absolut verfestigtes Problem, weltweit, in Europa, aber natürlich auch in Deutschland.»

BELIEBTESTE ILLEGALE DROGEN: «Cannabis ist weiter die in Deutschland am meisten gehandelte und konsumierte Drogenart», sagte Münch. Die Polizei registrierte demnach 2020 insgesamt 31.961 Fälle von Handel mit Cannabis. Mit großem Abstand auf Platz zwei lagen Amphetamine mit 5581 Fällen - bei beiden Rauschgift-Gruppen mit geringen Veränderungen gegenüber dem Vorjahr. Danach folgte Kokain mit 4887 bekannten Handelsdelikten und einer Zunahme von 9,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Bei Ecstasy erfasste die Polizei 2445 Fälle, was einer Abnahme von 11,8 Prozent entspricht. Dahinter lag Heroin mit 2214 Fällen (minus 4,9 Prozent) und Crystal mit 1737 Fällen (plus 7,2 Prozent). Unter den legalen Drogen, die nicht Thema des Berichts waren, stelle Tabak das größte Gesundheitsrisiko dar, mit zahlreichen Toten und Milliardenschäden für die Volkswirtschaft, sagte Ludwig.

DISKUSSION UM LEGALISIERUNG: FDP, Grüne und Linke forderten eine Legalisierung von Cannabis. «Durch eine kontrollierte Abgabe von Cannabis würden die notwendigen Ressourcen frei, um den Herausforderungen des sich rasant entwickelnden Drogenmarktes und der organisierten Kriminalität zu begegnen», erklärte der drogenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Wieland Schinnenburg. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek sagte der «Augsburger Allgemeinen»: «Eine kontrollierte Legalisierung von Cannabis würde den undurchsichtigen Schwarzmarkt zerstören.» Der drogenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Niema Movassat, forderte unter unter anderem einen einfacheren Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten für Opiod-Abhängige sowie mehr Ersatzbehandlungen und flächendeckende Räume zum Drogenkonsum.

Sowohl Münch als auch Ludwig wandten sich hingegen gegen eine Legalisierung. Solch ein Schritt lasse allein die Statistik besser aussehen, sagte Münch. «Was aber nicht heißt, dass sie damit ein Problem gelöst haben; sie sehen es ja nur nicht mehr.» Erfahrungen etwa in Kanada zeigten einen erheblichen Anstieg des Cannabis-Konsums. Junge Menschen fühlten sich zum Konsum ermutigt, was zu gesundheitlichen Schäden führe. Auch das «Märchen von der Austrocknung» stimme nicht, weil die meisten Täter-Gruppen mit mehr als einem Rauschgift handelten und im Falle einer Legalisierung von Cannabis eher auf gefährlichere Produkte umschwenken würden.

ORGANISIERTE KRIMINALITÄT: Für kriminelle Profi-Netzwerke ist der Handel und Schmuggel von Rauschgift ein wichtiges Geschäftsfeld mit Milliardengewinnen. Mehr als ein Drittel der Verfahren im Bereich der organisierten Kriminalität entfallen laut Münch auf diesen Bereich. «Gewaltkriminalität ist ein prägendes Element, und auch der Einsatz von Waffen ist keine Seltenheit mehr.» In den Niederlanden habe es in den vergangenen Jahren etwa 20 bis 30 Tötungen pro Jahr in diesem Zusammenhang gegeben. Die Opfer seien dabei zum größten Teil, aber nicht ausschließlich, Kriminelle.

Ludwig betonte, es gehe im Drogengeschäft nicht einfach um die kleinen Dealer von nebenan sondern im Zweifel auch um Mord, Erpressung, Menschenhandel und Zwangsprostitution.

INTERNATIONALE VERSTRICKUNGEN: Das Bundeskriminalamt fürchtet einen wachsenden Einfluss mexikanischer Drogenkartelle. In den Niederlanden und Belgien seien mexikanische Täter verstärkt an der Herstellung illegaler synthetischer Drogen und insbesondere von Crystal beteiligt. «Mexikanische Drogenkartelle zeichnen sich durch ein enormes Gewaltpotenzial aus, das sich aber noch weitgehend auf den amerikanischen Kontinent beschränkt», heißt es im Lagebild. «Sollte der Einfluss dieser Kartelle in Europa weiter zunehmen, ist zu befürchten, dass dies auch gewalttätige bzw. bewaffnete Auseinandersetzungen rivalisierender Rauschgiftorganisationen nach sich ziehen wird.» Konflikte zwischen Gruppierungen vom Balkan hätten sich zunehmend auf weitere Teile Europas ausgeweitet. Deutschland sei ein wichtiger Absatzmarkt und Rückzugsraum.

Insgesamt 284.723 Verdächtige erfasste die Polizei 2020 im Zusammenhang mit Drogendelikten - diese Zahl umfasst allerdings sowohl Drogenhändler als auch Konsumenten. 87 Prozent davon waren Männer, knapp drei Viertel Deutsche.

EINFLUSS VON CORONA: Drogen werden laut Münch zunehmend online gehandelt. «Insgesamt glauben wir, dass Corona noch mal ein Katalysator ist, nicht nur für die Digitalisierung in der Gesellschaft, sondern auch in der Kriminalität», sagte der BKA-Chef. Er gehe von einer Zunahme des Angebots auf digitalen Märkten von 20 bis 30 Prozent aus. Auch den laut Statistik sinkenden Absatz der Partydroge Ecstasy führte Münch auf die Corona-Beschränkungen zurück.

ENCROCHAT: Als «Trüffelschatz» mit Verfallsdatum bezeichnet Münch die Daten verschlüsselter Mobiltelefone des Providers Encrochat, an die das BKA im April 2020 über Europol gelangte. Diese gäben den Behörden einen ungewöhnlichen Einblick in das Dunkelfeld. Jeder vierte Verdächtige, der die relevanten Mobiltelefone benutzt habe, sei bewaffnet gewesen, häufig mit Schuss- oder Kriegswaffen, so der BKA-Chef. Auf Grundlage der Daten seien bislang 2315 Ermittlungsverfahren in Deutschland eingeleitet worden, 805 Haftbefehle vollstreckt. In 520 Ermittlungsverfahren sei es zu «operativen Maßnahmen» der Polizei wie Festnahmen, Sicherstellungen etwa von Drogen und zu Durchsuchungen gekommen.