"Caren Miosga": Joachim Gauck kann wegen AfD "eine gewisse Beunruhigung nicht verbergen"

Joachim Gauck ist bei Caren Miosga zu Gast. (Bild: NDR/Thomas Ernst)
Joachim Gauck ist bei Caren Miosga zu Gast. (Bild: NDR/Thomas Ernst)

Erneuter Wahlerfolg für die AfD. Bei den Landtagswahlen in Brandenburg hat die kontroverse Partei nur knapp den Sieg verfehlt. Hinter der SPD liegt sie auf Platz zwei. Genau wie in Thüringen kann sie wichtige Gesetze verhindern. In der ARD-Talkshow "Caren Miosga" versucht Ex-Bundespräsident Joachim Gauck (84) die Beliebtheit der Partei zu erklären und hat eine Idee, wie die Menschen in Deutschland wieder für die liberale Demokratie begeistert werden könnten.

"Ich kann eine gewisse Beunruhigung nicht verbergen", sagt Gauck mit Blick auf den Erfolg der AfD in Ostdeutschland. Ein Grund dafür sei eine andere politische Kultur in den neuen Bundesländern. "Das hängt nicht mit dem Charakter der Ostdeutschen zusammen. Viele denken ja, der Ossi ist undankbar. Das ist Quatsch."

Joachim Gauck spricht bei Caren Miosga über die Unzufriedenheit der Bevölkerung. (Bild: NDR/Thomas Ernst)
Joachim Gauck spricht bei Caren Miosga über die Unzufriedenheit der Bevölkerung. (Bild: NDR/Thomas Ernst)

Dennoch seien Unterschiede da, die beim Wahlverhalten in Ostdeutschland erkannt werden können, aber auch in der Beziehung zu Freiheit oder in der Problemlösungskompetenz. Die Menschen in Ostdeutschland haben vor der Wende 1989 55 Jahre in Diktaturen gelebt, erinnert Gauck. Diese Erfahrung sei an die nächsten Generationen weitergegeben worden.

Dazu kämen Fehler vor allem der Ampelkoalition. "Jede Regierung macht mal Fehler. Und wir hören, dass sich die Zufriedenheit mit der Ampel in engen Grenzen hält", kritisiert Gauck. "Das Hauptproblem, was den Nationalpopulisten hilft, ist immer das Migrationsproblem", so der ehemalige Bundespräsident.

Das Misstrauen wachse, wenn an den Problemen nicht spürbar gearbeitet werde. "Und der Vertrauensverlust artikuliert sich dann, indem man den Politikern unterstellt, sie haben die Kontrolle verloren. Aber vielleicht sind sie noch am Arbeiten, aber sie arbeiten an unterschiedlichen Stellen und sind an markanten Positionen, wo die Bevölkerung mehr Sicherheit erwartet, vielleicht zu spät dran. Und dann verstärkt sich dieses Misstrauen gegenüber denen, die gerade regieren. Und zurzeit erleben wir gerade eine solche Phase gegenüber unserer Ampelregierung." Zu spät habe sich gezeigt, dass die Regierung eben nicht die Kontrolle verloren habe, sagt Gauck.

Die negative Haltung gegen ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger kann Gauck nachvollziehen. Sie habe zwei Gründe. Ungefähr ein Drittel der Menschen habe ganz allgemein das Bedürfnis, sich vor dem Wandel zu schützen. Das betreffe die Menschen in ganz Europa. Und das würden nationalpopulistische Parteien für ihre Zwecke nutzen. Doch dann gebe es noch ein ostdeutsches Problem: die Erfahrung mit der Diktatur.

"Die ostdeutsche Gesellschaft hat keinen schlechten Charakter, aber schlechtere Startbedingungen in die Existenz eines Bürgers. Das heißt: Autonomie, Eigenverantwortung, der Wert der eigenen Meinung, die Rolle des Ichs in einer Gesellschaft, all das war völlig anders", sagt Gauck. Die ostdeutsche Bevölkerung habe in andauernder politischer Ohnmacht und in einer andauernden Übermacht der Wenigen über die Vielen gelebt.

Julia Reuschenbach bei Caren Miosga. (Bild: NDR/Thomas Ernst)
Julia Reuschenbach bei Caren Miosga. (Bild: NDR/Thomas Ernst)

Bei vielen Menschen herrsche Unzufriedenheit mit ihren Lebensverhältnissen. Vor allem bei jungen Menschen sei das der Fall, die in sozialen Netzwerken rechtsextremen Influencerinnen und Influencern auf den Leim gehen würden. Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach (36) gibt bei Caren Miosga jedoch auch den Politikerinnen und Politikern der etablierten Parteien eine Mitschuld.

Die säßen noch immer dem Klischee auf, junge Menschen würden sich nur für "Junge-Leute-Themen" interessieren. Das sei jedoch falsch. Studien hätten gezeigt, dass sich junge Menschen durchaus mit ihrer Lage, ihren Jobs, ihren Zukunftsvisionen auseinandersetzen würden. Dort würden rechtsextreme Parteien sie abholen.

Gauck hat darum eine Idee. Er möchte etwas gegen die allgemeine Unzufriedenheit in der Bevölkerung tun - natürlich auch von Jugendlichen. Er fordert: "Wir brauchen im Vorfeld von Debatten Sympathieträger aus der Mitte der Bevölkerung, aus Lebenswelten von Menschen, die verunsichert sind, aus der Nähe der Menschen, die wir begeistern für unsere offene liberale Gesellschaft und ihre Möglichkeiten. Unsere Gesellschaft ist ein Raum der Möglichkeiten. Man muss sie aber auch wollen und man muss auch etwas dafür geben, nämlich sich selbst in Beziehung setzen zu dem, was man haben möchte. Das bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Und die, die das können, sind oft stärkere Sympathieträger als unsere Politiker. Und die müssen wir einbeziehen in dieses Werben: Das ist die Welt dieser Erfolge und dieses Glücks." Und weiter: "Es fehlt in der Gesellschaft der Klage das Bewusstsein, dass wir Dinge verändern können."