Rufe nach Aussetzen der Schuldenbremse mehren sich
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) ist eine Debatte über eine mögliche erneute Aussetzung der Schuldenbremse entbrannt. Die Vorsitzende der sogenannten Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, sprach sich dafür aus, ihre Gremiumskollegin Veronika Grimm widersprach. Besonders aus der Gewerkschaftsecke und von der SPD kamen ebenfalls Rufe nach einer Lockerung der Schuldenregeln. Zahlreiche Projekte, die mit dem KTF finanziert werden sollten, stehen nun auf der Kippe.
Das Bundesverfassungsgericht hatte am Mittwoch entschieden, dass 60 Milliarden Euro an ungenutzten Kreditermächtigungen für den Kampf gegen die Corona-Pandemie nicht rückwirkend in den Fonds verschoben werden dürfen. Die Mittel waren bislang für zahlreiche klimapolitische Projekte der Ampel vorgesehen. "Es wird deutlich schwieriger werden, die geplanten Investitionen für Klimaprojekte zu finanzieren", sagte Schnitzer dazu.
"Eine transparente Lösung könnte sein, eine erneute Ausnahme von der Schuldenbremse zu begründen mit den Auswirkungen der Energiekrise", sagte die Wirtschaftsweise der Düsseldorfer "Rheinischen Post". Ihre Kollegin Grimm hält dies hingegen für schwierig. "Das Aussetzen der Schuldenbremse per Notfallregel erfordert eine Notlage", sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Dies sei "nur schwer zu argumentieren".
Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sieht diese Notlage als gegeben an. "Die Auswirkungen der Energiekrise sind längst nicht ausgestanden", sagte er der "Rheinischen Post". Das jüngste Verfassungsurteil zeige, dass die Schuldenbremse unflexibler und investitionsfeindlicher sei, als viele in Deutschland gedacht hätten. "An einer grundlegenden Reform dieser Zukunftsbremse führt kein Weg vorbei."
Angesichts des Karlsruher Urteils könne die Schuldenbremse "so nicht weiter bestehen", sagte auch die Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner. Die Regelung sei "eine echte Zukunftsbremse". Deutschland brauche "dringend Investitionen, und zwar nicht nur in die Industrie, sondern auch in unsere Infrastruktur", sagte sie der "Bild am Sonntag". SPD-Chefin Saskia Esken forderte die Aussetzung der Schuldenbremse bereits in diesem Jahr.
Grundsätzlich seien mittelfristig eine Reform und eine Flexibilisierung der Schuldenregeln notwendig, sagte auch die oberste Wirtschaftsweise Schnitzer. "Es scheint allerdings wenig wahrscheinlich, dass man sich in dieser Legislaturperiode auf eine Reform der Schuldenbremse einigen können wird." Die Schuldenbremse ist im Grundgesetz verankert, Voraussetzung für Änderungen ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag.
Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), forderte vor allem rasche Entscheidungen. "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wirkt sich auf die gesamte deutsche Klimaschutz- und Energiepolitik aus", sagte sie der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Es brauche "schnellstmöglich Klarheit" darüber, wie geplante Klimaschutzprojekte finanziert werden können.
Einem Bericht des "Spiegels" zufolge sind unter anderem Milliarden für Klimaschutzprogramme des Bundesumweltministeriums gefährdet. Es gehe etwa um das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz, in dessen Rahmen Moore wieder vernässt und Städte begrünt werden sollen. Auch Energieeffizienzmaßnahmen für Verbraucher oder der klimaresiliente Umbau des Waldes sollten aus dem KTF finanziert werden. Hochrangige Regierungsvertreter befürchten außerdem, dass auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) und damit der Bundeshaushalt 2023 nach dem Urteil verfassungswidrig sein könnten, wie das "Handelsblatt" berichtete.
SPD-Chefin Esken will "weder beim Klimaschutz und seiner sozialgerechten Ausgestaltung noch beim Sozialstaat Einsparungen zulassen". Sie erneuerte stattdessen die Forderung der SPD, über höhere Steuern für Spitzenverdiener für Mehreinnahmen zu sorgen. Auch DGB-Vorstand Körzell sprach sich dafür aus, "hohe Vermögen stärker zur Finanzierung der Transformation" heranzuziehen. "Alles andere wäre angesichts der Herausforderungen einfach verantwortungslos".
pe/ran