"Das chinesische Phantom": Wer, zum Teufel, ist Karl Lee?

Wer, zum Teufel, ist Karl Lee? Es gibt ein verpixeltes Phantombild und eine endlose chinesische Passnummer, die über ihn Auskunft gibt. Doch persönlich ist der Hersteller wichtiger Raketenkomponenten nicht zu fassen. Ein Rechercheteam um den Journalisten Philipp Grüll setzte sich ihm auf die Fersen.

Seit zwei Jahrzehnten jagen Ermittler und diverse Geheimdienste den Waffenhändler Karl Lee, doch bis heute ist er ein Phantom, von dem nur ein altes Foto existiert. (Bild: ARD / BR)
Seit zwei Jahrzehnten jagen Ermittler und diverse Geheimdienste den Waffenhändler Karl Lee, doch bis heute ist er ein Phantom, von dem nur ein altes Foto existiert. (Bild: ARD / BR)

Geheimdienste und Journalisten nennen ihn Karl Lee, sein bürgerlicher Name ist wohl Li Fangwei. Doch der Mann, dessen verschwommenes Konterfei viele Jahre die Fahndungslisten von CIA, FBI, MI6, Mosad und anderer Geheimdienste zierte, hat noch viele weitere Namen. Gibt es den gefährlichen Waffenhändler, Spezialist für den Deal mit wichtigen Zutaten für zielgenaue Mittelstrecken-Raketen, überhaupt? Oder ist er etwa nur ein Phantom, eine unsichtbare Schachfigur zwischen den Fronten der Weltmächte, zwischen China, USA und Russland?

Fünf Jahre auf den Spuren des Waffenhändlers

Der Iran baute mithilfe des unsichtbaren Geschäftsmannes das größte Raketenarsenal des Nahen Ostens auf - erst mit den von ihm bereitgestellten Komponenten sind Raketenreichweiten über 1.500 Kilometer möglich - seit Kurzem mit präziser Zielgenauigkeit. Kein Wunder, dass nicht zuletzt Israel an der Festsetzung des Mannes größtes Interesse hatte. Die USA setzten ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar auf den Waffenhändler aus, Obama trat für die Auffindung ein.

Das ARD-Rechercheteam Philipp Grüll, Frederik Obermaier und Bastian Obermayer setzte sich fünf Jahre lang auf die Spuren des Phantoms, befragte ehemalige Staatsbeamte und Agenten und suchte Lees angebliche Firmenstandorte auf. Zu finden waren in China allenfalls verlassene Wohnungen, Strohmänner und Scheinadressen. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz wurde gar der chinesische Außenminister gestellt. Doch der hielt sich auch bei mehreren Nachfragen lächelnd bedeckt.

Karl Lees Fabrik im Nordosten Chinas, wo Rohstoffe für den Raketenbau produziert werden, ist an der Herstellung von Raketen für den Iran beteiligt. (Bild: ARD / BR)
Karl Lees Fabrik im Nordosten Chinas, wo Rohstoffe für den Raketenbau produziert werden, ist an der Herstellung von Raketen für den Iran beteiligt. (Bild: ARD / BR)

Lieferantennetzwerke gibt es auch ohne Lee

Kurzzeitig tauchten während der Recherchen Comics im Internet auf, die sich über Lee lustig machten. Sollten sie den Waffenhändler provozieren, um ihn aus dem Hinterhalt zu locken? Ein chinesischer Wikipedia-Eintrag verriet indessen, dass Lee festgenommen und wegen Ein- und Ausfuhr verbotener Stoffe im Gefängnis gelandet sei. Der dort angegebene Zeitpunkt für die Inhaftierung deckt sich mit dem amerikanisch-chinesischen Konflikt um Einfuhrzölle 2020. Offensichtlich war Lee ein chinesisches Pfand bei der Verhandlung mit den Amerikanern. Aber vieles bleibt im Unklaren.

Mit Karl Lees Hilfe baute der Iran in den vergangenen Jahren das größte Raketenarsenal des Nahen Ostens auf. (Bild: ARD / BR)
Mit Karl Lees Hilfe baute der Iran in den vergangenen Jahren das größte Raketenarsenal des Nahen Ostens auf. (Bild: ARD / BR)

Auch, wenn Lee womöglich hinter Gittern sitzt: Es gibt immer neue Adressen und Netzwerke von Waffenlieferanten. Sie stehen unter offiziellem Schutz, das macht sie so gefährlich. Soviel immerhin fanden die ARD-Autoren bei ihren umfassenden Recherchen dies- und jenseits des Atlantiks heraus.

Wer es verpasst hat: "ARD Story: Das chinesische Phantom" ist in der Mediathek zu sehen.

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