Christoph Spinner im Gespräch - Corona-Experte: Aussage „Impfstoff führt uns aus der Pandemie“ war „ungünstig“

Christoph Spinner auf dem Digital Health Summit 2024<span class="copyright">Bert Willer, Birdyfoto</span>
Christoph Spinner auf dem Digital Health Summit 2024Bert Willer, Birdyfoto

Immer noch stecken sich Menschen mit Corona an. Doch es hat seinen Schrecken verloren. Infektiologe Christoph Spinner findet, dass wir jetzt auch mal gut sein lassen können. Im Interview spricht er über Fehler in der Pandemie und die Übereuphorisierung der ersten Impfstudien.

Die Menschen in Deutschland husten, schniefen und niesen. Typisch für Herbst und Winter. Dennoch liegt die Zahl der akuten Atemwegserkrankungen „weiterhin auf einem für diese Jahreszeit vergleichsweise hohen Niveau “, schreibt das Robert-Koch- Institut (RKI) im aktuellen Wochenbericht . Das heißt, etwa 6,4 Millionen sind krank. Die meisten von ihnen leiden unter klassischen Schnupfenviren und Sars-CoV-2.

Ein Grund, um mit einem der führenden Corona-Experten über die aktuelle Lage sowie Impfstrategien zu sprechen: Christoph Spinner, Leiter des Geschäftsbereichs Klinikbetrieb und Medizinstrategie in der Ärztlichen Direktion des TUM-Klinikums, im Interview mit FOCUS online.

FOCUS online: Wie ist die Corona-Lage bei Ihnen im TUM-Klinikum? 

Christoph Spinner:  Für Covid gibt es keine spezifische Lage in unserem Universitätsklinikum. Wir haben über den Herbst 2024 sehr viele Atemwegsinfektionen gesehen. Zum Teil waren gut fünf Millionen Deutsche gleichzeitig krank. Covid war zuletzt für jede fünfte Atemwegsinfektion verantwortlich, also kommt wirklich häufig vor. Andere Erkrankungen wie die Virusgrippe kommen typischerweise erst im Dezember, Januar, aber auch andere virale Erreger wie RSV und Influenza Humane Metapneumoviren spielen eine Rolle.

„Wir müssen keine Angst vor Corona haben“

Das Coronavirus ist also eines von vielen.

Spinner:  Ja, und wir müssen keine Angst haben. Atemwegserkrankungsviren gehören zur Menschheit dazu. Die Immunität, die wir entwickeln, ist nur kurz und wir verlieren sie im Laufe der Zeit wieder. Man kann sich nicht auf Dauer schützen.

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Darum ist es so wichtig, dass sich ältere und chronisch kranke Menschen, also über 60-Jährige und auch Angehörige oder chronisch Kranke, jährlich impfen lassen – gegen Covid und Influenza.

Was sagen Sie denjenigen, die noch zögern?

Spinner:  Erstens schützt die Coronaimpfung zu mehr als 80 Prozent vor einem schweren Verlauf. Das heißt, die Menschen, die das höchste Risiko für schwere Verläufe haben, können damit geschützt werden. Zweitens, auch bei gesunden Menschen wird die Infektionswahrscheinlichkeit um etwa die Hälfte reduziert, deswegen lasse ich mich als Angehöriger des Gesundheitswesens jedes Jahr impfen. Damit schütze ich meine Patientinnen und Patienten zumindest zu 50 Prozent. Und letztlich ist die Impfung gut verträglich.

Meine Zusammenfassung: Atemwegsinfektionen sind häufig. Wer seiner Umwelt einen Gefallen tun will, bleibt zu Hause, wenn er krank ist, egal ob die Ursache Covid, RSV oder Influenza ist. Wer sich impfen lassen soll, weil er zu einer Risikogruppe gehört, der sollte das machen. Damit lassen sich wirklich wirksam schwere Verläufe verhindern.

Thema Impfen während der Corona-Pandemie: „Im Rückblick war die Kommunikation nicht ideal“

Wenn wir schon beim Thema impfen sind. Ich hatte kürzlich mit Herrn Streeck gesprochen, der FOCUS online sagte , beim Thema Impfen seien in Deutschland zwei Sachen schiefgelaufen. Wie schauen Sie jetzt darauf?

Spinner:  Im Rückblick war die Kommunikation sicher nicht ideal: zu sagen, der Impfstoff ist die Lösung, die uns aus der Pandemie führt. Denn de facto ist es ja die Immunität. Und auch wenn ich selbst häufig angefeindet wurde, als ich darüber sprach, dass man eben nicht alle Infektionen verhindern kann, heißt das ja nicht, dass man eine aktive Durchseuchung herbeiführt. Aber es muss klar sein, dass es gegen Atemwegsinfektionen keinen hundertprozentigen Schutz gibt.

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Heute ist die Lage anders, da eine sehr gute Grundimmunität in der Bevölkerung etabliert wurde. Das heißt, die Menschen sind nicht mehr so gefährdet. Die Situation ist anders als zu Beginn der Pandemie, als die Sterblichkeit altersunabhängig bei bis zu fünf Prozent lag. Das ist jeder 20., während vor allem Ältere und chronisch Kranke gefährdet waren. Ich habe mich selbst immer darauf fokussiert, nur eine medizinische Empfehlung zu geben. Die gesellschaftliche Bewertung und Einordnung sind am Ende Aufgabe der Regierungen und Parlamente.

Was würden Sie heute anders machen?

Spinner: Ich glaube, man hätte in der Kommunikation noch stärker Wert darauflegen müssen, dass die Immunisierung eben  eine  Möglichkeit ist. Die wirksamste, um die Infektionswahrscheinlichkeit mit schweren Verläufen zu reduzieren. Das ist auch gelungen. Dass man aber gleichzeitig diese starke Verknüpfung, ich würde fast sagen Übereuphorisierung aus den ersten Impfstudien hatte, dass man damit sogar die Infektion verhindern könne, hat sich im Nachhinein definitiv als nichtzutreffend herausgestellt.

Das Virus hat sich eben doch angepasst. Das wusste man damals nicht, das ist rückwirkend betrachtet trotzdem ungünstig.

„Impfstoffe sind nach wie vor sicher und verträglich“

Und die Sache mit der „nebenwirkungsfreien“ Impfung?

Spinner:  Die Impfstoffe sind nach wie vor sicher und verträglich. Aber kein Arzneimittel ist völlig ohne Risiko. Dass die Vektorimpfstoffe wie von Astrazeneca oder Johnson&Johnson ein höheres Risiko für seltene Gefäßverschlüsse im Gehirn hatten, wusste man so zum damaligen Zeitpunkt nicht. Es sind trotzdem sehr seltene Ereignisse, die insbesondere zur Anfangszeit der Pandemie angesichts der hohen Sterblichkeit akzeptabel waren, während sie es heute nicht mehr sind. Heute ist die Covid-19-Mortalität sehr deutlich zurückgegangen. Deswegen ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Vektorimpfstoffe im Gegensatz zu den mRNA-Impfstoffen auch nicht mehr akzeptabel, weil präventive Impfstoffe sehr sicher und verträglich sein müssen.

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Was bräuchten wir denn noch an Aufarbeitung der Krise?

Spinner:  Klar, erstens muss man aus der Vergangenheit lernen. Irgendwann ist es aus meiner Sicht aber wichtiger nach vorne zu blicken statt zurück.

Dass in der Pandemie rückblickend Fehler gemacht wurden, ist vollkommen unstrittig . Bleibt für uns alle, medizinisch wie gesellschaftlich sicherzustellen, dass wir es in Zukunft besser machen.