CO2 unter die Erde pressen - An drei Orten bricht Habeck jetzt mit einem grünen Klima-Tabu

"Besser im Boden als in der Luft": Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Januar bei einem Besuch des norwegischen Zementherstellers Norcem in Brevik<span class="copyright">OLE BERG-RUSTEN/NTB/AFP</span>
"Besser im Boden als in der Luft": Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Januar bei einem Besuch des norwegischen Zementherstellers Norcem in BrevikOLE BERG-RUSTEN/NTB/AFP

Lässt sich lästiges CO2 einfach unter der Erde verstauen? Jahrelang waren vor allem die Grünen gegen die Anwendung des sogenannten „Carbon Capture“ in Deutschland. Ein neue Strategie aus dem Haus von Grünen-Minister Habeck ändert das jetzt - und skizziert sogar schon drei Projekte.

Insgesamt 49 Seiten lang ist das Dokument, mit dem Deutschland ein altes energiepolitisches Tabu brechen will. In der letzten Woche hat das Bundeswirtschaftsministerium von Minister Robert Habeck (Grüne) die sogenannte Carbon-Management-Strategie an die anderen Ministerien der Ampel-Regierung zur sogenannten Ressortabstimmung geschickt. Die Zeit drängt: Noch zu Beginn des Jahres war man davon ausgegangen, dass die Strategie schon im Frühjahr in ein Gesetz gegossen werden könnte, heißt es aus Kreisen des Ministeriums.

Dazu ist es ziemlich offensichtlich nicht gekommen. Doch das Thema ist komplex - denn das Papier aus dem Wirtschaftsministerium soll eine Praxis, die in Deutschland bis dato verboten ist, zur neuen Waffe im Kampf gegen den Klimawandel erheben. Gemeint ist das sogenannte „Carbon Capture and Storage“ (CCS) bzw. „Direct Air Capture“ (DAC). Dabei wird das CO2, das zum Beispiel eine Fabrik ausstößt, mit technischen Hilfsmitteln eingesaugt und unterirdisch gelagert, etwa unter dem Meeresboden der Nordsee. Das Versprechen: Die Fabrik kann weitermachen wie bisher und das klimaschädliche CO2 gelangt dennoch nicht in die Atmosphäre.

Die Angst vor dem Erdbeben

Bereits im Frühjahr legte das Wirtschaftsministerium grobe Eckpunkte seiner Strategie vor, wie mit Carbon Capture umzugehen sei. In der Abschlussfassung der Strategie, die FOCUS online Earth vorliegt, wird es jedoch erstmals konkret. Die Bundesregierung strebe an, dass „in Deutschland bereits vor 2030 jeweils mindestens ein großskaliges CO2-Abscheideprojekt in der Zement- und Kalkindustrie sowie an einer Müllverbrennungsanlage in Betrieb genommen wird“, heißt es darin. Maximal fünf Jahre für drei gewaltige Projekte, die nach derzeitigem Stand noch nicht einmal legal sind - das ist ein ambitionierter Zeitplan.

Dass es diesen Zeitplan überhaupt gibt, galt jedoch lange als unmöglich. Jahrelang liefen Umweltorganisationen und Bürgerverbände Sturm gegen jeden Versuch, die Technik auch nur zu erproben. Zu groß waren die Ängste vor Erdbeben, Leckagen oder einer Verschmutzung des Grundwassers. Die Grünen, traditionell den Umweltverbänden nahestehend, trugen diese Haltung in die Parlamente. Auch Habeck war in seiner Zeit als Umweltminister von Schleswig-Holstein nur wenig erpicht darauf, die Nordsee vor der eigenen Haustür für Experimente mit der CO2-Speicherung freizugeben.

„Besser im Boden“

Doch in den letzten Jahren war bei den Grünen ein Umdenken zu beobachten. „Wir bekennen uns zur Notwendigkeit auch von technischen Negativemissionen“, hieß es noch vorsichtig im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, das Reizwort „Carbon Capture“ wurde bewusst ausgespart. Seitdem hat sich die Rhetorik der Grünen-Größen sichtbar an den Gedanken gewöhnt, CO2 aus der Erde zu saugen.

„Kohlendioxid im Boden ist allemal besser als in der Atmosphäre“, sagte Habeck etwa im Januar bei einem Besuch in Norwegen, einer der weltweiten Vorreiter bei der CCS-Technologie. Und auch Partei und Fraktion würden einem Tabubruch unter gewissen Bedingungen nicht mehr im Weg stehen. Ein Parteitagsbeschluss vom vergangenen November lässt CCS in Industriefeldern zu, „wo technisch nicht vermeidbare Emissionen entstehen.“

„CCS darf allenfalls als Technologie für jene fünf Prozent unserer Restemissionen infrage kommen, die sich durch auch noch so ehrgeizige Reduktionsstrategien nicht vermeiden lassen“, schrieb Lisa Badum, Grünen-Obfrau im Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie, im September letzten Jahres in einem Meinungsbeitrag für das Fachmedium „Tagesspiegel Background“. Ein kategorisches Nein klingt anders.

Hoffen auf den „Overshoot“

Ein Grund für das Umdenken bei den Grünen: Die Realität - und somit auch der Stand der Klimaforschung - sieht anders aus als noch vor zehn Jahren. In der Wissenschaft herrscht mittlerweile Einigkeit darüber, dass die Menschheit im Kampf gegen den Klimawandel echte Fortschritte erreicht hat, die größten Horror-Szenarien sind vom Tisch. Das im Pariser Klimaabkommen festgelegte Ziel von einer maximalen Erwärmung der Erde um 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit ist jedoch kaum noch zu erreichen.

Mit Carbon Capture ließe sich aber theoretisch so viel CO2 aus der Atmosphäre saugen, dass sich die Erde nachträglich wieder auf eine maximale Erwärmung von 1,5 Grad abkühlt. Forscherinnen und Forscher sprechen von „Overshoot“: Wir verfehlen das 1,5-Grad-Ziel zunächst und erreichen das Ziel nachträglich durch den Einsatz technischer Hilfsmittel. Wichtig sei die Technologie vor allem in Industrien, die sich nur schwer auf klimafreundliche Technologien umstellen lassen - etwa die Zement- und Kalkindustrie oder Teile der chemischen Industrie. Alles Industriezweige, die in Deutschland stark vertreten sind.

Die Ampel von der Ampel

Und genau auf solche speziellen Fälle soll sich auch die Anwendung der Technologie beschränken, das stellt das 49-seitige Papier mehrmals klar. Ein eigenes Ampel-System skizziert darin, welche Anwendungsfelder den Segen der Regierung erhalten sollen - und welche nicht. Zement, Kalk und Abfall erhalten die Farbe Grün, diese Bereiche dürften auch mit öffentlichen Geldern gefördert werden. Die Stahl- und Glasindustrie bekommen immerhin noch die Farbe Gelb, Kohlekraftwerke hingegen erhalten die Farbe Rot - hier wäre eine Anwendung von CCS ausgeschlossen.

Bei den Grünen, aber auch bei vielen Expertinnen und Experten ist die Angst groß vor dem sogenannten „Lock-In-Effekt“: Dass CCS etwa dazu benutzt wird, um noch auf Jahrzehnte hinaus klimaschädliche Kohlekraftwerke zu betreiben - obwohl ein Umstieg auf Erneuerbare Energien die einfachere und günstigere Lösung wäre. Die Technologie solle „hauptsächlich dort eingesetzt werden, wo es zur Vermeidung der CO2-Emissionen aktuell und auch bis langfristig keine Dekarbonisierungsalternativen gibt“, heißt es daher in der Strategie.

„Oberste Priorität hat die Vermeidung von CO2-Emissionen“, schrieb auch Badum im September letzten Jahres. „CCS darf allenfalls als Technologie für jene fünf Prozent unserer Restemissionen infrage kommen, die sich durch auch noch so ehrgeizige Reduktionsstrategien nicht vermeiden lassen.“ Denn die „Carbon Capture“-Technologie hat in den letzten Jahren zwar große Fortschritte gemacht - vollständig klimaneutral ist sie jedoch nicht. Ein paar Prozent Kohlendioxid entweichen auch bei der besten CCS-Anlage noch in die Atmosphäre. „Eine im Untergrund gespeicherte Tonne CO2 ist also nicht das Gleiche wie eine von vornherein eingesparte Tonne CO2!“, schrieb Badum.

„Wir waren zu ehrgeizig“

Ohnehin bleiben noch Fragen offen. Auffällig an dem 49-seitigen Papier ist etwa, dass keine Abschätzung zu den Kosten der drei großen Projekte getroffen wird. Tatsächlich ist die Technologie derzeit noch so teuer, dass es schwer ist, aus ihr ein Geschäftsmodell zu generieren. Experten gehen von Kosten von 150 bis 250 Euro aus, um eine Tonne CO2 unter die Erde zu bringen - viel zu teuer ohne staatliche Förderung. Darüber hinaus muss erst einmal eine Infrastruktur aufgebaut werden, um das CO2 zu verbuddeln, also Speicher und vor allem Leitungen. Wer plant diesen Ausbau? Und wer finanziert ihn?

Eine große Hoffnung war bislang, das CO2 einfach an die Niederlande zu schicken, die alte Gasfelder vor der Küste als Megaspeicher nutzen wollen. Doch erst vor wenigen Wochen gaben die Macher des sogenannten Porthos-Projektes bekannt, dass Teile des Vorhabens erst einige Jahre später umgesetzt werden als geplant - darunter die Anschlussleitung nach Deutschland. Man müsse sich ehrlich machen, sagte Klimaministerin Sophie Hermans (VVD) im niederländischen Fernsehen: „Bei diesem Projekt waren wir alle zu ehrgeizig in der Planung."

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