Corona-Krise: Konflikt zwischen Kinos und Streaming-Diensten eskaliert

Weltweit leiden die Kinos unter der Corona-Krise. Weil immer mehr Filme direkt bei Amazon und Co. veröffentlicht werden, geht die größte Kinokette der Welt nun in die Offensive - mit einer ungewöhnlichen Ankündigung.

Es ist eine beispiellose Kampfansage: "AMC wird keine Filme von Universal mehr in seinen Kinos in den USA, in Europa und im Nahen Osten zeigen", erklärte Adam Aron, Chef der größten Kinokette der Welt, am Dienstag in einem wütenden Brief, aus dem der "Hollywood Reporter" zitiert. AMC betreibt weltweit mehr als 900 Kinos mit insgesamt über 10.000 Leinwänden, hierzulande die UCI-Kinos. Was der Kino-Gigant entscheidet, hat Gewicht.

Nur wenige Stunden vor der Ankündigung von AMC hatte Universal seinerseits eine Pressemitteilung veröffentlicht, eine mit weitaus positiverem Grundton allerdings. Man freue sich, dass der Animationsfilm "Trolls World Tour" seit seiner Veröffentlichung drei Wochen zuvor alleine in den USA 100 Millionen US-Dollar einspielen konnte - auf den Streamingplattformen freilich, nicht in den Kinos. Denn die sind auch in den USA wegen der Corona-Krise geschlossen. In Deutschland wurde der Film, der eine Fortsetzung von "Trolls" aus dem Jahr 2016 ist, vor wenigen Tagen ebenfalls bei den Video-on-Demand-Anbietern (VoD) veröffentlicht.

"Trolls", der erste Teil, hatte seinerzeit in den US-Kinos in den ersten drei Wochen nur ein paar Millionen Dollar mehr eingespielt, als die Fortsetzung nun bei Amazon und Co. umsetzen konnte. Das Ergebnis "übertrifft unsere Erwartungen", sagte Jeff Shell, der Chef von Universal, in einem Interview mit dem "Wall Street Journal". Die Zahlen zeigten, welche Macht VoD-Anbieter hätten. Dann legte er nach: "Sobald die Kinos wieder öffnen, wollen wir Filme in beiden Formaten veröffentlichen" - also gleichzeitig im Kino und digital.

Für die Kinobetreiber wäre das ein nie dagewesener Tabubruch. Schließlich dürfen Filme derzeit erst nach einer von Land zu Land unterschiedlichen Zeitspanne auf DVD oder einer Streamingplattform veröffentlicht werden, wenn sie zuvor im Kino liefen. Man wolle jedes Studio, das sich nicht an diese Zeitfenster halte, fortan boykottieren, so AMC-Chef Aron. Auch wenn Universal wenig später bekräftigte, man glaube weiterhin "an das Kino-Erlebnis": Der Fehdehandschuh war in den Ring geworfen.

"Die großen Kinos werden die Krise überleben, die kleineren nicht"

Am Dienstagabend erklärte dann auch noch die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die alljährlich die Oscars verleiht, in diesem Jahr ausnahmsweise Filme zu berücksichtigen, die nicht in den Kinos liefen. Bislang musste ein Beitrag, der sich um den wichtigsten Filmpreis der Welt bewirbt, in einem Kino in Los Angles mindestens eine Woche lang drei- oder mehrmals am Tag gezeigt werden.

Wenn am 28. Februar kommenden Jahres die Academy Awards zum 93. Mal verliehen werden, könnten gemäß der Corona-Regelungen erstmals auch Filme unter den Gewinnern sein, die nie über eine Kinoleinwand geflimmert sind, sondern lediglich bei VoD-Diensten verfügbar waren. Auch "Trolls World Tour" hätte so die Chance, als bester Animationsfilm ausgezeichnet zu werden. Dass die Academy-Mitglieder, von denen viele zur älteren Generation gehören, diesen Schritt gehen, erscheint aber unwahrscheinlich.

Der Streit kommt zu einer Zeit, die die Kinos weltweit sowieso schon vor große Herausforderungen stellt. "Ich glaube, die großen Kinos werden die Krise überleben, die kleineren wahrscheinlich nicht", sagte Hollywood-Produzent Patrick Wachsberger ("Twilight", "Die Tribute von Panem") unlängst im Gespräch mit der Nachrichtenagentur teleschau. "Wenn die Kinos dann wieder aufmachen, aber die Auflage haben, dass neben jedem Zuschauer immer drei Plätze frei sein müssen, dann werden viele das wirtschaftlich auch nicht lange durchhalten."

Allerdings kämpften auch manche Filmstudios derzeit ums Überleben, zumal ihnen mit den Streaming-Riesen in den letzten Jahren eine "enorme Konkurrenz" erwachsen sei. "Amazon und Netflix sind schon voll mit dabei. HBO Max und Hulu sind gerade im Anmarsch, und Apple TV+ hat auch noch die Hand im Spiel. Einen Kinofilm oder gar einen Blockbuster zu produzieren, kostet immens viel Geld, einen Film für eine Streamingplattform zu produzieren, nicht." Dass auch die Studios angesichts geschlossener Kinos schauen, wo sie bleiben, überrascht da nicht.

Keine "neue Normalität"

Die National Association of Theatre Owners (NATO), die Vereinigung der US-amerikanischen Kinobesitzer, warnte unterdessen die Filmstudios davor, die Corona-Krise auszunutzen. Die "ungewöhnlichen Umstände" dürften kein "Sprungbrett werden, um richtige Kino-Veröffentlichungen zu umgehen", teilte NATO-Chef John Fithian mit. Dass ein Film digital statt im Kino veröffentlicht werde, dürfe keine "neue Normalität" in Hollywood werden. Kinos böten ein Filmerlebnis, für das VoD kein Ersatz sei.

Dass die Streaminganbieter kein Ersatz seien für eine Kino-Auswertung, das galt unter deutschen Studios und Verleihern bislang als gesetzt. "Ich denke nicht, dass das Streaming wirtschaftlich das abfangen kann, was eine Auswertung im Kino bringen würde", erklärte kürzlich Tobias Lehmann, Geschäftsführer des Filmverleihs Alamode, im Interview mit der teleschau. Unterdessen werden auch in Deutschland immer mehr Kinostarts abgesagt. Das betrifft kleine Arthouse-Filme wie das dänische Drama "Königin", das ab 5. Mai digital zu kaufen ist, aber auch große Blockbuster.

So kündigte Constantin Film unlängst an, die Filmfortsetzung der ARD-Erfolgsserie "Berlin, Berlin" nicht wie ursprünglich geplant auf die Leinwand zu bringen. Stattdessen stehe der Film ab 8. Mai im Programm von Netflix. "Es freut mich sehr, dass Netflix es den zahlreichen Fans der Kultserie 'Berlin, Berlin' ermöglicht, auch den Kinofilm schon so bald sehen zu können", teilte Constantin-Chef Martin Moszkowicz lapidar mit. Die deutschen Kinobetreiber dürften das vermutlich anders sehen.