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Schärfere Corona-Regeln: Darauf haben sich Bund und Länder geeinigt

Aus Sorge vor einer unkontrollierbaren Ausbreitung der Corona-Pandemie mit unabsehbaren Folgen für Bürger und Wirtschaft verschärfen Bund und Länder die Gegenmaßnahmen in Hotspots. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten verständigten sich am Mittwoch auf einheitliche Regeln für Städte und Regionen mit hohen Infektionszahlen. Dazu gehören eine Ausweitung der Maskenpflicht, eine Begrenzung der Gästezahl bei privaten Feiern, Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum und eine Sperrstunde für die Gastronomie.

Merkel hat auch auf die Gefahren für die Wirtschaft verwiesen. “Es geht nicht nur um die Frage des Gesundheitssystems”, sagte sie nach den mehrstündigen Beratungen. Auch die wirtschaftliche Entwicklung hänge davon ab, dass man durch die Pandemie nicht zu schwer beeinträchtigt werde. “Was der Gesundheit dient, dient also auch dem wirtschaftlichen Ablauf.”

Die Kanzlerin verwies darauf, dass bereits in diesem Jahr 250 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen werden mussten. “Und deshalb können wir uns auch ökonomisch eine zweite Welle, wie wir sie im Frühjahr hatten, mit solchen Folgen nicht leisten.” Es müsse alles getan werden, um die Infektionszahlen im Griff zu behalten und die Kontakte nachzuvollziehen. “Und dazu müssen wir mit den Zahlen an einigen Stellen runterkommen”, sagte Merkel. Merkel forderte die Bürger auf, auf nicht erforderliche innerdeutsche Reisen in Gebiete und aus Gebieten mit hohen Corona-Infektionszahlen zu verzichten. Darin seien sich alle einig. Wenn dies umgesetzt werden solle, stelle sich dies aber schwieriger heraus als der Satz klinge.

Merkel sieht “Jahrhundertherausforderung”

Die Länder hatten sich nicht auf einen einheitlichen Kurs beim umstrittenen Beherbergungsverbot einigen können. Merkel sagte, sie finde es vernünftig, dass nun bis nach den Herbstferien abgewartet werden und Erfahrungen gemacht werden sollten. Sie sagte aber zugleich, es sei noch viel Arbeit zu leisten. Reiseverkehr bringe viele Kontakte mit sich. Man habe die Mittel in der Hand, sich dem Virus entgegenzustemmen und mit ihm umzugehen. Merkel sprach von einer “Jahrhundertherausforderung”. An junge Menschen appellierte sie, sich einzuschränken. “Gerade die Jugend ist es, an die wir jetzt auch appellieren müssen, lieber heute auf 'n paar Feten und Feiern und Partys zu verzichten, um morgen und übermorgen gut leben zu können.”

Angela Merkel, Michael Müller und Markus Söder bei der Pressekonferenz zu den Corona-Maßnahmen (Bild: Stefanie Loos/Pool via Reuters)
Angela Merkel, Michael Müller und Markus Söder bei der Pressekonferenz zu den Corona-Maßnahmen (Bild: Stefanie Loos/Pool via Reuters)

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hält die kommenden Wochen für besonders wichtig für den weiteren Verlauf der Corona-Pandemie. “Wir sind jetzt in einer entscheidenden Phase”, sagte er. “Wenn wir weitergehende, tiefgreifende Maßnahmen vermeiden wollen (...), kommt es jetzt wahrscheinlich genau auf die nächsten Wochen an.” Mit Blick auf die Beschlüsse sprach Müller von wichtigen Schritten nach vorne. Während viele Menschen in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens die Regeln akzeptierten und sich an sie hielten, gebe es andere Bereiche “eher im privaten Raum”, wo einige die Regeln nicht achteten und damit viele andere gefährdeten. “Das haben wir uns vorgenommen.” Müller wies darauf hin, dass viele der Maßnahmen in Berlin bereits beschlossen seien. “Aber es ist ganz klar, es muss auch umgesetzt und kontrolliert werden. Wir werden diese Kontrollpflichten sehr ernst nehmen.”

Skepsis über Wirksamkeit der Beschlüsse

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hält die Corona-Lage fast für gefährlicher als im Frühjahr – und hat Zweifel, ob die neuen Gegenmaßnahmen am Ende ausreichen. Man sei einen deutlichen Schritt vorangekommen, und zwar fürs ganze Land, sagte Söder. “Aber ob das reicht, ist meiner Meinung nach offen.” Das werde man in den nächsten zehn Tagen sehen. Man hoffe, dass die Maßnahmen wirken, wenn sie einheitlich angewandt werden. Söder betonte: “Wir sind dem zweiten Lockdown eigentlich viel näher, als wir das wahrhaben wollen.” Mit Blick auf die aktuellen Zahlen und die aktuelle Dynamik sagte Söder, es sei “vielleicht gar nicht mehr fünf vor zwölf, sondern Schlag zwölf, um jetzt die Weichen richtig zu stellen”. Die zweite Welle sei “absolut da”, und die Lage sei fast ein bisschen gefährlicher als im Frühjahr, warnte Söder – weil man jetzt den Winter vor der Tür habe.

Auch Merkel war nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur mit den Beschlüssen unzufrieden und kritisierte sie massiv. “Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns abzuwenden”, sagte die CDU-Politikerin nach übereinstimmenden Angaben von Teilnehmern am Mittwochabend während der Sitzung. Mit den nun festgelegten Maßnahmen würden Bund und Länder in zwei Wochen eben wieder hier sitzen. “Es reicht einfach nicht, was wir hier machen.” Die Grundstimmung sei, dass sich jedes Land ein kleines Schlupfloch suche. “Das ist das, was mich bekümmert. Und die Liste der Gesundheitsämter, die es nicht schafft, wird immer länger.” Nach der Sitzung betonte Merkel, ob die Beschlüsse reichen oder nicht, werde man sehen. “Deshalb ist meine Unruhe mit dem heutigen Tag noch nicht weg.” Beunruhigt sei sie vom exponentiellen Anstieg der Infektionen. “Den müssen wir stoppen. Sonst wird es in kein gutes Ende führen.” Merkel machte deutlich, dass sich ihre Unzufriedenheit vor allem auf die umstrittenen Beherbergungsverbote bezieht.

Die Beschlüsse

Bund und Länder ziehen die Zügel wegen der steigenden Corona-Zahlen wieder deutlich an. Im Ernstfall sollen sich wie im Frühjahr wieder nur wenige Menschen treffen dürfen. Schon jetzt soll es strengere Regeln auch in Regionen geben, die bisher nicht als Risikogebiet galten.

  • Maskenpflicht: In Städten und Regionen mit stark steigenden Corona-Zahlen soll die Maskenpflicht erweitert werden. Sie soll ab 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen auch überall da gelten, wo Menschen dichter beziehungsweise länger zusammenkommen.

  • Private Feiern: In Regionen mit einem Wert über 35 Neuinfektionen soll es eine Begrenzung von 25 Teilnehmern im öffentlichen und 15 Teilnehmern im privaten Raum geben. Ab 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen sollen private Feiern auf maximal zehn Teilnehmer im öffentlichen Raum sowie auf höchstens zehn Teilnehmer aus höchstens zwei Hausständen im privaten Raum begrenzt werden.

  • Kontaktbeschränkungen: Übersteigen die Neuinfektionen den 50er Wert dürfen sich künftig nur noch maximal zehn Personen im öffentlichen Raum treffen. Sollten die neuen Maßnahmen den Anstieg nicht zum Stillstand bringen, wird dies auf bis zu fünf Personen oder die Angehörigen zweier Hausstände verringert.

  • Sperrstunde: Ebenfalls bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen soll eine Sperrstunde um 23.00 Uhr für die Gastronomie verhängt werden. Bars und Clubs sollen geschlossen werden.

  • Veranstaltungen: Wird der 50er Wert überschritten, wird die Zahl der Teilnehmer bei Veranstaltungen auf 100 Personen begrenzt. Ausnahmen bedürfen eines mit dem zuständigen Gesundheitsamt abgestimmten Hygienekonzeptes.

  • Beherbergungsverbote: Die Beherbergungsverbote für Urlauber aus innerdeutschen Risikogebieten waren vor den Beratungen am umstrittensten. Bund und Länder fanden auch im Kanzleramt keine Einigung und vertagten das Thema erst einmal bis zum 8. November. Bis dahin soll diese Maßnahme auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Bund und Länder forderten aber eindringlich alle Bürger auf, nicht erforderliche innerdeutsche Reisen in Gebiete hinein und aus Gebieten heraus zu vermeiden, die die Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb der letzten sieben Tage übersteigen.

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