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Coronavirus-Kommentar: Die Wiederentdeckung der Solidarität

Motivationsposter im chinesischen Wuhan. (Bild: Getty)
Motivationsposter im chinesischen Wuhan. (Bild: Getty)

Es ist leicht, sich gerade verunsichern zu lassen. Von den sich überschlagenden Nachrichten, von der Unabsehbarkeit der Situation, von der Angst um sich und seine lieben. Doch es ist nicht alles düster, nicht alles voller Unsicherheit. Denn die Coronakrise zeigt uns auch die gute Seite, wenn wir genau hinsehen.

Natürlich kann man sich über die Toilettenpapier- und Pasta-Horter aufregen. Man kann den Kopf schütteln über Menschen, die Masken kistenweise kaufen oder Desinfektionsmittel aus Krankenhäusern stehlen. Man kann wütend sein, auf diejenigen, die selbst diese globale Krise noch für ihre rassistische Agenda auszunutzen versuchen. Die Angst vor so viel Ungewissheit treibt manchen in den blinden Egoismus. Doch es gibt eben auch eine andere Seite, ein schöne Seite an so einer globalen Krise. Während das Leben herunter gefahren wird und die Menschen auch in Deutschland langsam die Ernsthaftigkeit der Situation begreifen zu scheinen, zeigt sie sich an allen Ecken.

Sie zeigt sich in den Zetteln, die jemand an die Türen der Nachbarn hängt, um zu fragen, ob noch jemand Hilfe braucht beim Einkaufen. Sie zeigt sich auch daran, wenn man jetzt wieder daran denkt, wer im eigenen Umfeld vielleicht gerade einsam oder überfordert ist. Wenn man zum Hörer greift und sich ein bisschen Zeit nimmt, den Freunden und Familienmitgliedern zuzuhören bei ihren Sorgen und Bedenken, die man jetzt teilt.

Kleine Gesten mit großer Bedeutung

Es gibt die kleinen Gesten, die jetzt große Bedeutung bekommen und die Runde machen. Die Italiener, die sich von Balkon zu Balkon Mut zu singen zum Beispiel. Oder die Spanier, die sich verabreden, um alle zeitgleich der unglaublichen Leistung des medizinischen Personals Respekt zu zollen.

Wenn man für einen Augenblick auftaucht, aus der Welt der Nachrichten und Hiobsbotschaften, sieht man vielerorts die Wiederentdeckung der Solidarität. Ein Wort, das fast ein bisschen Verstaubt klingt, nach SPD-Parteitagen und Kirchenpredigten. Aber jetzt ist zu sehen, irgendwo unter dem schnelllebigen Alltag, in dem jeder erst einmal auf sich selbst aufpassen muss, gibt es dieses Gefühl von gegenseitiger Verantwortung noch. Es zeigt sich in dem Freund in Quarantäne, der sich traut anzurufen und um Hilfe zu bitten, weil er sich Sorgen macht, dass seine Eltern vielleicht nicht mehr einkaufen gehen können. Oder bei den Eltern der Kita-Gruppe, die sofort einen Betreuungsplan gemeinsam erarbeiten, um die Kinder aufzufangen, deren Eltern arbeiten gehen müssen. Da gibt es Freunde, die einen täglichen Video-Gruppenchat einrichten, um Ängste zu teilen und sich nicht allein zu lassen, trotz der sozialen Distanz. Ein Bekannter bietet an, online gemeinsam zu meditieren, Yoga-Anbieter offerieren umsonst Onlinekurse gegen den Quarantäne-Koller. Andere posten haufenweise Spiel-Ideen für Kinder, die auf einmal den ganzen Tag zuhause bleiben müssen.

Plötzlich geht vieles, was vorher nicht ging. Der Staat, in all seiner langsamen Bürokratie, wird plötzlich erstaunlich pragmatisch. Es wird finanzielle Hilfe organisiert für die Gruppen, die am härtesten betroffen sind, wie Freiberufler und Künstler. Die vielgescholtenen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender finden auf einmal zu ihrer Funktion zurück und bieten tägliche Bildungssendungen an. Schulen entdecken das digitale Zeitalter als Möglichkeit des Lernens. Selbst die Deutsche Bahn passt sich an und wird kulant.

Ja, viele Menschen denken zunächst an sich selbst, es ist ein verständlicher Mechanismus, einer, der sonst auch gesellschaftlich weitestgehend Normalität geworden ist. Aber mindestens eben so viele Menschen denken jetzt zuerst oder im zweiten Schritt an die anderen, an die schwächeren. Und daran, wie man ihnen helfen und zur Seite stehen kann. Und so lässt sich, wie in jeder Krise, auch in dieser neuen beobachten, wie in extremen Situationen beide Seiten der Menschheit hervorkommen. Es liegt an jedem von uns selbst, zu entscheiden, welche wir sehen - und zeigen - wollen.