Daniel Stelter - Top-Ökonom wettert: „Schon seit Jahren wird hier mit den Füßen abgestimmt“

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Der Ökonom Daniel Stelter.Robert Recker/Berlin.

Der Ökonom Daniel Stelter nimmt kein Blatt vor den Mund. In einem Interview sagte er drastisch: „Wir sind ein Sanierungsfall“. Dabei verweist er auf frühere Fehler – und auf eine Politik, die sich in Details verliert.

Praktisch wöchentlich gibt es neue Hiobsbotschaften aus der deutschen Wirtschaft. Bekannte Unternehmen rutschen in die Insolvenz, Frühindikatoren der Konjunktur leuchten warnend rot. Unser Wohlstand, bekräftigen Ökonomen, sei akut bedroht. Das betreffe am Ende alle Bundesbürger, ob Arbeitnehmer oder Rentner.

Auch der für starke Meinungen bekannte Volkswirt Daniel Stelter betonte nun noch einmal die Dringlichkeit der Lage. Stelter, der zuletzt auch oft bei FOCUS online über die Konjunkturschwäche aufklärte, sagte im Interview mit dem Finanzjournalisten und Youtuber Mario Lochner: „In meiner Wahrnehmung sind wir ein Sanierungsfall.“

Zwar zeige sich das nicht immer. Wenn das Wetter gut sei, strömen die Menschen in die Biergärten. Gemessen an solchen Bildern gehe es uns auch noch gut, sagt Stelter. „Der Ist-Zustand basiert auf dem, was in der Vergangenheit gemacht wurde, unsere Investitionen, in Bildung, in Forschung, in Infrastruktur“, so Stelter. Und genau diese Basis erodiere jetzt.

„Schon seit Jahren wird hier mit den Füßen abgestimmt“

„Wir haben Firmen, die investieren seit Jahren nicht mehr in den Laden. Die deutschen Unternehmen sind Nettosparer, das ist nicht deren Aufgabe. Wir haben ein riesiges Problem. Schon seit Jahren wird hier mit den Füßen abgestimmt. Die Firmen investieren woanders, qualifizierte Menschen wandern aus“, erklärt Stelter.

Man müsse sich das Land in seiner jetzigen Verfassung vorstellen wie ein altes Schloss, so Stelter: „Der Stuck ist noch da, aber wir verkennen, dass in manchen Zimmern nicht mehr geheizt wird, und es in andere hereinregnet.“

Dieser Niedergang werde sich fortsetzen, wie auch die Abwanderung qualifizierter junger Menschen. „Ich frage mich immer, wieso Leute noch in Deutschland sitzen“, sagt Stelter, und witzelt, er sei zwar auch noch da, aber auch schon ein alter Mann.

Das wäre anders, wenn er noch die Perspektive der Jüngeren hätte – keine Wohnung zu finden, keine Infrastruktur mehr zu haben, ein „offensichtlich immer schlechteres“ Bildungssystem.

Ökonom kritisiert „mutwillige Verschlechterung der Standortbedingungen“

Währenddessen aber „ergötzt sich die Politik daran, weitere Belastungen zu finden“, und rede von Degrowth für Klimaschutz. Nur: Wenn Deutschland verarme, könne auch kein Klimaschutz mehr finanziert werden. Stelter sieht die Schuld auch klar an der aktuellen Regierung.

„Die Rahmenbedingungen sind so, dass eine Deindustrialisierung im Raum steht. Es geht um eine mutwillige Verschlechterung der Standortbedingungen. Ich bin da gefrustet“, sagt der Volkswirt ganz offen.

Fehler wären indes auch schon zuvor gemacht worden. „Früher haben wir Wohlstand verschwendet, und nicht einmal gemerkt.“ Derweil hätten sich die Standortfaktoren verschlechtert, was nicht allein Habecks Schuld gewesen sei. „Die schröderschen Reformen haben das Land wieder wettbewerbsfähig gemacht. Aber die große Koalition hat das jahrelang das Land gemelkt, aber nicht investiert. Die Bundesländer übrigens auch nicht.“

Stelter kritisiert, dass „die Politiker irre viel Geld hatten“, es aber nicht investiert hätten. Stattdessen floss es in Rente und Migration – und war dann weg. „Die Wahrheit ist: Wir haben das Geld verplempert.“

Die Lösung sei nicht das, was die Ampelkoalition derzeit betreibe. Man verliere sich da zu sehr im „Kleinklein“, sagt Stelter. Stattdessen müsse alles getan werden, um den Menschen Arbeitsanreize zu geben. Nur so ließe sich die Produktivität bewahren. Das heiße unter anderem auch, dass Menschen dazu bewegt werden müssen, länger zu arbeiten. Auch über das Renteneintrittsalter hinaus.