Das tragische Leben des ersten amerikanischen Supermodels

Während Supermodels heutzutage überall in den sozialen Medien zu sehen sind und unzählige Selfies posten, die so schnell verschwinden, wie sie aufgetaucht sind, wurde das Gesicht des ersten amerikanischen Supermodels mehrfach in New York City verewigt: vor der New York Public Library, dem Plaza Hotel, dem Pulitzer Fountain – und in anderen Großstädten, wie Atlanta, San Francisco und Madison.

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Ein Portrait des ersten amerikanischen Supermodels, Audrey Munson. (Foto: Corbis Images)

Im Gegensatz zu Gigi und Kendall haben Sie den Namen Audrey Munson aber wahrscheinlich noch nie gehört. Ihr Leben wird in der neuen investigativen Biografie The Curse of Beauty von James Bone beschrieben. Das stillschweigend berühmte Model starb 1996 im Alter von 104 Jahren in einer Nervenheilanstalt in Ogdensburg, New York, wo sie die letzten sechs Jahrzehnte ihres Lebens verbrachte.

Überlebensgroßes Vermächtnis

Bone, der ehemalige Chef des New Yorker Büros von The Times of London, begegnete Munson vor vielen Jahren, als er in Soho lebte. Ein Freund zeigte ihm „Civic Fame“, die 7,5 Meter hohe Statue von Munson auf dem Rathaus, deren Größe nur von der Freiheitsstatue übertroffen wird. „[Mein Freund] wohnte in der Nähe des Gebäudes in einem oberen Stockwerk“, erzählt Bone im Gespräch mit Yahoo Beauty. „Er sagte: ‚Hast du die Statue gesehen?‘ Sie befindet sich 175 Meter über der Erde, weshalb es nicht ganz einfach ist, sie zu entdecken. Ich begann, mir das Model anzusehen und mich über ihre Geschichte zu informieren – und es war eine verrückte Geschichte.“

Ja, sie ist wirklich verrückt. Munson kam nach New York, um Revue-Tänzerin zu werden, wurde aber schlagartig berühmt, als Fotograf Felix Benedict Herzog ihre Schönheit entdecke, während sie mit ihrer Mutter die Fifth Avenue entlang spazierte. Munson wurde unter seiner Führung Schauspielerin und Model und akzeptierte fast einen Heiratsantrag von Herzog, bevor dieser 1912 plötzlich starb. „Zu dem Zeitpunkt hatte sie Künstlerfreunde und war von der Szene bereits akzeptiert worden“, sagt Bone.

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Munson posiert mit der Katze des Fotografen. (Foto: Arnold Genthe/Library of Congress)

Als 18-jährige erregte Munson aufgrund ihrer Figur die Aufmerksamkeit renommierter Künstler – in der Presse wurde sie damals als „perfekteste Frau der Welt“ bezeichnet – die sie an die griechischen Göttinnen in den Werken von Raphael und Botticelli erinnerte. Sie begann, nackt für Künstler, wie den Bildhauer Isidore Konti (im Jahr 1909) und den Fotograf Arnold Genthe, zu posieren und war bald der Liebling der New Yorker Künstlerszene.

Männer liebten Munson. Sie konzentrierte sich aber auf ihren Erfolg in der Modelwelt und lehnte viele Verehrer ab – zum Beispiel den Eisenbahnangestellten Paul Hardaway, mit dem sie im Jahr 1914 einige Zeit lang verlobt war. Laut The Curse of Beauty wurde Munson irgendwann bewusst, dass „sie diesen Mann nicht genug liebte, um seine Frau zu werden“, wonach sie Hardaway mit einer Modelfreundin verkuppelte.

Ein Mordfall und Munsons Absturz

Sie hatte weiterhin beruflichen Erfolg und zog an die Westküste, wo Filmproduzenten auf Munson aufmerksam wurden. Sie wurde für kommerzielle Modeschauen engagiert und war der erste amerikanische Star, der komplett nackt in einem Film zu sehen war. Doch die Probleme ließen nicht lange auf sich warten. „Sie bekam psychische Probleme“, sagt Bone. „Sie war die berühmteste Muse Amerikas, wurde aber leider in einen Mordfall verwickelt.“

Im Jahr 1919 wurde Munsons ehemaliger Vermieter, Walter Wilkins, ein Arzt, der von Munson besessen war, wegen des Mordes an seiner Frau verurteilt und hingerichtet – den Mord hatte er angeblich begangen, um Munson heiraten zu können. Laut Bone waren der Stress, den dieser Kriminalfall auslöste, und die hohen Ansprüche ihrer Karriere zu viel für sie. Munson zog sich komplett aus der Kunst- und Filmszene zurück. „Sie war eine zerbrechliche und verletzliche Frau, die als Nacktmodel enormem Druck ausgesetzt war“, sagt er. „Zehn Jahre lang lebte sie als Einsiedlerin. 1921 versuchte sie ein Comeback mit einem Film, hatte aber keinen Erfolg. Sie verkörpert den ersten geplatzten Traum von Hollywood – an ihrem 40. Geburtstag wurde sie von ihrer Mutter eingewiesen.“

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Munson posierte für diese Statue im Straus Park in New York City. (Foto: Alamy)

Es ist kaum zu glauben, dass Munson mehr als 60 ruhige Jahre in einer Nervenheilanstalt verbrachte, in der sie bis zu ihrem Tod 1996 untergebracht war. Einst von allen geliebt, wurde sie jahrzehntelang von niemandem besucht. „Ihre Eltern starben, aber ihr Vater hatte eine zweite Familie gegründet“, sagte Bone. „Als sie 93 Jahre alt war, wurde sie von ihrer Halbnichte Darlene gefunden – der Enkelin ihres Vaters.“

Ein Grab ohne Grabstein

Nach ihrem Tod wurde Munsons Asche im Grab ihres Vaters beerdigt. „Es gibt keinen Grabstein, nur eine Plastikblume“, sagt Bone. „Es ist kaum zu glauben, dass die Frau, die die Inspiration für Denkmäler auf der ganzen Welt – vor allem in New York – war, selbst kein Denkmal bekam.“

Bones Biografie von Munson ist ein wunderbares Portrait des vielseitigen, glamourösen Alltags eines frühen Models, in dem sie die besten Künstler und Prominenten ihrer Zeit traf und der im krassen Kontrast zur Tragödie ihrer letzten Jahre steht. Ihre Schönheit und Kunst ließen sie laut dem Autor zerbrechen. „Sie hatte Probleme damit, nackt zu posieren, aber dachte, dass sie es durchstehen würde“, erklärt Bone.

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Eine Aktstatue von Munson am Brunnen vor dem Plaza Hotel in New York City. (Foto: Alamy)

1921 schrieb Munson einen prophetischen Text in dem sie sich fragte, wie viele Menschen „schon vor einer wunderschönen Skulptur oder einem bemerkenswerten Gemälde eines jungen Mädchens standen, deren Verzicht auf Verhüllung ihre Sittsamkeit und Reinheit betont, anstatt sie zu reduzieren, und sich fragten: ‚Wo ist sie jetzt, dieses Model, das so schön war? Was war ihre Belohnung dafür? Ist sie glücklich und reich oder ist sie traurig und verloren, da ihre Schönheit verschwunden ist und ihr nichts als ihre Erinnerung bleibt?‘“

Bone versucht, diese Erinnerungen zu erhalten und Munsons Erbe zu ehren. „Sie ist ein Teil der amerikanischen Geschichte, der übersehen wurde“, sagte er. „Ich hoffe, dass ich ihre Geschichte erzählen und die Augen der Menschen öffnen kann, damit sie diese fantastischen Städte auf neue Weise verstehen können. Sie werden New York nie mehr gleich wahrnehmen, wenn Sie Audreys Geschichte kennen.“

Jenna Birch

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