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Den grünen Spitzenkandidaten droht ein sozialpolitischer Gau

Ein politisches Traumpaar für die Grünen? (Bild: Bernd Thissen/dpa)
Ein politisches Traumpaar für die Grünen? (Bild: Bernd Thissen/dpa)

Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir sind die Spitzenkandidaten der Grünen. Damit rückt die Partei nach rechts – und droht die Bodenhaftung zu verlieren.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Puh, das war knapp: Diesmal ist es den führenden deutschen Onlinemedien gelungen, eine richtige Eilmeldung zu verfassen: Als bei der gestrigen Verkündung des Verfassungsgerichtsurteils zum NPD-Verbotsverfahren viele von denen mehr auf Knöpfe drückten als hinhörten und den Richterspruch falsch verstanden – da wird es in einigen Redaktionsstuben ordentlich geraucht haben.

Diesmal sollte alles anders sein. Und tatsächlich, bei den Grünen lagen diesmal alle richtig, herzlichen Glückwunsch: Die Verkündung des Mitgliedervotums über die Spitzenkandidaturen bei den kommenden Bundestagswahlen hatten ALLE richtig verstanden – obwohl Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sich jegliche Mühe machte zu verwirren. Erst pries er die durchgezählte Nacht, die steigenden Mitgliederzahlen und die Kandidaten, um in einem Nebensatz das ERGEBNIS zu verstecken. Und es war knapp. Da musste man genau hinhören.

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Das Duo sollte aus einer Frau und einem Mann bestehen. Für den ersten Part kandidierte nur Katrin Göring-Eckardt, für den zweiten Robert Habeck, Toni Hofreiter und Cem Özdemir. Also würden zwei Verlierer dastehen, so sehr Kellner auch Gewinnerlächeln versuchte.

Ein Fotofinish

Während Göring-Eckardt mit 70 Prozent der abgegebenen Stimmen kein Traumergebnis erzielte, rettete sich Özdemir knapp vor Habeck aufs Podest – 35,96 Prozent gegenüber 35,74 Prozent oder eben ein Vorsprung von 75 Stimmen. Hofreiter landete etwas abgeschlagen bei 26,19 Prozent.

Özdemir ist der bekannteste der dreien. Er wirkt standfest wie freundlich, irgendwie aufrecht. Habeck dagegen ist ein Überraschungscoup gelungen. Der Außenseiter aus Kiel vermittelte den Eindruck eines Aufbruchs, des unabhängigen Cowboys, der den Saloon des Parteiestablishments stolz meidet.

Sehr deutsch jedenfalls ist das neue Kandidatenduo. Sie eine Tochter von Tanzschulinhabern in Ostdeutschland, er der Sohn von Arbeitern aus dem baden-württembergischen Südwesten. Was ich übrigens nicht mehr hören kann, ist das ewige Verweisen auf Özdemirs türkischen „Hintergrund“. Da reden im Fernsehen befragte Experten gern davon, Özdemir sei ein „gelungenes Beispiel für Integration“. Özdemir integrierte sich, als er am 21. Dezember 1965 den Bauch seiner Mutter verließ, wenn überhaupt. Jedenfalls war er schon immer in Deutschland, in Urach bei Reutlingen kam er schließlich zur Welt. Özdemir ist alles, ein türkischer Schwabe, ein schwäbischer Türke, ein Kreuzberger und Deutscher – aber integriert ist er nicht, weil dieser Begriff so passt wie Nutella zu Wurst.

Wofür Özdemir indes so wenig steht wie Göring-Eckardt ist der linke Flügel der Partei. Beide sind eben „Realos“, der linke Flügel hat mit diesem Mitgliedervotum eine Niederlage erlitten. Das könnte sich rächen.

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Knapper Sieger der Abstimmung: Cem Özdemir (Bild: Marijan Murat/dpa)
Knapper Sieger der Abstimmung: Cem Özdemir (Bild: Marijan Murat/dpa)

Angst vor der Abgehobenheit

Denn Toni Hofreiter als Vertreter der Linken erzielte ein respektables Ergebnis, er lag nicht unendlich weit hinten. Ihn wählten jene Grünen, die sich mehr soziale Themen bei ihrer Partei wünschen. Die Angst vor der Abgehobenheit der Grünen haben. Die Grünen haben sich längst zurecht den Ruf einer satten Mittelstandspartei erarbeitet. Sie zieht Besserverdienende an, nicht die Arbeiter.

Den Grünen gelingt es in diesen Zeiten immer weniger den nicht existierenden, aber wahrgenommenen Zwiespalt zwischen Schutz der Natur und sozialer Gerechtigkeit zu überwinden. Ökologie versus Ökonomie, Umweltschutz als Privileg jener, die ihn sich leisten können – dass beides natürlich zusammenpasst, verdeutlichen die Grünen in letzter Zeit immer weniger überzeugend.

Dabei wird der kommende Wahlkampf stark von Ängsten geprägt sein, die auch sozialer Natur sind. Es gibt die Abgehängten in Deutschland, nicht nur jene, die sich fälschlicherweise dafür halten. Wer die Gerechtigkeit bei immer mehr Armen und immer mehr Reichen im Land verdunsten sieht, muss bei den Grünen eine aktive Antwort darauf finden können. Göring-Eckardt und Özdemir sind keine Experten dafür. Sie sollten Themen der sozialen Gerechtigkeit nun beherzter angehen. Sonst wird den Grünen das heutige Mitgliedervotum bei der kommenden Bundestagswahl derb auf die Füße fallen.