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Der Antisemitismus-Report: Zahlen der Gewalt

Das jüdische Restaurant “Schalom” von Uwe Dziuballa war nach den Ausschreitungen in Chemnitz in den Nachrichten. Es wurde aber schon vorher oft angegriffen. Einmal lag ein Schweinekopf mit einem Davidstern vor der Tür. Foto: Screenshot / ARD
Das jüdische Restaurant “Schalom” von Uwe Dziuballa war nach den Ausschreitungen in Chemnitz in den Nachrichten. Es wurde aber schon vorher oft angegriffen. Einmal lag ein Schweinekopf mit einem Davidstern vor der Tür. Foto: Screenshot / ARD

Der Film von Adrian Oeser versteht es, die vielen Facetten der Gewalt gegen Juden in persönlichen Geschichten zu erzählen. Durch Umfragen, Statistiken, Studien zeigt er gleichzeitig die Dimension der Gewalt auf. Die Geschichten sind dadurch keine Einzelfälle mehr, sondern stehen für eine bedrohliche gesellschaftliche Entwicklung: der Antisemitismus-Report.

Zuerst Zahlen:

0,1 Prozent der Bevölkerung hierzulande sind Juden. Das sind ungefähr 100.000 Menschen.

In einer repräsentativen Umfrage antworten auf die Frage: Breitet sich der Antisemitismus aus?

41 Prozent: Nein.

50 Prozent: Ja.

Eine normale Familie in Frankfurt, auf den Tisch kommt, was schmeckt. Jüdische Essensregeln sind hier kein Thema. Vorurteile hingegen schon, die klingen in etwa so:

„Müssen Juden überhaupt Steuern zahlen?“

„Juden sind alle reich.“

„Juden regieren die Welt.“

Alle Familienmitglieder kennen sie, haben sie gehört, wurden damit konfrontiert.

Der Sohn, Samuel, trägt einen Davidstern. Aber verdeckt unter dem Shirt. „Weil ich Angst habe, wenn ich lese, was alles mit Juden auf der ganzen Welt passiert.“

Die Mutter sagt: „Wir haben lange besprochen, ob wir als Familie hier vor die Kamera treten. Es war nicht unumstritten. Vielleicht sollte nicht jeder wissen, dass wir Juden sind. Dadurch macht man sich angreifbar.“

Die Tochter sagt, „Jude“ sei mittlerweile ein Schimpfwort: „Man wird so angegriffen.“

Leiser Antisemitismus

Der Einstieg in den Antisemitismus kommt versteckt. Andreas Zick von der Universität Bielefeld hat eine Studie dazu durchgeführt. „Die befragten Juden erleben täglich, dass sie nicht als gleichwertig betrachtet werden. Es sind oft nur Hinweise, etwa: ‘Wieso bist du anders?‘?“

Dabei zeigt die deutsche Geschichte, dass man auch auf Andeutungen sofort reagieren muss. Sonst kann es zu spät sein.

Daniel Kaplan trägt seine Kippa schon lange öffentlich, seine Erfahrungen sind dabei furchtbar: „Körperlich wurde ich nach zwei Jahren nicht mehr belästigt. Aber die Sprüche sind immer noch da.“

Die Kriminalstatistik hingegen ist unverändert, antisemitische Straftaten nehmen nicht zu. Aber: Antisemitismus ist nicht immer strafbar. Julia Bernstein von der Frankfurt University of Applied Sciences: „Wer sagt: ‘du Jude.‘ Dann ist das erstmal eine Religionszugehörigkeit. Nicht strafbar. Wer sagt: ‘Du brauchst jetzt eine Dusche.‘ Dann ist das eine Grauzone. Die Stigmatisierung mit ihren negativen Auswirkungen auf Juden hat so keine Konsequenzen.“

Felix Klein ist der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung. „Antisemitismus hat auch früher gegeben. Es hat sich aber nicht so unverhohlen und offen geäußert. Auch nicht in der Häufung der Fälle.“

Viele Juden reagieren deswegen, wie Samuel, der seinen Davidstern verdeckt trägt. Jüdische Symbole werden vermieden in der Öffentlichkeit. Das führt zu einer Realität, in der die jüdische Kultur und Praxis nur noch hinter geschlossenen Kulissen geschieht. Religionsausübung ist jedoch per Grundgesetz in Deutschland frei, wie kann es da soweit kommen?

Antisemitismus und Muslime

Wie viele Muslime sind judenfeindlich?

Sehr viele: 36 Prozent.

Sehr wenige: 39 Prozent.

In Offenbach leben 762 Juden, das sind 0,5 Prozent der Bevölkerung. Hingegen leben auch 17.000 Muslime dort, das ist jeder achte Einwohner. Der Rabbiner Mendel Gurewitz sagt: „Die Kinder haben Angst, mit ihrer Kippa durch die Straße zu laufen. Es passiert immer wieder. Die Täter sind meist Muslime.“

Felix Klein erklärt: „Wir haben eine besondere Herausforderung durch den Zuzug von muslimischen Flüchtlingen. Weil diese Menschen in Ländern sozialisiert wurden, wo der Antisemitismus praktisch zur Staatsdoktrin gehörte, wo der Hass auf Israel in den Schulen und in der Öffentlich an der Tagesordnung ist.“

Die Anti-Defamation-League hat das vor drei Jahren untersucht: 74 – 92 Prozent der Bevölkerung in arabischen Staaten ist antisemitisch.

Der Psychologe Ahmad Mansour sagt, dass die Prägung oftmals sehr tief sitze. Die Überzeugungen lauteten dann: „Juden sind verantwortlich für die Kriege, die in unserem Land stattfinden. Ich habe keine Lust, Juden kennenzulernen. Die Medien sind von Juden beherrscht.“

Der alte, deutsche Antisemitismus

Dortmund im September. 100 Neonazis: „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit.“

Chemnitz im August. Tausende Neonazis: „Deutschland den Deutschen. Ausländer raus.“

Uwe Dziuballa, dessen jüdisches Restaurant Schalom in Chemnitz von einer Gruppe Vermummter angegriffen wurde, erinnert sich. Er tritt aus seiner Tür hinaus: „Hier an der Kreuzung stehen zehn bis zwölf Personen. Es ist dunkel. Ich kriege Angst. Ich rufe: ‘Verschwindet!‘ In dem Moment prasseln Gegenstände auf mich ein. Ich höre: `Judensau. Verschwinde aus Deutschland.‘“

Das ist nicht der erste Angriff. Es gibt immer wieder Anrufe mit Todesdrohungen. Ein Schweinekopf mit einem Davidstern drauf liegt eines Morgens vor seiner Tür.

Josef Schuster vom Zentralral der Juden: „Judenhass gibt es nicht nur an den Rändern. Sondern finden wir mittlerweile auch in der Gesellschaft. Das hängt mit der Kultur der letzten Monate zusammen. Gerade durch Äußerungen von Funktionären der AFD merken wir, wie rote Linien verschoben werden.“

Im Juli 2018 besucht eine Besuchergruppe von Alice Weidel, der Fraktionsvorsitzende der AfD, das Konzentrationslager Sachsenhausen in der Nähe von Berlin. Mehr als 200.000 Juden waren hier interniert. Zehntausende wurden ermordet. Durch Arbeit, Hunger, sie wurden erschossen oder vergast.

Dr. Axel Drecoll, Leiter der KZ- Gedenkstätte Sachsenhausen, vor dem Krematorium (Bild: HR)
Dr. Axel Drecoll, Leiter der KZ- Gedenkstätte Sachsenhausen, vor dem Krematorium (Bild: HR)

Bei der Führung durch die industrielle Mordmaschine äußern sich die Parteivertreter immer wieder revisionistisch. So heißt es, wenn Geschichte umgedeutet wird. Dr. Axel Drecoll arbeitet in der Gedenkstätte KZ Sachsenhausen: „Es sind für Revisionisten permanent typische Aussagen gefallen. Die zielten darauf ab, nicht nur die Taten des Nationalsozialismus, sondern auch die Bedingungen hier, zu verharmlosen. Das gilt für Gaskammern, wo nachgefragt und angezweifelt wurde, ob Blausäure zum Einsatz gekommen ist.“

Weiter sagt Drecoll: „Wenn ein Rundgang permanent und intensiv gestört wird, von Menschen mit ganz klar rechtsradikalem Weltbild und Hintergrund, gleichzeitig auch die Existenz von Gaskammern infrage gestellt wird, dann hat das eine Qualität der Missachtung und des Zynismus, die nicht zu überbieten ist.“

Darauf folgen Ausschnitte von AfD-Parteivorsitzenden: Der Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland sagt: „Wir haben das Recht, stolz zu sein auf die Leistung deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen. Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1.000 Jahre erfolgreicher deutscher Geschichte.“

Björn Höcke, Landesvorsitzender AfD Thüringen, sagt: „Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad.“

Der Antisemitismus-Report zeigt auf, wie drängend das Problem „Judenhass“ und öffentliche Anfeindung geworden ist. Es gibt gesellschaftliche Strömungen und Entwicklungen, die nicht nur vor dem deutschen historischen Hintergrund beängstigend sind. Eigentlich sollte die deutsche Bevölkerung besondere „Antikörper“ gegen Antisemitismus entwickelt haben, aber die Erinnerungskultur scheint gestört in jüngerer Zeit. Dazu kommt, dass auch Muslime oftmals einen tiefen Hass in sich tragen. Deswegen ist der Film eine lautstark formulierte Warnung: Denn schon durch offen ausgesprochene Worte erhöht sich die Bereitschaft zu Taten und zu Gewalt.