Der Rücktritt des Jahres: Servus, Philipp Lahm!

Er legte eine Bilderbuch-Karriere hin und sammelte unzählige große Titel. Im Mai zog er einen Schlussstrich, um sich dem Leben nach dem Profifußball zu widmen. Philipp Lahm ist außergewöhnlich – als Fußballer und als Mensch. Von Patrick Strasser

Nach 14 Jahren Profifußball war im Mai 2017 Schluss für Philipp Lahm
Nach 14 Jahren Profifußball war im Mai 2017 Schluss für Philipp Lahm

Nach dem Spiel ist vor dem Preis. Oder anders formuliert: Karriere beenden, Bühne betreten. Wenn große Sportler dem Profidasein Lebewohl sagen, kommt die Zeit der Ehrungen und Auszeichnungen.

Philipp Lahm durfte im vergangenen halben Jahr sehr oft etwas entgegennehmen. Im Mai auf einem ihm vertrauten Podium in der Allianz Arena. Am letzten Spieltag erhält der FC Bayern die Meisterschale, es ist die fünfte in Serie. Lahm, der Münchner, der Kapitän, streckt die Hände aus, zum achten Mal gewinnt er den Titel. Und zum letzten Mal. Nach der Meisterparty ist Feierabend.

Und Zeit für Preise. Der Deutsche Fußball-Bund ernennt Lahm zum Ehrenspielführer der Nationalmannschaft. Erst fünf einstigen DFB-Kapitänen wurde diese Ehre zuteil: Fritz Walter (1958), Uwe Seeler (1972), Franz Beckenbauer (1982), Lothar Matthäus (2001) und Jürgen Klinsmann (2016). Zudem ist Lahm Botschafter der deutschen Bewerbung für die EM 2024.

Noch mehr hat Lahm im August die längst überfällige Wahl zum Fußballer des Jahres bedeutet, eine Würdigung seiner Karriere. Im Herbst folgten zahllose Ehrungen für den 34-Jährigen: Der “Persönliche Preis des Bayerischen Ministerpräsidenten”, die “Bayerische Verfassungsmedaille”, bei der GQ-Gala “Männer des Jahres” wurde er als “Sports Icon” gekürt. Schließlich im November der “Bayerische Stifterpreis” in Gold für sein ehrenamtliches Engagement.

Seine neue Rolle: Unternehmer und Stifter

Dass ihn der “Stifterpreis” am meisten freute, charakterisiert Lahm punktgenau. Mit seiner eigenen Stiftung, die 2017 zehnjähriges Bestehen feiert, unterstützt er seit Jahren benachteiligte Kinder und Jugendliche. Für Lahm “ein Ansporn, unseren Weg weiter zu gehen. Wir wollen neue Ideen entwickeln, um unsere Projekte voranzutreiben.”

Im Leben nach dem Fußball denkt Lahm nicht in Spielzeiten, Hin- und Rückrunden, Vorbereitungen und Turnieren. Er ist jetzt Unternehmer, investierte in verschiedene Start-Ups. Die starre Struktur des Profitums, die immer gleichen Abläufe – alles passé. “Ich habe jetzt einen viel abwechslungsreicheren Alltag als früher, kann mir meine Tage selber einteilen und auch einmal Zeit mit meiner Familie genießen”, sagte er dem “Münchner Merkur”.

Endlich frei. Auf der faulen Haut liegen? Niemals. Ehrgeiz und Neugier, die stetige Suche nach der nächsten Herausforderung haben den Fußballer Lahm angetrieben, nun treiben sie den Unternehmer Lahm an. “Ich arbeite mich in viele neue Themen ein. Das sind alles Aufgaben, die mich ausfüllen und erfüllen.” Er steht am Anfang der Karriere nach der Karriere.

Jenes 4:1 des FC Bayern am 20. Mai gegen Freiburg war Lahms letzter von insgesamt 652 Profi-Einsätzen, von der Regionalliga Süd bis hinauf zur Champions League. Dazu kommen 113 Länderspiele mit dem Höhepunkt in Rio de Janeiro 2014. Ein verkürzter Streifzug durch sein Titel-Portfolio: Neben den acht Meisterschaften sammelte er sechs Pokalsiege sowie je einem Champions-League und Klub-WM-Titel. Bereits im Februar hatte seinen Abschied verkündet. Ein Schlussmacher – ein Jahr vor Vertragsende.

Die anderen Sommermärch’ler kicken immer noch

Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger kicken immer noch. Der eine in der japanischen J-League für Vissel Kobe, der andere in der US-amerikanischen MLS für Chicago Fire. Mit Lahm waren die drei die Gesichter der Heim-WM 2006, wurden zu Sommermärchen-Helden, zu Weltmeistern der Herzen. Erst acht Jahre später in Brasilien konnten sie ihre Nationalelf-Karrieren krönen.

Lahm trat am Morgen nach der Siegerparty in Rio zurück, servierte Bundestrainer Joachim Löw seinen Abschied zum Frühstück. Schweinsteiger beerbte ihn als Kapitän, sein Unternehmen EM-Titel 2016 in Frankreich scheiterte. Das Aus im Halbfinale gegen Gastgeber Frankreich leitete er mit einem unglücklichen Handspiel selbst ein. Podolski saß auf der Bank, Lahm zu Hause auf der Couch. Völlig andere (Gefühls-)Welten.

Heute suchen Schweinsteiger und Podolski noch immer den richtigen Zeitpunkt, um sich vom Fußball zu verabschieden, auf die andere Seite wechseln. Lahm dagegen ist angekommen.

Den Job des Bayern-Sportdirektor lehnte er ab

Sein Abschied in diesem Sommer trotz eines hochdotierten, noch eine weitere Saison laufenden Vertrages ist d e r Rücktritt des Jahres. Aber Lahm spürte, dass er nicht mehr zu 100 Prozent mithalten kann, dass ihm, dem Rechtsverteidiger, die Jüngeren an der Außenlinie davonliefen.

Daher machte er einen klaren Schnitt. Keine Kompromisse. Typisch Lahm. Als ihm die Bayern-Bosse die Stelle des Sportdirektors anboten, lehnte er ab. Weil er zu wenig Mitgestaltungsmöglichkeiten an der Seite – oder eher: unter – den Alphatieren Karl-Heinz Rummenigge sowie Uli Hoeneß ausmachen konnte, ihm zu wenige Kompetenzen versprochen wurden. Keine Kompetenzen, kein Kompromiss. Doch die Rückkehr zu seinem Herzensverein ist wohl nur aufgeschoben. Eines Tages wird die Zeit reif sein.

Momentan genießt er den lehrreichen Blick von außen auf den Fußball. Nach dem ersten halben Jahr ohne Training und Spiele, ohne den Kabinengeruch und all die Reisen findet Lahm, es sei “schön, mal auf der anderen Seite zu stehen und neue Erfahrungen zu sammeln”. Im Stadion war er seit Mai kein einziges Mal. “Aber das kommt noch, schon allein, weil mein Sohn sicher bald mal wieder sagt: ‘Papa, lass uns ins Stadion gehen!'”