Deutsch-Syrer nach Assad-Sturz - „Wenn die Deutschen immer noch denken, dass wir Schrott sind, bleibe ich nicht“
Die Nachrichten aus Syrien überschlagen sich. Geflüchtete in Deutschland verfolgten gebannt den Sturz der Assad-Diktatur. Doch in die Freude über die jüngsten Entwicklungen mischt sich auch Skepsis angesichts einer ungewissen Zukunft. Für viele kommt eine Rückkehr vorerst nicht infrage.
Mehr als 13 Jahre Krieg und Tyrannei sind plötzlich Geschichte: Mit der Flucht des syrischen Diktators Baschar al-Assad aus Damaskus nach Moskau beginnt für das zerrüttete Land ein neues Kapitel. In der syrischen Gemeinschaft in Bremen brach am Wochenende zwar zunächst Freude aus. Doch in die Zukunft blicken die Deutsch-Syrer mit gemischten Gefühlen, wie Gespräche zeigen.
Deutsch-Syrer nach Assad-Sturz: „Wir wollen wissen, was da passiert“
Im Steintorviertel hat Bader, der seinen Nachnamen nicht nennen will, vor anderthalb Jahren sein eigenes Geschäft gegründet. Der 33-Jährige bietet hier arabische Spezialitäten wie Baklava und Haushaltswaren an. Am Montagmittag ist er zwar in seinem Laden anzutreffen, doch für die Arbeit interessiert er sich gerade nicht. Zu bedeutend ist das, was gerade passiert. „Wir verfolgen nur die Nachrichten“, weiß er auch von syrischen Freunden. Vor den Bildern aus den Foltergefängnissen, wie Tausende nach Jahren endlich wieder das Tageslicht erblicken, kann und will Bader die Augen nicht verschließen. „Wir wollen wissen, was da passiert“, sagt er.
Er selbst habe dem Assad-Regime 2011 gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder abgeschworen, zu Beginn der blutig niedergeschlagenen Aufstände. Sein Bruder starb 2013 im Krieg. Bader flüchtete zunächst in die Türkei, kam 2015 nach Deutschland. Seine Kinder sind in Bremen geboren, auch die Staatsbürgerschaft hat er bereits angenommen. Noch immer schmerzten seine Augen von all den Tränen, die er am Wochenende vergossen habe, sagt er und beschreibt ein Wechselbad der Gefühle: „Ich weiß nicht, ob ich weinen oder lachen soll.“ Zu viel Leid habe der Krieg über das Land und sein Volk gebracht. „Mein Herz tut weh“, merkt Bader an.
Seine Eltern leben noch immer in Aleppo. Plötzlich sei der Strom wieder durchgehend da und das Leben schlagartig besser. „Jetzt ist meine Stadt wieder sauber“, freut sich der 33-Jährige und würde am liebsten in den nächsten Flieger steigen, um seine Verwandten zu besuchen. Doch habe er auch Verpflichtungen in Bremen. Zumal die Zukunft Syriens zu ungewiss sei. Eine Rückkehr in der aktuellen Lage könne er sich nicht vorstellen. Seine Kinder sprächen ohnehin besser Deutsch als Arabisch, könnten mit dem Namen Scholz mehr anfangen als mit al-Assad.
Zurück nach Syrien? „Wenn die Deutschen immer noch denken, dass wir Schrott sind, bleibe ich nicht“
Doch auch nach fast zehn Jahren in Bremen spüre er noch immer, wie ihm die Ablehnung in Teilen der Gesellschaft entgegenschlage. Es sei schwierig, zu den Alteingesessenen Kontakt zu knüpfen. Im Paketshop zeige er daher lieber seinen Führerschein als seinen deutschen Personalausweis. „Sie gucken mich nicht an wie dich“, sagt er. Dabei habe er dem Land immer etwas zurückgeben wollen und es in sein Herz geschlossen. „Wenn die Deutschen immer noch denken, dass wir Schrott sind, bleibe ich nicht“, sagt Bader. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass Syrien tatsächlich ein demokratisches Land wird. Ob die Menschen nun Alkohol trinken wollten oder Frauen ihr Kopftuch ablegen – Syrien brauche Freiheit.
Für Abdulrhman, der seinen Nachnamen nicht nennen will, kommt eine Rückkehr dagegen nicht infrage. „Auf keinen Fall. Syrien ist das letzte Land, in das ich reisen würde“, betont er. Zu schmerzhaft seien die Erinnerungen und Erfahren unter Assads Terrorherrschaft. „Meine besten Freunde wurden vor meinen Augen umgebracht, mein Cousin entführt“, gibt der 27-jährige Jeside aus Afrin Einblicke in seine traumatische Geschichte: „Für mich ist Syrien von der Karte gelöscht.“ In Deutschland hat er sich dagegen ein Leben aufgebaut, betreibt als Friseurmeister seit 2022 ein eigenes Geschäft, hat die Staatsbürgerschaft angenommen und geheiratet. Für die Menschen in Syrien hoffe er nur das Beste, wünsche ihnen ein besseres und normales Leben.
Bangen um Familienmitglieder in Syrien: „Ich hatte Angst, dass sie nicht mehr lebt“
Auch nach dem Sturz Assads würde er seine Schwester am liebsten aus Aleppo nach Bremen holen. Zu unsicher schätzt er die Lage in Syrien. Während der Befreiung des Landes durch die Dschihadisten habe er sie vier Tage nicht erreichen können, weil das Telefonnetz nicht funktioniert habe. „Ich hatte Angst, dass sie nicht mehr lebt“, berichtet Abdulrhman von bangen Tagen. Genauso verunsicherten ihn die Bilder von türkischen Flaggen in Aleppo, zumal noch nicht alle Gefängnisse mit kurdischen Insassen geöffnet worden seien. Er sieht allerdings auch positive Signale in der aktuellen Lage, wie etwa die Befreiung so vieler Unschuldiger aus den anderen Foltergefängnissen. Er könne sich auch nicht vorstellen, dass eine nennenswerte Anzahl an Geflüchteten in der aktuellen Situation von Deutschland nach Syrien zurückkehren wird.
Optimistischer zeigt sich Saed Kouery. „Nach 54 Jahren Diktatur können die Syrer wieder Freiheit atmen“, sagt der zweite Vorsitzende der Syrischen Gemeinschaft Bremen (SGB). Die Deutsch-Syrer hätten bis zur letzten Minute gebangt, dass das Terrorregime mit seinem Geheimdienstapparat sie auch in Bremen heimsuchen könnte. Gleichzeitig hätten sie die Hoffnung nie aufgegeben, dass Unterdrückung und Folter in Syrien irgendwann ein Ende finden würden. Bereits mit dem Sturz al-Assads sei viel für das Land erreicht. „Der nächste Schritt wird besser sein“, ist der 52-Jährige überzeugt und vermutet, dass einige freiwillig aus Deutschland zurückkehren möchten.
Denn das Volk habe sich nun wiedergefunden. „Das syrische Volk ist eins“, hörte Kouery von Demonstrationen in Bremen und Bremerhaven. Er hoffe, dass die unterschiedlichen Gruppen wieder wie früher in all ihrer Vielfalt zusammenleben werden und denke auch nicht, dass Gruppen wie die Kurden etwas zu befürchten hätten. Seine Schwester in Damaskus sei selbst mit einem Kurden verheiratet. Der Bauingenieur, der vor 24 Jahren als Student nach Deutschland kam, wünscht sich, in Zukunft regelmäßig nach Syrien reisen und seine Familie wiedersehen zu können. „Ich hoffe auf ein friedliches und zivilisiertes Land“, sagt er. Gleichwohl wüssten die Deutsch-Syrer um ihre Verpflichtungen gegenüber Deutschland und wollten weiterhin ihren gesellschaftlichen Beitrag hierzulande leisten.