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Deutscher Journalist filmt live den Anschlag von Nizza

Journalist Richard Gutjahr

Der weiße Terror-Lastzug, der in Nizza so vielen Menschen das Leben kostet, fährt langsam. Dann beschleunigt er und rast in die Menschenmassen, die auf der gesperrten Promenade des Anglais den französischen Nationalfeiertag begangen haben. Die gespenstischen Bilder dieses Anschlags stammen von einem Video, das der deutsche Journalist Richard Gutjahr (43) mit seinem Smartphone aufgenommen hat.

Gutjahr, Mitarbeiter der Chefredaktion des Bayerischen Fernsehens und Moderator der Rundschau-Nacht, war zu einem verlängerten Wochenend-Urlaub nach Nizza gereist, um Frankreichs Nationalfeiertag live mitzuerleben. Er stand am Donnerstagabend gegen 23 Uhr auf dem Balkon seines Hotels an der Promenade des Anglais - und schilderte später "Spiegel Online" die Ereignisse, die sich vor seinen Augen abspielten:

"Das passte nicht ins Bild"

"Das Feuerwerk zum Nationalfeiertag war gerade vorüber. Plötzlich rollte ein weißer Lkw vorbei. Das passte nicht ins Bild, denn die Straßen waren für alle Fahrzeuge gesperrt. Der Lastwagen fuhr sehr langsam, einige Leute haben gebrüllt. Es wirkte eigenartig, deshalb habe ich angefangen, mit meinem Handy zu filmen." Ein Motorradfahrer sei an den Lkw herangefahren und habe vergeblich versucht, während der Fahrt die Fahrertür zu öffnen. "Das war wie in einem Kinofilm. An der Kreuzung haben Polizisten das Feuer eröffnet, dann hat der Fahrer Gas gegeben und die ersten Menschen überfahren."

Gutjahr hat sein Video an die Redaktion des WDR geschickt. "Dort entscheiden Profis, was veröffentlicht werden sollte und wie." Das Video wurde u.a. im "Morgenmagazin" von ARD und ZDF gezeigt.

Luxusmeile wird zur Todeszone

Die Promenade des Anglais ist eigentlich ein Sinnbild für Luxus und die Leichtigkeit des südländischen Lebens. Man blickt auf das meist blaue Meer und einen weitläufigen weißen Strand. Jetzt wurde die Prachtstraße, eine der berühmtesten der Welt, zur Todeszone, in der beim Anschlag von Nizza weit über 80 Menschen starben.

Die Promenade des Anglais verdankt ihren Namen reichen Engländern, die bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von ihrer unwirtlichen Insel flohen und die kalte Jahreszeit im milden Süden verbrachten. In einem ungewöhnlich rauen Winter erlebte Nizza einen starken Zustrom von Bettlern. Für diese schlugen einige Briten der Stadt ein ungewöhnliches soziales Projekt vor: den Bau eines Gehwegs entlang des Strandes. Die Stadt Nizza willigte ein, vermutlich sahen die Ratsherren schon eine prächtige Promenade vor sich.

Beliebte Flaniermeile

Die Bettler sind ziemlich schnell verschwunden, stattdessen wurden Palmen angepflanzt. Zunächst hieß der Gehweg im Dialekt von Nizza, das seinerzeit eine eigenständige Grafschaft war, noch Camin dei Anglès. Als Nizza 1860 im Vertrag von Turin Frankreich zugesprochen wurde, wurde auch der Name französisch: Promenade des Anglais.

Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhundert ließen sich viele Luxushotels an der Meerespromenade nieder, das bekannteste ist das Negresco, das um 1910 gebaut wurde. Heute ist die Promenade des Anglais nicht nur eine beliebte Flaniermeile für Spaziergänger, Jogger, Skateboarder und Leute, die gern sehen und gesehen werden wollen, sondern auch Schauplatz des ausgelassenen Karnevals von Nizza.

Foto(s): imago/Sven Simon