Deutscher auf Sizilien erzählt - Auf die Klimawandel-Frage antwortet mein Nachbar auf Sizilien mit nur einem Wort
Viele Menschen auf der süditalienischen Insel Sizilien leiden unter Dürre. In einigen Teilen des Landes hat es seit anderthalb Jahren nicht geregnet, Seen trocknen aus, Regenauffangbecken sind staubtrocken. Die Dürre ist nicht das einzige Klima-Problem der Insel, wie der deutsche Fotograf Stefan Enders berichtet - doch für keines davon ist die Insel wirklich gewappnet.
Im Video: Italienische Urlaubsinsel wird zur Wüste – die ersten Seen sind schon weg
Medienberichten zufolge hat das italienische Klimaforschungs-Institut CNR errechnet, dass auf mehr als 70 Prozent der Fläche Siziliens derzeit extreme Trockenheit herrscht. Grund sei der Klimawandel. Ein Drittel der Fläche Siziliens droht, bis zum Jahr 2030 zur Wüste zu werden. Der deutsche Fotograf Stefan Enders lebt seit einigen Jahren in Acireale, einer 50.000 Einwohner-Stadt im Osten Siziliens, direkt am Meer. Er muss nur 30 Kilometer in die andere Richtung ins Landesinnere fahren, um zu einem der weltweit meistbesuchten Vulkane zu kommen: dem Ätna.
Enders kann sich den Weg dahin derzeit jedoch sparen, denn der Vulkan kommt zu ihm. Nach einer mehr als sechsmonatigen Pause spuckt Europas größter Vulkan seit Anfang Juli wieder so stark, dass die Betreiber des internationalen Flughafens von Catania auf Sizilien den Betrieb seit einigen Wochen immer wieder einstellen müssen. Für Stefan Enders, der mit seiner sizilianischen Frau in einem alten sizilianischen Haus mit Terrasse zum Meer lebt, bedeutet das: Schwerstarbeit.
Es ist August 2024, und ich stehe auf dem Dach unseres Hauses in Sizilien, denn der Ätna ist nach mehreren Jahren der Ruhe wieder ausgebrochen. Was uns in der Nacht ein faszinierendes Licht-Spektakel beschert, wenn die rot brennende Lava in den dunklen Himmel geschleudert wird, entpuppt sich meist am folgenden Tag als nervende, nie enden wollende Arbeit. Wenn man das Pech hat, dass die Windrichtung die Aschewolken zum eigenen Wohnort treibt, entlädt sich der schwere schwarze Ascheregen über der eigenen Stadt, den Straßen und Plätzen und dem eigenen Haus.
Je nach Intensität ist es eher ein feiner Staub oder es sind feste, beinahe schon kieselsteingroße Teile, die auf die Menschen niedergehen. Wer unterwegs überrascht wird, versucht sich mit Regenschirmen, Plastiktüten und Mundschutz gegen den Ascheregen zu schützen. Wenn die Asche Tage später zu großen Haufen am Straßenrand zusammengeschoben wurde, erinnert es mich an die Alpen im Winter, wenn der Schnee sich genauso zu großen Bergen auftürmt. Hier ist allerdings Sommer, und hier ist es nicht weiß. Sondern alles ist schwarz.
Mit dem Staubsauger auf dem Dach
Ich arbeite nun bereits seit sechs Stunden auf unserem Dach, das Meer in Sichtweite in der einen Richtung, den Ätna in der anderen. Hat man die Asche nicht vor dem nächsten Regen oder Gewitter entfernt, verwandelt sie sich zusammen mit dem Wasser zu einer beinahe zementartigen Masse, die Dachrinnen verstopft und die ohnehin schon fragile Abfluss-Problematik der sizilianischen Dächer verstärkt. Läuft das Regenwasser nicht mehr ab, dringt es unweigerlich in die Häuser ein.
Ich muss mich beeilen, denn in der Ferne haben sich große Gewitte rwolken zusammen gebraut. Mit einem extrem starken Industrie-Staubsauger versuche ich die Asche unter jedem einzelnen der historischen Dachziegel herauszuziehen. Danach heißt es, die zentnerschwere Last nach unten auf die Straße zu tragen, wo es irgendwann von der Stadt mit Lastwagen abgeholt wird. Dieses Mal war der Ätna wirklich gemein. Und hinterhältig. Die ganze Arbeit hatte ich letzte Woche schon einmal gemacht, und als ich endlich fertig war, brach er zwei Tage später mit einer noch größeren Aschwolke erneut aus.
Überrascht von deutschen Medien
Gefährlich ist das Ganze nicht. Denn ich vertraue auf die Wissenschaftler, dass sie einen Ausbruch, bei dem plötzlich nach Jahrhunderten wieder einmal die Lava menschliche Ansiedlungen erreichen würde, vorhersagen können. Es ist eher die alltägliche Last, in Sichtweite eines aktiven Vulkans zu leben, die gleichzeitig aber auch das Land hier zu einer extrem fruchtbaren Gegend macht.
Wirklich gefährlich sind nur die wiederholten Anrufe meiner deutschen Freunde, während ich wie eine Katze auf den mediterranen Dachziegeln balanciere. Wieder klingelt mein Handy, Axel ruft nun schon zum dritten Mal an. Diesmal nehme ich das Gespräch an, vielleicht ist ja etwas bei ihm passiert. Ob bei uns alles okay sei, fragt er, die Tagesschau hätte gemeldet, dass der Ätna dauernd ausbricht. Und überhaupt: Ob wir noch Wasser zum Trinken hätten, es gäbe doch auf ganz Sizilien kein Trinkwasser mehr, die Touristen müssten deswegen doch alle stornieren.
Ich bin etwas überrascht, denn die deutschen Medien verfolge ich nur noch zum Teil. Natürlich gibt es seit anderthalb Jahren eine große Dürre und entsprechenden Wassermangel in Teilen Siziliens. Die durch den Klimawandel verursachte Trockenheit und die Temperaturrekorde führen ohne Frage dazu, dass in wenigen Jahren ein Teil Siziliens wüstenähnlich wird.
Gefährlicher Fatalismus
Dem könnte man allerdings mit entsprechenden Umweltschutz-Maßnahmen entgegensteuern. Das Wichtigste wären Aufforstungs-Programme. Oder die Instandsetzung von defekten Wasserversorgungsleitungen, bei denen Medienberichten zufolge bis zur Hälfte des Wassers verloren geht. Das wäre zum Einen die Aufgabe der Regierung in Rom, deren Engagement für den Umweltschutz zweifellos viel zu gering ist. Auf der anderen Seite betrifft die Reparatur undichter Wasserleitungen aber wiederum auch die Mentalität der Menschen auf Sizilien: Purer Fatalismus, das Gefühl, wir können sowieso nichts erreichen, lässt die Menschen in ihrer Passivität verharren – „es wird so kommen, wie es kommen muss, da kann man nichts machen“.
Mit diesem Fatalismus habe ich hier auf der Ostseite der Insel, am Fuße des Ätna, in anderer Hinsicht zu kämpfen. Der über 3000 Meter hohe Berg beschert uns das Privileg, dass es hier noch ausreichend Wasser gibt. Dass wir die Zitronenbäume meiner Frau noch jede Woche bewässern können. Der Klimawandel führt aber dazu, dass wir in dieser Gegend zunehmend extremen Stürmen und Starkregen ausgesetzt sein werden. Bereits vor zwei Jahren, im November 2022, hatte sich infolge des im Vergleich zu den Vorjahren um mehr als zehn Grad wärmeren Mittelmeeres ein Wirbelsturm gebildet, der in Sizilien mit voller Wucht auf das Land traf.
„Boooh!“
Während ich auf dem Dach unseres Haus stehend noch über das Telefonat sinniere, trifft mein Blick auf all die Punkte des mediterranen Daches, die man ändern müsste, um auf die Klimaveränderungen gewappnet zu sein. Keines der Dächer hier ist auf die Ableitung von solchen Wassermassen vorbereitet. Keines wird den möglicherweise schon bald auftretenden Tornados standhalten.
Doch da treffe ich selbst bei den anderen Miteigentümern unseres historischen kleinen Palazzos auf resignierende, Fatalismus ausstrahlende Blicke. Gepaart mit einem neuen Wort für meinen italienischen Wortschatz: „Booohh!“ Verbunden mit dem leicht nach hinten, ins Genick geworfenen Kopf und den Augen fragend zum Himmel gerichtet. „Booohh! Da kann man sowieso nichts machen“.
Bei Regen fällt die Schule aus
Wie ein Starkregen hier aussehen kann, bekam ich im letzten Jahr zu spüren. Ein am Ätna festsitzendes Gewitter bescherte uns einen Platzregen unvorstellbaren Ausmaßes. Verbunden mit der Tatsache, dass es in unserer Stadt – wohlgemerkt im 21. Jahrhundert in Europa – keine Kanalisation gibt, und somit auch kein Regenwasser aufgenommen werden kann, liefen große Verkehrsstraßen komplett mit Wasser voll. Da sich die Landschaft vom Ätna mit starkem Gefälle zum Meer hinunter erstreckt, stürzten die Wassermassen ungebremst, mit lebensgefährlichem Tempo die Straßen hinab.
Ich war heilfroh, mit einem normalen Pkw zuhause angekommen zu sein, bevor die Straßen vollkommen unpassierbar geworden waren. In diesem Moment erinnerte ich mich an meine überheblich belächelnde Reaktion, als meine Frau mir vor einigen Jahren – wir hatten uns gerade kennengelernt – erzählte, dass bei Regen in Sizilien die Schule ausfalle. Notwendige Vorsorge-Maßnahmen, um Starkregen ganz bewusst in sogenannten Regenauffanggebieten aufzunehmen, wie man es in Städten wie Kopenhagen realisiert hat, sind hier wahrscheinlich noch viel weiter von der Realität entfernt als die im Vergleich recht banal anmutende Umgestaltung der Regen-Abfluss-Rinnen an unserem Hausdach.
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Der verrückte Deutsche auf dem Dach
Ich habe es bis zum Abend geschafft, bevor das Gewitter anrückte, das gesamte Dach von der Asche zu befreien. Während ich die unzähligen schweren Säcke nach unten trage, stelle ich fest: Kein einziger Nachbar war den ganzen Tag über auf einem der Dächer zu sehen, um zumindest mal die Regenrinnen von der Asche zu befreien.
„Aber was passiert dort, denen läuft doch dann überall das Wasser ins Haus?“, frage ich meine Frau. „Klar“, antwortet sie und lächelt. Und dann kommt mir in den Sinn, dass die Nachbarn wahrscheinlich den ganzen Tag lang den bescheuerten Deutschen beobachtet haben, wie er sich abmüht und das ganze Dach säubert. Warum macht er das? In zwei Tagen kann es doch schon wieder eine Aschewolke geben. Und ich höre quasi über die Straße das langgezogene „Booohh!“ Da kann man sowieso nichts machen.