"Deutschland ist abgehängt": Digital-Expertin im "Hart aber fair"-Talk

Digital ist besser! - So viel ist in den vergangenen Wochen wohl jedem klar geworden. Nur an manchen Schulen tut man sich mit dieser Erkenntnis und ihrer Umsetzung schwer. Bei "Hart aber fair" wurde lange wenig konstruktiv darüber gestritten - bis eine Expertin Klarheit in die Debatte brachte.

Verena Pausder (Bild: Teleschau)
Verena Pausder, Gründerin des Vereins "Digitale Bildung für Alle" (Bild: Teleschau)

Es war lange eine zähe Angelegenheit: Frank Plasberg ließ am Montagabend unter dem Titel "Kinder und Eltern zuletzt - scheitern Schulen an Corona?" diskutieren - per se eines der ganz großen Aufregerthemen dieser Tage und sehr nah am Alltag der deutschen Gesellschaft. Es entwickelte sich allerdings eine recht angespannte, bald schon ziemlich verfahrene Debatte, die kurz davor war, in einem unschönen Lehrer-Bashing auszuarten - vor allem weil keine Lehrer anwesend waren. Nie gut fürs Klima eines solchen TV-Talks, wenn die Adressaten der vorgebrachten Kritik fehlen.

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Wie so oft kam die Rettung dann in Person einer zugeladenen Expertin. Plasbergs Einzelgespräch mit Verena Pausder, Gründerin des Vereins "Digitale Bildung für Alle", war fast alleine das Einschalten wert. Sie entpuppte sich als meinungsstarke Fachfrau mit messerscharfer Argumentation und verhinderte mit ihrem eindringlichen Appell an die Verantwortlichen der Politik auf nicht uncharmante Weise, dass die Sendung gänzlich zu einem Tribunal gegen die Lehrer abdriftete.

Zuvor ging es bei "Hart aber fair", wie schon häufiger in den jüngeren Corona-geprägten TV-Talks, um all die Probleme, mit denen Eltern von Schülern derzeit aus diversen Gründen konfrontiert sind. Warum fehlt es vielen Schulen und Kitas an modernen Mitteln, wie sehr sind Pädagogen überfordert? Was muss passieren, damit die Jugend nicht zum Verlierer der Krise wird? - Das ist viel Holz und ein Themenkomplex, der allzu schnell in eine Auseinandersetzung mit Einzelfällen mündet, was auch über weite Strecken für Plasbergs Debatte mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, Susanne Eisenmann (CDU, Kultusministerin Baden-Württemberg), Udo Beckmann (Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung, VBE), Stephan Wassmuth (Vorsitzender des Bundeselternrats) und Schauspielerin, Moderatorin und Mutter Collien Ulmen-Fernandes galt.

Expertin: "Zu lange mit dem Thema gehadert"

Am griffigsten war da zunächst noch Ulmen-Fernandes. Die SZ-Kolumnistin zu Erziehungsfragen und Autorin von Dokumentationen zum Thema Erziehung für ZDFneo schilderte ähnlich plausibel wie eine per Videobotschaft in die Sendung geschnittene Mutter, was gerade das Hauptproblem ist: Man weiß nicht genau, woran man ist. An der einen Schule läuft das digitale Homeschooling wie geschmiert, an der anderen geht bis auf ein paar improvisierte Stunden unter Corona-Schutzbedingungen fast gar nichts. Immer wieder im Kreuzfeuer: die Lehrer.

"Es macht wahrscheinlich dann doch einen Unterschied, ob man Beamter ist oder ob man um seinen Arbeitsplatz fürchten muss", kommentierte Plasberg scharfzüngig. Was ihm prompt den Vorwurf der Pauschalisierung bescherte. Susanne Eisenmann wetterte, dass diese "nicht in Ordnung" sei: "Wir müssen aufpassen, dass wir es uns nicht zu einfach machen." Bundesfamilienministerin Franziska Giffey sprach sich charmant aber unbestimmt für weitere Lockerungen bei Schulen und Kitas aus. "Es müssen Lösungen gefunden werden, die alltagstauglich sind".

Der stotternde Schulstart stresst Eltern und Schüler – und schadet der Wirtschaft

"Wir müssen, man sollte, es braucht jetzt unbedingt" ... - So in etwa waren lange die klimatischen Eckdaten eines weitgehend uninspirierten TV-Talks. Bis es zum Auftritt von Verena Pausder kam, die dann doch noch für Klartext sorgte. "Wir haben die Digitalisierung der Schulen verschlafen. Deutschland ist abgehängt gegenüber anderen Ländern", gab die Expertin im Einzelgespräch zu Protokoll. Sie fragte rhetorisch, warum man nicht die digitale Fortbildung der Lehrer seit zehn oder 15 Jahren intensiviert habe: "Worauf haben wir gewartet? - Dass die Zukunft doch nicht kommt?" Womöglich so Pausder ironisch, habe man gedacht, "dass wir zwar alle digital arbeiten, aber unsere Kinder wird das nicht betreffen".

"Ach, war das schön"

Sie glaube, kritisierte Pausder, "wir müssen gerade ausbaden, dass wir zu lange mit dem Thema gehadert haben, statt einfach klar zu sagen, wie wir zum Beispiel diesen Digitalpakt umsetzen", spielte die Digital-Expertin, die eine echte Bereicherung für den Talk war, in Anspielung auf den schon vor einem Jahr verabschiedeten "Digitalpakt Schule", der die Digitalisierung in allgemeinbildenden Schulen mit immerhin fünf Milliarden Euro fördern sollte.

Immerhin war der Konsens damit schnell gefunden. Die Mittel müssten jetzt dringend schnell und zielgerichtet eingesetzt werden. "Wir sagen immer unsere Kinder sind digital Natives. Unsere Kinder sind digital consumer. Aber wir bringen ihnen nicht bei, wie sie die Zukunft gestalten", so Verena Pausder, die online gerade eine Menge Zuspruch für ihren starken Auftritt bekommt. "Ihr Auftritt war der einzige Lichtblick in der ganzen Sendung", schreibt eine Userin auf der "Hart aber fair"-Facebookseite. "Sie bringt die Misere in den Schulen in 5 min auf den Punkt", lautete ein anderer Kommentar, der hier stellvertretend für viele zitiert wird.

Die Gäste bei "Hart aber Fair" (Bild: Telesschau)
Die Gäste bei "Hart aber Fair" (Bild: Telesschau)

Verena Pausder selbst twitterte im Anschluss an die Sendung: "Ach, war das schön auf großer Bühne mein Herzensthema Digitale Bildung vertreten zu dürfen! Wir müssen die Krise jetzt als Chance begreifen, dieses Land für unsere Kinder in die Zukunft zu führen! Und das fängt bei Bildung an."

Fazit: Es darf, es muss in den kommenden Tagen noch oft über dieses Thema diskutiert werden. Dann bitte wieder mit Experten dieser Güteklasse - und, noch wichtiger, endlich auch mit betroffenen Schülern und Lehrern.