Deutschland lässt Kurden im Stich

Ein kurdischer Offizier evakuiert eine IS-Anhängerin mit Baby aus der Kampfzone (Bild: Zana Omar)
Ein kurdischer Offizier evakuiert eine IS-Anhängerin mit Baby aus der Kampfzone (Bild: Zana Omar)

Als die Bewohner der kleinen Gemeinde assyrischer Christen nach der Befreiung vom Schreckensregime des IS durch kurdische Truppen in ihre zerstörte Heimat zurückkamen, hätten sie ihre Häuser und ihr Land verkauft, um die Flucht nach Europa zu bezahlen. Die Feststellung eines der beiden verbliebenen Einwohner berührt die in Deutschland beginnende Diskussion um die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge.

Die Mehrzahl erhielt nur einen eingeschränkten Schutzstatus. In der Reportage „Wohin mit den IS-Kämpfern? Die Kurden und die Gefangenen aus Europa“ von Arte ist diese kurze Episode nur ein Aspekt am Rande, der die einstige Vielfalt der Kulturen und Religionen im Vorkriegssyrien belegt, die der IS auslöschen wollte. Nachdem 95% des Landes vom IS befreit worden sind, beginnt die Gestaltung der Nachkriegsordnung. Ein drängendes Problem ist das Schicksal der 7000 Gefangenen, die die Kurden Anfang des Jahres bei der Eroberung der letzten Bastionen des IS-Kalifats in Nordsyrien machten.

Kurden mit Versorgung der Gefangenen überfordert

Die Anhänger des Islamischen Staats und ihre Kinder leben in riesigen, provisorischen Gefangenenlagern. Obwohl die Kurden schon vor Monaten die Weltöffentlichkeit um Hilfe baten, blieb sie aus. UN-Hilfsorganisationen sind nicht präsent. Tausende Kinder sind unterernährt und können medizinisch nur notdürftig versorgt werden.

Die Herkunftsländer der Kämpfer und Kämpferinnen aus aller Welt weigern sich, der Bitte der kurdischen Verwaltung zu entsprechen, ihre Staatsbürger zu reintegrieren. Das Auswärtige Amt Deutschlands duckt sich mit dem Verweis, es gäbe keine konsularische Vertretung in Syrien zur Prüfung von Dokumenten und Identität. Obwohl die Kurden 30.000 Pässe von IS-Angehörigen aus aller Welt fanden, die die Identifizierung erleichtern.

Kinder von gefangenen IS-Kämpfern werden in einem kurdischen Krankenhaus versorgt (Bild: Syara Kareb)
Kinder von gefangenen IS-Kämpfern werden in einem kurdischen Krankenhaus versorgt (Bild: Syara Kareb)

Die Reportage macht klar, warum dieses Aussitzen gefährlich ist. Nur mit Hilfe der Amerikaner konnten die Kurden vor kurzem einen Aufstand unter den Gefangenen niederschlagen. Sie ahnen auch, dass der IS seinen ideologischen Rückhalt nicht verloren hat. Gerade die Deutschen sollten aus der eigenen Erfahrung nach dem 2. Weltkrieg wissen, dass diese Angst nicht unbegründet ist. Es dauert lange, die Gehirnwäsche durch Extremisten wieder aus den Köpfen zu vertreiben.

Gefürchtete Alternative: Angriff der Türkei abwehren oder Gefangene bewachen?

Die Kurden fürchten auch weitere Angriffe aus der Türkei. Wie werden sie sich entscheiden, wenn sie zwischen der Verteidigung ihrer Heimat und der Bewachung der Gefangenen entscheiden müssen? Nicht zuletzt wollen auch die Frauen und Männer der kurdischen Truppen nach fünf Jahren entbehrungsreichen Kampfes wieder zu ihren Familien und einen normalen Alltag zurückkehren. Durch die Verweigerungshaltung des Westens rückt ihr Wunsch in weite Ferne. Am Montag hat die Bundesregierung abgelehnt, Bodentruppen zur Sicherung des Friedens in das Gebiet zu entsenden.