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DFB-Team im Herbst 2018: Kopflos, planlos, mutlos

Die deutsche Nationalmannschaft steckt in ihrer schwersten Krise seit 2000. Der WM-Kater hält an, Bundestrainer Löw und die Russland-Versager haben ihre zweite Chance gnadenlos verspielt. Und Besserung ist nicht in Sicht.

Von Yahoo Sport-Redakteur Tommy Gaber

Deutschland kassierte in Amsterdam die fünfte Niederlage 2018 – schlechtester Wert seit 1985.
Deutschland kassierte in Amsterdam die fünfte Niederlage 2018 – schlechtester Wert seit 1985.

Der Gang zum Henker fiel kurz aus. Ein knappes Dutzend DFB-Spieler schlich nach dem 0:3 in Amsterdam in Richtung deutschem Anhang. Zaghaftes Applaudieren als Danksagung für die Unterstützung. Einige Spieler wie Toni Kroos machten schnell kehrt und verschwanden in den Katakomben. Andere wie Manuel Neuer hielten es noch ein Minütchen länger aus und ließen sich von aufgebrachten Fans beschimpfen. Die warfen zudem Pappbecher, einige streckten sogar den Mittelfinger aus.

Eine derartige Abneigung gegenüber den DFB-Stars hat es lange nicht mehr gegeben. In Spiel eins nach dem WM-Desaster, dem 0:0 in der Nations League gegen Frankreich, war die Mannschaft noch gefeiert worden. Doch mittlerweile hat sie endgültig ihren Kredit beim Anhang verspielt.

Selbst der Bundestrainer ist geschockt

Daran sind maßgeblich die letzten sieben Minuten des 0:3 gegen die Niederlande schuld. Deutschland spielte angesichts des knappen Rückstands Harakiri und vernachlässigte dabei völlig die Ordnung. Oranje kam so zu zwei späten, simplen Toren gegen einen desorientierten Haufen, der in der Schlussphase kollabierte.

Ein Zustand, der selbst den Bundestrainer schockiert zurückließ. “Dass wir dann so auseinanderfallen, dass dann keiner Verantwortung übernimmt, und dass wir in den letzten Minuten noch zwei Tore bekommen – das sollte normalerweise nicht der Fall sein”, sagte Joachim Löw.

Der Bundestrainer wirkt zunehmend ratlos und angeknockt. Löw wollte den Neubeginn unbedingt selbst gestalten; er hat nach eigener Einschätzung noch genügend Kraft und die passenden Ideen, die deutsche Nationalmannschaft aus ihrer schwersten Krise seit dem EM-Desaster von 2000 zu führen.

Weltmeister-Achse funktioniert nicht

Doch dieses Vorhaben scheint völlig aus dem Ruder zu laufen. Die Mannschaft ist gespalten, auf und neben dem Platz. Die Weltmeister-Achse Neuer/Hummels/Boateng/Kroos/Müller funktioniert nicht. Jeder einzelne spielt weit unter Normalform und ist so nicht in der Lage, den jüngeren Spielern einen Plan an die Hand zu geben, wie sie sich in bestimmten Spielsituationen zu verhalten haben. So taumelt die Mannschaft führungslos dahin.

Spieler wie Julian Brandt oder Leroy Sané scharren mit den Hufen und stehen per se für Qualitätsfußball, werden von Löw aber zurückgehalten. Der Bundestrainer begründete seine Maßnahme nach dem Holland-Spiel damit, dass den jungen Spielern noch Qualität fehlen würde. Nochmal zur Erinnerung: Sané wurde in der letzten Saison zum besten Jungprofi der Premier League gewählt.

Zudem liefern Spieler wie Joshua Kimmich und Timo Werner, die zur nachkommenden Generation zählen, aber seit über zwei Jahren regelmäßig in der Nationalmannschaft zum Einsatz kommen, allenfalls durchschnittliche Spiele ab. Löw hat es im WM-Nachklapp nicht hinbekommen, eine funktionierende Einheit zu formen aus den 2014er Weltmeistern und den aufstrebenden jüngeren Spielern.

Draxler stellt Löw unangenehme Frage

Die Teilung der Mannschaft machte sich auch in den Reaktionen auf das 0:3 von Amsterdam bemerkbar. Hummels, der sonst gerne den Finger in die Wunde legt, redete die Leistung der Mannschaft schön und schob lieber Medien und Fans den Schwarzen Peter zu. Man werde nur noch als “Vollamateur” dargestellt, so Hummels. Kroos erklärte lapidar, dass “der Fußball, den wire gespielt haben, nicht so schlecht war”.

Dagegen sprachen Kimmich und Draxler die Fehler schonungslos an. Draxler nahm die beiden späten Gegentore, die er mit einfachen Ballverlusten in gefährlichen Zonen mitverursacht hatte, auf seine Kappe und stellte anschließend eine vor allem für Löw unbequeme Frage. “Es ist die große Frage, warum wir es mit dem Spielermaterial nicht schaffen, wieder attraktiven Fußball zu spielen. Es geht mir alles zu langsam, es ist zu berechenbar. Es passiert viel zu wenig. Es fehlt Risikobereitschaft. Wir spielen den Ball immer hin und her, bis wir einen Konter kassieren”, so Draxler.

Für die Pfiffe der Fans hatte er vollstes Verständnis: “Wenn du den Fans den Sommer versaust und jetzt das Wochenende in Holland, dann ist klar, dass irgendwann mal Unmut kommt.” Hummels vs. Draxler – auch in diesem Punkt herrscht bemerkenswerte Uneinigkeit.

Löw-Rauswurf angeblich ausgeschlossen

Bei der WM scheiterte das DFB-Team an seiner eigenen Überheblichkeit. Es sollte alles schnell besser werden. Mit Löw und mit dem Großteil der Russland-Versager. Die viel zitierte zweite Chance. Sie wurde gnadenlos verspielt.

Angeblich steht Löw auch bei einer erneuten Klatsche in Frankreich am Dienstagabend verbandsintern nicht zur Disposition. Die Frage, ob und wie lange er sich das bei anhaltendem Misserfolg und so großen Unterschieden in der Wahrnehmung der eigenen Leistung, noch antun will, muss aber erlaubt sein.

Geht der Ausflug zum Weltmeister schief, dürfte die öffentliche Diskussion um Löw an Intensität noch zunehmen.