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Der DFB trägt eine Mitschuld

Ilkay Gündogans fußballerische Qualität ragt in der deutschen Nationalmannschaft heraus. Einmal mehr bewies er das mit seinem sportlichen Auftritt beim 3:0 gegen Estland. Ebenso brilliert der 28-Jährige mit seiner Rhetorik. Seine klug gewählten Worte und sein respektvolles Verhalten suggerieren Cleverness und Reflektionsvermögen.

Umso naiver war sein "Gefällt mir"-Klick für ein Foto seines Freundes Cenk Tosun. Reservist beim FC Everton, Siegtorschütze der Türkei in der 90. Minute beim 1:0 gegen Albanien. Das Bild zeigt Tosun und Mitspieler salutierend vor der Ehrentribüne. Die klare Botschaft: Solidarität mit der von Türkei-Präsident Recep Tayyip Erdogan beauftragten Militär-Offensive gegen Kurden in Nordsyrien. Ergo: Solidarität mit Krieg.

Nationalmannschafts-Direktor Oliver Bierhoff versuchte, den Vorfall herunterzuspielen, und verkannte damit erneut die Notwendigkeit, ein klares Zeichen zu setzen!

Es sei "medial echt schwer für die Jungs" und er sehe die Sachlage "nach den Aussagen der Spieler nicht so kritisch". Damit aber nicht genug: "Wir wissen auch von beiden aus vergangenen Zeiten, dass sie sehr unpolitisch sind", sagte Bierhoff.

Zur Erinnerung: Gündogan - auch Tosun - traf sich mit Erdogan vor der WM in Russland, lächelten mit ihm in die Kameras. Der ManCity-Profi überreichte dem Staatschef sogar ein Trikot mit der Signatur: "Für meinen Präsidenten, hochachtungsvoll."

Bierhoff, einer der höchsten DFB-Repräsentanten, bagatellisiert, was war und angeklickt wurde, und verschafft Gündogan damit abermals ein Alibi, obwohl dieser auf Bewährung spielt. Bierhoff rief sogar dazu auf, Gündogan und Can "ein bisschen Vertrauen zu schenken und daraus nicht solche Geschichten zu machen".

Gündogan und Emre Can "likten" dieses Bild bewusst. Wie rund 194.000 andere Menschen auch. Da sie nach eigener Aussage den Donnerhall und die politische Interpretation ihres Klicks nicht abschätzen konnten, nahmen sie ihr "Gefällt mir" zurück.

Beide Spieler beteuerten, sich ausschließlich für Tosun gefreut zu haben. Ein politisches Statement wollten sie nicht setzen. Glaubhaft machten sie klar, gegen jegliche Art von Gewalt und Terror zu sein. Täglich für Frieden zu beten.

Aufrichtige Reue? Fehlanzeige

Eine Lebenseinstellung, die man bei jedem Menschen mit gesundem Verstand aber voraussetzen kann. Beide, geprägt von etlichen Medienschulungen, hätten wissen müssen, was ihr Klick auslöst und für eine Botschaft vermittelt. Vor allem Gündogan, der kürzlich noch im Interview mit der Süddeutschen Zeitung versicherte, politische Statements künftig vermeiden zu wollen. Aufrichtige Reue? Fehlanzeige.

Vielleicht auch, weil die DFB-Verantwortlichen wieder einmal auf Verharmlosung statt Klartext setzen. Auch keiner der befragten Mitspieler äußerte eine Meinung. Niemand wollte vor und nach dem Spiel etwas von dem Vorfall mitbekommen haben. In Sachen Spieler-Briefing leistete man also ganze Arbeit.

Umso wichtiger wäre es gewesen, hätte sich einer der Verantwortlichen, sei es Bierhoff, Bundestrainer Joachim Löw oder Neu-Präsident Fritz Keller, hingestellt und kompromisslos gesagt: "Klick hin oder her, es war einfach nur dumm. Passiert das nochmal, sind sie raus".

Das wäre ein Statement gewesen. Ebenso wie die Leistung Gündogans, die ihn, rein sportlich betrachtet, für Deutschland unentbehrlich macht. Für sein Verhalten als Botschafter des deutschen Fußballs gilt das nicht.