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Diary Slam - Lachen über die eigene Jugend

Toni Fischer ist Organisator der Jenaer Tagebuch-Abende. Foto: Photo Junge/Toni Fische
Toni Fischer ist Organisator der Jenaer Tagebuch-Abende. Foto: Photo Junge/Toni Fische

Hass auf die Eltern, Liebeskummer oder Selbstüberschätzung: Beim Diary Slam lesen Menschen aus ihren alten Tagebüchern vor. Das ist vor allem lustig, weil es einst nicht lustig gemeint war.

Jena (dpa) - Als Christina 15 Jahre alt war, hatte sie viel Zeit. In einem Briefe-Heft tauschte sie sich regelmäßig mit ihrer Freundin aus, zum Beispiel über Jungs.

«Isser net total sweet? *augenfunkel* Boah Mann, der geile Mund. Zum Abknutschen.» Heute ist Christina ein paar Jahre älter und steht auf einer Bühne in Jena. Sie nimmt teil am «Diary Slam» und liest aus Texten vor, die sie in ihrer Jugend einmal mit viel Ernst geschrieben hat - die heute aber ziemlich komisch sind.

Beim Diary Slam lesen Menschen aus ihren alten Tagebüchern vor. Auch andere Zeugnisse aus Jugendtagen sind erlaubt: Chatverläufe, Liebesbriefe, Aufsätze - oder Freundinnenhefte.

Zusammen mit rund 100 Zuhörern bricht Christina immer wieder in Lachen aus, während sie vorliest. Der Mann mit dem «geilen Mund» ist ein Model, das Christina aus einer Zeitschrift ausgeschnitten hatte. In einem Brief an ihre Freundin überlegt sie sich nicht nur eine fiktive Biografie für den Mann, sie führt auch ausgedachte Interviews mit Fantasie-Frauen, die von ihren erotischen Abenteuern mit «Andreas P.» berichten.

Slams jeglicher Art sind schon seit Jahren beliebt. Das Grundprinzip dabei: Jeder Vortragende hat einen bestimmten Zeitrahmen, um auf der Bühne selbst geschriebene Stücke zu präsentieren. Wichtig ist dabei nicht nur der Inhalt, sondern auch die Art, wie dieser präsentiert wird.

Während sich die Poetry-Slam-Szene inzwischen professionalisiert hat, sind Diary Slams in Deutschland noch nicht besonders verbreitet, wie Toni Fischer erzählt. Der 27-Jährige organisiert mit einem Freund, Friedrich Herrmann, neben anderen Veranstaltungen auch die Jenaer Tagebuch-Abende.

Der Diary Slam unterscheidet sich von anderen Slams in einem wesentlichen Punkt. Die Texte wurden einst nicht für ein großes Publikum geschrieben - und sind umso witziger, weil sie nicht gewollt, sondern unfreiwillig komisch sind.

So auch die Zettel aus der achten Klasse, die Angelika in Jena vorliest. «Morgen ist Valentinstag :-(», schreibt sie an eine Freundin. «Ich darf eh wieder auf meinem Arsch sitzen und mich alleine zu Tode langweilen.» Die Empathie ihrer Freundin ist eher begrenzt: «Aso. Naja, das ist schon blöd. Ich hab ja Niko.» Angelika: «Ja, du hast ja auch nach zwei Tagen immer nen Neuen.» Sie: «Ja, aber er meinte, es ist ernst.» Angelika: «Das meinen sie alle und dann hälts doch nur drei Tage.» Sie: «Na dann müsste es ja heute vorbei sein.»

Als authentischer und unverblümt beschreibt Fischer die Diary Slams. «Es gibt keine technischen oder performativen Kniffe wie beim Poetry Slam. Das sind Texte, die man für sich geschrieben hat.»

Doch nur, weil die Texte niemand lesen sollte, heißt das nicht, dass darin nicht gelogen oder zumindest gnadenlos übertrieben wurde, wie Ella Carina Werner erzählt. Zusammen mit Nadine Wedel hat sie 2011 den ersten deutschen Diary Slam in Hamburg gegründet, der einmal monatlich stattfindet.

Existenziell bedrohlicher Liebeskummer oder blanker Hass auf die eigenen Eltern: Vieles aus den vorgetragenen Texten kennt man aus der eigenen Jugend. «Das Publikum identifiziert sich damit», sagt Fischer. «Alle lachen mit, sind aber eigentlich auf deiner Seite.» Für die Vortragenden könne es auch eine Art Selbsttherapie sein.