Die Grünen haben den Verlierer-Stempel

Die Grünen können im Wahlkampf nicht mehr mit ihren angestammten Themen punkten (Bild: dpa)
Die Grünen können im Wahlkampf nicht mehr mit ihren angestammten Themen punkten (Bild: dpa)

Die Grünen bemühen sich – und werden allgemein belächelt. Lorbeeren sind für andere reserviert: Das zeigt die Debatte um eine Ehe für alle. Für die Bundestagswahl können die Grünen zu zittern beginnen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Erst hatten sie kein Glück, und dann kam auch noch Pech hinzu. Die Grünen können in diesen Zeiten tun und lassen, was sie wollen: Man scheint ihrer überdrüssig zu sein.

Wäre der Bundestag ein Schulhof, sähe man in den Grünen den Außenseiter, auf dem man eben ein wenig mehr herumhacken kann. Daran gewöhnt man sich rasch. Die Grünen sind derzeit die Partei, die keinen Blumentopf beim Wähler gewinnen kann. Wie ist es dazu gekommen?

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Die Symptome liegen offen da. Als die Partei auf ihrem Parteitag vor einer Woche zum Beispiel die Ehe für alle als Koalitionsveto beschloss, ging ein Raunen durch den Blätterwald. Naiv fand man das, „Todessehnsucht“ hieß es. Kennen die ollen Grünen keine anderen Probleme, im Schatten von Trump, Klima, Flüchtlinge und magerer Spargelernte? Das Echo auf den Beschluss, angeblich von einem einzigen Mann (Volker Beck) im Handstreich und überrumpelnd durchgesetzt, war verheerend. Die Grünen standen da als Partei, die quengelt und komische Forderungen stellt; Erinnerungen an Veggieday und fünf Euro (oder waren es noch Mark? Egal…) für den Liter Benzin kamen auf.

Dann geschah das Wunder. Die SPD macht Tage später auf ihrem Parteitag die Ehe für alle zur Bedingung, und alle nicken. FDP-Chef Christian Lindner postuliert ebenfalls die Ehe für alle – und erntet anerkennendes Kopfnicken. Der traut sich was, der Lindner, hieß es, der holt die liberalen Werte zurück in die FDP, kurz: Wenn die Grünen A sagen, legt man ihnen B aus. Sie haben einfach den Stempel der abstrakten, aus der Mittelschicht kommenden und Armut höchstens aus der Zeitung kennenden Prähipster. Nicht einmal bemüht cool sind sie, geschweige denn halbwegs philosophisch. Wie viele Hipsterbärte gibt es bei den Grünen? Totalausfall! Darauf einen Latte und online das neuste Craftbeer bestellen, für den Event heute Abend.

Eine mehr als bedrohliche Lage

Die Grünen gelten als Akademikerpartei, als verfügten die Kader bei FDP, Linke oder Union über weniger Uniabschlüsse. Das wird ihnen heutzutage als Makel ausgelegt, so ändern sich die Zeiten. Das Problem der Grünen ist, dass sie in einen Wahlkampf stolpern, der wie noch nie von Emotionen und plakativen Wahrnehmungen beeinflusst sein wird. Image dominiert über Statur, Slogan über Programm, Pseudoantwort über Antwort; von den Falschnachrichten zu schweigen.

Diesen Stempel loszuwerden ist nahezu unmöglich. Für die Grünen wird es sehr schwer werden, der Einzug in den Bundestag ist längst nicht ausgemacht.

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Dabei zeigt das Beispiel der „Ehe für alle“, dass die Grünen durchaus einen Riecher für gesellschaftliche Trends haben. Sie sind zuweilen deren Wegbereiter. Dass die Ehe für alle kommt, ist sicher wie das Amen in der Kirche, sie ist ein Ergebnis von in die hintere Hirnrinde durchsickernden Erkenntnissen. Daher räumt Angela Merkel leichtfertig ihre abwehrende Position; auch ein Wolfgang Schäuble wird sie spätestens binnen eines Jahres gutheißen. Und in fünf Jahren wird sich niemand daran erinnern, welche Debatten im Jahr 2017 darüber geführt wurden – und welche Partei sie anstieß. Vielleicht wird es sie dann gar nicht mehr geben.