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Die verhängnisvolle Unendlichkeit der Führungsfrage - ein Kommentar zur SPD im Jahr 2019

Statt der angekündigten Linkswende der SPD stehen die Zeichen auch unter Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken auf "weiter so" (Bild: Reuters/Annegret Hilse)
Statt der angekündigten Linkswende der SPD stehen die Zeichen auch unter Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken auf "weiter so" (Bild: Reuters/Annegret Hilse)

Die SPD und alles was zu ihr gehört haben ein hartes Jahr hinter sich. Mit der Wahl von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken wird von der Linkswende und der neuen Zeit gesprochen. Von einer Wende oder auch einem hartem Jahr merkte man auf dem Parteitag jedoch gar nichts. Generell merkt man bei den Sozialdemokraten nichts, nur, dass es immer wieder um Personal geht - und genau das ist ihr Problem. Jedoch besteht die Chance, dies ein für alle Mal geklärt zu haben.

Mit einem Verfahren, welches sich länger als Kaugummi zog, hat die SPD-Führung einen “ehrlichen” Neustart inszenieren wollen, und somit mit der Wahl einer neuen Doppelspitze das Jahr im Positiven beenden wollen. Nachdem sich die Partei innerhalb des letzen Jahres Stück für Stück selbst zersetzte, . Die Mitglieder sollten mitentscheiden, man wollte sich nah an der Basis zeigen. Der Parteitag offenbarte in diesem Prozess allerdings: Die Hinterzimmer sind nicht verschwunden. Schon beim Abgang von Andrea Nahles war es nicht nur die Fraktion, die sich sperrte und ihre Vorsitzende nicht unterstützte, sondern auch die beiden größten Landesverbände der SPD, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.

Insbesondere Stefan Weil entpuppte sich als Störenfried. Es gibt Vermutungen, dass Lars Klingbeil nicht als Vorsitzender kandidierte, da Weil sich partout nicht positionierte. Da beide aus Niedersachsen stammen, hätte sich eine deutliche Mehrheit für Weil gefunden. Und diese Streitigkeiten und Spielchen sind der Knackpunkt. Die SPD macht im Gegensatz zur Union zu viel interne Macht- und Personalpolitik. Ein wenig gehört dazu, aber die Übertreibung lässt sich nicht mehr leugnen. Authentizität lässt sich bei den Mitgliedern nicht mehr verkaufen, da sie nicht existiert. So ist auch die Tatsache, dass der Mitgliederentscheid nicht endgültig war, sondern lediglich als Stimmungsbild für die Delegierten gelten sollte, reichlich lächerlich für den betriebenen Aufwand.

Bei insgesamt 17 Kandidaten wird die Vorstandswahl schnell zur Qual (Bild: Reuters/Ralph Orlowski)
Bei insgesamt 17 Kandidaten wird die Vorstandswahl schnell zur Qual (Bild: Reuters/Ralph Orlowski)

Lächerlichkeit zieht sich durch sämtliche Etappen des letzten Jahres. Hoffnungsträgerin Franziska Giffey konnte ebenfalls nicht für den Parteivorsitz kandidieren, da ihr Doktortitel zwischenzeitlich auf der Kippe stand. Es gibt Parteimitglieder, die hätten sich gewünscht, sie hätte ihn abgelegt und kandidiert, dem Wohle der Partei wegen. Aber ums Wohl geht es schon lange nicht mehr, der Letzte, der es noch ernst gemeint haben mag, war vielleicht Oskar Lafontaine, als er Rudolf Scharping stürzte. Es war auch die letzte Zeit, in der die SPD Höhenflüge in Wahlumfragen erzielt.

In der Europawahl fuhr die SPD desaströse 12% ein und mit Spitzenkandidatin Katarina Barley ging eine ihrer Top-Politiker*innen für die Bundespolitik verloren. Die ehemalige Justizministerin und Generalsekretärin hatte wie nur wenige in ihrer Partei ein Gespür für Diplomatie und den Sinn für das Wesentliche - die Politik. In Interviews sagte sie selbst, sie sei freiwillig gegangen, weil ihr Europa am Herzen liege. Es könnte auch heißen: Dem Drama der Bundes-SPD kann sie sich nicht mehr widmen, es kostet mehr Kraft als es Freude bringt.

Mit Katarina Barley und Andrea Nahles gingen der Bundes-SPD nach der desaströsen Europawahl zwei Spitzenfrauen verloren (Bild: Reuters/Fabrizio Bensch
Mit Katarina Barley und Andrea Nahles gingen der Bundes-SPD nach der desaströsen Europawahl zwei Spitzenfrauen verloren (Bild: Reuters/Fabrizio Bensch

Frauen vertreibt die SPD erfolgreich. Auf den Europadämpfer folgte der Rücktritt von Andrea Nahles, der allerersten weiblichen Vorsitzenden der Sozialdemokraten. Willy Brandt hat sich sicherlich im Grab gedreht während der Szenen, die sich im Juni abspielten. Andrea Nahles ist die Frau, die die GroKo schaffte, für das Wohl aller, nachdem sich FDP und Grüne aus der Verantwortung zogen, um danach mit erhobenem Zeigefinger die Sozialdemokraten zu denunzieren.

Dass Nahles gerade in Regierungsfragen eine wichtige Stütze war, merken die Sozialdemokraten so langsam. In nahezu jeder zweiten Rede auf dem Bundesparteitag wurde in ihrer Abwesenheit an das große Vermächtnis von Nahles erinnert. Empathie und soziale Intelligenz wollten einige Delegierte damit wohl zum Ausdruck bringen. Es war dafür ein wenig spät, für Außenstehende paradox und eher Anlass zur Fremdscham als zur Rührung. Fakt ist jedoch, dass Andrea Nahles wichtige Schritte wie den Mindestlohn umsetzte und sozialpolitisch noch viel hätte bewegen können. Dankbarkeit kommt manchmal auch zu spät. Was die SPD sich Mitte des Jahres leistete, war ein Paradebeispiel für intrigenreiche Hauptstadtpolitik. Die Mitglieder der Fraktion profilierten ihre eigenen Karrieren nach der Europawahl auf Kosten von Nahles. Der große Boom, den man sich dadurch erhoffte, kam nicht, sondern der bereits aufgetane Abgrund wurde größer.

Die Infografik zeigt deutlich: Der Vorsitz der SPD war auch schon mal stabiler (Grafik: dpa)
Die Infografik zeigt deutlich: Der Vorsitz der SPD war auch schon mal stabiler (Grafik: dpa)

Nun erhoffte man sich vom linken Schritt durch die neu gewählte Führung eine Ansage an die GroKo und das Ende des Niedergangs. Aber wie kann ein solches “weiter so” den Abstieg aufhalten? Aus der GroKo rauszugehen wäre fatal für die SPD, genauso jedoch das Weitermachen. Kündigten sich Esken und NoWaBo vor ihrer Wahl mit einer großen Linkswende an, bekommt man nun “so wie zuvor” à la carte “mit einem Hauch von linkem Schein”. Die Gefahr, dass das der große Reinfall wird, ist nicht gering. Und die Gefahr, dass Konservative der Partei bei einem Scheitern des neuen Duos sagen können, dass linker sein eben nicht den Aufstieg bedeutet, ist dicht auf den Fersen.

Es ist den Sozialdemokraten jedoch zu wünschen, dass sie sich entgegen der medialen Show seitens der Union durchsetzen und in Nachverhandlungen gehen können, die beweisen, dass die SPD für sich selbst steht. Sollte die “Eskabolation” dies nicht schaffen, wird die Führungsfrage wieder kein Ende nehmen. Man kann die Führungsfrage nämlich zu lange stellen, sodass irgendwann niemand mehr da ist zum Führen. Die Fragen nach dem “wie” und dem “wer” müssen mit der neuen Parteispitze final beantwortet sein, sonst ist es wirklich das Ende vom Ende.